Heiße Sommer, Asthmasprays und tote Geier
Ärzt*innen beobachten seit Jahren, dass der Klimawandel Krankheiten auslöst oder verschlimmert. Doch das Gesundheitswesen selbst belastet die Umwelt stark. Am Institut für Allgemeinmedizin lernen Studierende, wie nachhaltige Medizin geht.
Von Anna Euteneuer
Über den Gürtel, jenseits des großen Universitätsklinikums, liegt in der Gleueler Straße 176–178 die Hochschulambulanz Allgemeinmedizin der Uniklinik Köln. Wer mit dem Aufzug in die 3. Etage fährt, wird in einem hellen, freundlichen Raum mit moderner Ausstattung empfangen. Wenn man es nicht weiß, fällt gar nicht auf, dass ein Großteil der Einrichtung aus zweiter Hand ist. Obwohl neue Institute Geld für die Ausstattung bekommen, wollte Professorin Dr. Beate Müller dies nicht in neues Mobiliar investieren. Stattdessen besorgte die Leiterin der Hochschulambulanz Spinde, Schränke, Behandlungsliegen und Stühle aus dem Lager der Uniklinik. Einige Medizintechnikgeräte kaufte sie generalüberholt. Und anstatt neues Geschirr für die Teeküche zu kaufen, brachten alle Mitarbeiter*innen Tassen, Teller und Co. von zuhause mit.
Nachhaltige Allgemeinmedizin ist das erklärte Ziel von Beate Müller. Nachhaltigkeit bedeutet für sie dabei nicht nur Einrichtung, Mülltrennung und Energiesparen. Denn der Klimawandel beeinflusst schon heute unsere Gesundheit. Hitze etwa ist besonders für ältere Menschen eine Gefahr. Genug zu trinken ist hier genauso wichtig wie die Anpassung der Medikamentendosierung, denn durch stärkeres Schwitzen und vermehrte Hautdurchblutung können Medikamente ihre Wirkung verlieren oder anders wirken.
Ein Anstieg von 81 Prozent bei Hautkrebs
Neben der Hochschulambulanz leitet Müller auch das im April 2022 neu gegründete Institut für Allgemeinmedizin der Medizinischen Fakultät. So ist ihre Woche gefüllt mit Patientenversorgung, Lehrveranstaltungen, Forschungsprojekten und Managementaufgaben. »Mich bedrückt die Entwicklung des Klimawandels sehr«, sagt die Ärztin. Daher legt sie nicht nur in ihrer Praxis, sondern auch in ihrer Lehre den Fokus auf das Thema. Dabei beleuchtet sie auch die vielfältigen gesundheitlichen Folgen des Klimawandels. »Fast jede Krankheit wird in irgendeiner Weise vom Klimawandel beeinflusst«, sagt Müller.
Man denkt direkt an Krankheiten, die von Hitze und Sonne ausgelöst werden: Dehydrierung oder Hautkrebs fordern immer mehr Todesopfer in Deutschland. Verglichen mit dem Jahr 2000 wurden zwanzig Jahre später 81 Prozent mehr Menschen mit Hautkrebs im Krankenhaus stationär behandelt. Es hängen aber noch viel mehr Krankheiten mit der Klimaerwärmung zusammen. Letztes Jahr veröffentlichte die Universität Hawaii eine Übersichtsstudie mit dem Ergebnis, dass fast 60 Prozent der von Krankheitserregern ausgelösten Krankheiten sich durch den Klimawandel verschlimmern können. Hierzu zählen nicht nur Viren, sondern auch Bakterien, Pilze und Pflanzenpollen. Hitze und Wärme, aber auch Überschwemmungen begünstigen die Verbreitung von Erregern wie Bakterien oder Krankheiten, die von Mücken und Zecken übertragen werden. Auch Allergiker spüren bereits den Klimawandel: Eine Studie aus den USA zeigt, dass im Jahr 2018 verglichen mit 1990 die Pollensaison nicht nur zwanzig Tage früher startet, sondern auch zehn Tage länger dauert und die Pollenkonzentration um zwanzig Prozent gestiegen ist.
»Mein Anspruch ist, dass der Klimawandel in jeder allgemeinmedizinischen Lehrveranstaltung ein Thema ist«, erklärt Müller. »Es muss sich nicht die ganze Vorlesung darum drehen, aber wenn wir zum Beispiel über Husten sprechen, lasse ich einfließen, dass der Jogger besser im Park joggt, als an der Straße.« So schärft sie das Bewusstsein der Studierenden für den Klimawandel und die gesundheitlichen Auswirkungen, ohne direkt mit der Moralkeule zu kommen.
Artensterben durch Medikamente
Professorin Müller setzt sich auch so stark für Nachhaltigkeit ein, weil sie zwei Kinder hat und somit eine direkte Verantwortung gegenüber der nächsten Generation wahrnimmt. Aber auch, weil es ihr selbst guttut, sich auf konstruktive Weise mit dem Thema zu beschäftigen. Als Lehrende und Institutsleiterin hat sie die Möglichkeit, angehende Ärzt*innen für bestimmte Probleme zu sensibilisieren.
Ein wenig bekannter Aspekt ist hierbei der Einfluss bestimmter Medikamente auf die Umwelt. Sie gehören zu den wichtigsten Faktoren, die Hausarztpraxen beeinflussen können. Bereits die Herstellung vieler Medikamente ist energieaufwändig. Doch noch schlimmer können Anwendung oder Entsorgung sein. Asthmasprays sind problematisch aufgrund der Gaskartusche, hier gibt es aber Pulver als weniger schädliche Alternative – so, wie es Deo-Roll-ons als Alternative für die Sprühdosen gibt.
Ein weiteres Thema sind die Auswirkungen bestimmter Wirkstoffe auf Flora und Fauna. »Diclofenac zum Beispiel ist eine problematische Substanz«, sagt Müller. Das Schmerzgel kann bis zu einer gewissen Dosierung ohne Rezept in der Apotheke gekauft werden. Hausarzt oder Hausärztin wissen oftmals gar nicht, dass Patient*innen die Salbe anwenden.
Was kaum jemand weiß: Diclofenac hat in Indien dazu geführt, dass Geier kurz vor dem Aussterben standen und es deswegen dort bis heute die höchste Tollwutrate beim Menschen gibt. In Indien wurden Rinder bei Gelenkbeschwerden mit Diclofenac behandelt, um ihre Arbeitskraft zu erhalten. Starben diese Tiere, kamen Geier, um das Aas zu fressen. Diclofenac ist jedoch so giftig für Geier wie Zyankali für den Menschen. Die Geier starben an Nierenversagen und verwilderte Hunde kümmerten sich dann um das Aas. Dadurch vermehrten sich die Hunde, die häufig an Tollwut litten. Das führte auch zu einer höheren Tollwutrate bei den Menschen.
Der Fall der Geier ist seit rund zehn Jahren bekannt. 2020 wurde auch in Europa ein toter Geier mit Diclofenacvergiftung aufgefunden. Es dauert lange und ist schwierig, solche Kreisläufe zu identifizieren. »Es ist noch nicht absehbar, wie viele weitere Wirkstoffe für die Umwelt giftig sind und welche Probleme wir bekommen werden «, warnt die Ärztin.
Auch bei uns in Deutschland ist Diclofenac problematisch, weil es von den Kläranlagen nicht ohne teure und aufwändige Verfahren aus dem Wasser gefiltert werden kann. Apotheken und Ärzteschaft raten deshalb, dass man die Hände nicht waschen, sondern abputzen und das Tuch im Restmüll entsorgen soll.
Kleine Anpassungen machen viel aus Es sind viele kleine Verhaltensänderungen, die einen großen Einfluss auf unsere Umwelt haben können. Beate Müller versucht, so viele Faktoren wie möglich selbst umzusetzen und an die nächste Generation von Mediziner*innen weiterzugeben. Unter Leitung des Instituts für Allgemeinmedizin wurde nun auch eine Planetary Health Report Card für die Medizinische Fakultät erstellt. Die Note: C-. Mit A als bester Note ist da noch Luft nach oben. Im Vergleich zu anderen Hochschulen im Rheinland steht die Universität zu Köln jedoch relativ gut da. Andere Universitäten liegen im Bereich der Note D. Da die Lehre einen großen Einfluss auf das Gesamtergebnis der Planetary Health Report Card hat, kam der Uni Müllers Engagement zugute.
Planetary Health Report Card – Das metrikbasierte Instrument wurde 2019 von Medizinstudierenden der University of California San Francisco (UCSF) entwickelt. Seither dient es Studierenden weltweit bei der Evaluierung ihrer Hochschulen im Bereich der »planetaren Gesundheit«. Studierende füllen in Teams und von Lehrkräften angeleitet die Berichtskarte aus und ermitteln Verbesserungsmöglichkeiten. Die Ergebnisse werden in einem jährlichen Earth Day-Bericht veröffentlicht und sollen institutionelle Veränderungen im Laufe der Zeit nachvollziehbar machen.
Des Weiteren werden die Bereiche Forschung und Nachhaltigkeit auf dem Campus bewertet. Hier besteht noch großes Potential, die Universität unternimmt aber unter anderem mit dem Forum Nachhaltigkeit bereits erste Schritte. Im Institut für Allgemeinmedizin wird Forschung zum Thema »Planetary Health« begonnen, und einige AGs im Forschungsbereich sowie klinische Bereiche engagieren sich für nachhaltiges Arbeiten.
Forum Nachhaltigkeit – Am 9. Februar 2023 and das erste Forum Nachhaltigkeit der Universität und der Uniklinik statt. Etwa 250 Personen aus allen Bereichen versammelten sich, um sich zu informieren, sich zu vernetzen und Pläne für die nachhaltige Transformation auszubauen. Eine digitale Postergalerie sowie der Vortrag von Professorin Müller.
Nachhaltigkeit in der Medizin beinhaltet nicht zuletzt viele praktische Tipps zur Anpassungsfähigkeit der medizinischen Praxen an den Klimawandel. An heißen Tagen könnten die Öffnungszeiten auf weniger heiße Stunden verlegt werden. Damit die Umwelteinflüsse der Medizin so gering wie möglich gehalten werden, braucht es Müller zufolge zudem mehr Aufklärung zur Medikamentennutzung. Oder zu den kleinen Dingen, die das Praxisteam beachten kann: Geräte ganz ausschalten und nicht im Stand-by Modus laufen lassen, Patient*innen daran erinnern, Medikamente nicht in der Toilette oder im Waschbecken zu entsorgen. Und auch das ganz persönliche Verhalten kann dazu beitragen, zumindest einen kleinen Beitrag zu leisten. So wie Beate Müller: »Um Strom zu sparen und für meine eigene Gesundheit nehme ich lieber die Treppe als den Fahrstuhl.«