Heiß, heißer, am heißesten: Der Sommer 2022 bricht alle Hitzerekorde. Dafür heißt es im Winter mit den Zähnen klappern, weil das Gas fehlt. Vom Schwitzsport zur Bibberolympiade – welche Antwort haben die Städte darauf? Der Biologe Hans Edelmann hat schon eine: Häuser bepflanzen. Mit der Mensa Zülpicher Straße startete im Juli ein Feldversuch.
Von Robert Hahn
Es ist nichts Neues, schon unsere Ahnen wussten, dass Pflanzenbewuchs an Häusern positive Auswirkungen auf das Raumklima im Haus hat. Efeu oder Weinranken sind beliebte Mitbewohner alter Häuser in Stadt und Land. Auch Professor Dr. Hans G. Edelmann vom Institut für Biologiedidaktik weiß um den Nutzen der Pflanzen. Schon seit 2016 forschen er und sein Doktorand Minka Aduse-Poku an den Effekten, die die Begrünung von Hauswänden auf das Wohnklima hat.
Jetzt hat er sich ein neues Projekt vorgenommen: Mit dem von den Landschaftsarchitekten KREBS & CONRADS entwickelten modularen Fassadenbegrünungssystem BILLY GREEN will er erforschen, wie sich moderne Glasfassaden bepflanzen lassen, ohne die Sicht zu versperren. Dafür hat er sich die südliche Glasfront der Mensa Zülpicher Straße vorgenommen.
Das schützende Biotop: Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Feinstaub
Edelmann ist Pflanzenphysiologe: Ihn interessiert eigentlich, was in der Pflanze vorgeht. Den Startschuss für seine Forschungen in der Pflanzenökologie gab 2016 ein Student aus dem Studiengang Internationaler Master of Environmental Science, Minka Aduse-Poku. Er kam mit der Idee auf ihn zu, die Effekte von Hausbegrünung auf das Wohnklima zu untersuchen. »Ich gehe in Bonn täglich über die Poppelsdorfer Allee. Dort gibt es zwischen den spätklassizistischen Villen eine Gebäudefront, die als einzige in der Straße Efeubewuchs hat«, sagt Edelmann. Die Eigentümer erlaubten den Kölner Biologen, Mess-Sensoren anzubringen.
Im Sommer helfen wilder Wein und Clematis gegen die Hitze, im Winter schützt immergrüner Efeu sogar vor Kälte. Temperatur, Luftfeuchte, Insektenbestand, Luftzusammensetzung und Feinstaub kontrollierten die Forscher mit sogenannten iButtons: kleinen Sensoren in den Efeuwänden und an blanken Fassaden in unmittelbarer Nachbarschaft. Sie verglichen die gewonnenen Daten aus dem Sommer 2016. »Die Efeuwand puffert die Temperatur sehr stark im Bereich zwischen 25 und 32 Grad ab, während die unbewachsene Wand Temperaturextreme bis 60 Grad aufweist«, sagt Edelmann. Bei der Luftfeuchtigkeit konnten ähnlich positive, aber nicht so stark ausgeprägte Effekte festgestellt werden.
Dr. Franz Rohrer am Forschungszentrum Jülich untersuchte schließlich in sogenannten Durchflussexperimenten den Abbau von Kohlendioxid durch den Efeu, sowie auf die Absorption (Aufnahme) von Stickoxiden und die Adsorption (Anhaftung) von Feinstaub. Sein Fazit: »Neben den Temperatureffekten hat der Efeu einen sehr positiven Effekt auf die Luftqualität: Die Luft wird gereinigt.«
Der kleine Hauswald bietet auch vielen Insekten Lebensraum, ein Aspekt, der dem Kölner Biologen besonders am Herzen liegt: »Wir hatten in den letzten Jahren etwa 80 Prozent Rückgang der Insekten zu verzeichnen – und das in Schutzgebieten. Mit der Wandbegrünung schaffen wir ein hochwertiges Biotop in der Stadt.«
Die Mensa als Forschungsobjekt
Über ein ZIM-Projekt (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, das die Kooperation von Start-ups und universitärer Forschung fördert, kam Edelmann in Kontakt mit der Firma KREBS & CONRADS, die ein spezielles Gerüst aus Pflanzsegeln konstruiert hat, mit dem man Begrünungen auch vor Glasfassaden pflanzen kann: »Das System BILLY GREEN kann als modulares Gerüst an bereits bestehenden Glasflächen angebracht werden. Man kann immer noch aus dem Fenster schauen, profitiert aber dennoch von der intensiven Beschattung und Verdunstungskühlung der Pflanzen. Die Neuentwicklung eignet sich auch zur Energieeinsparung im Bestandsbau deutscher Großstädte«, beschreibt der Kölner Forscher die Bepflanzungstechnik.
Auf der Suche nach möglichen Fensterfassaden nahm er zunächst die Geologischen Institute an der Zülpicher Straße ins Visier. »Wir haben uns das angeschaut und als ich mich umdrehte, habe ich die Fassade der Mensa Zülpicher Straße gesehen und gesagt: ›Das ist es!‹« Das Studierendenwerk sagte zu und auch die Unterstützung des Kanzlers und des Gebäudemanagements (Dezernat 5) der Universität stand. Auch an der Mensa werden Sensoren Temperatur, Luftfeuchte und andere Parameter messen.
Andreas Hirt vom Landschaftsarchitekturbüro KREBS & CONRADS ist der Mann der Praxis beim Mensaprojekt. Um optimale, klimaresistente Pflanzen zu testen, wurde je ein Euonymus fort. darts blanket (Immergrüne Kriechspindel) kombiniert mit einer Clematis montana var Grandiflora (Berg-Waldrebe) auf der linken Seite der Fensterfront gepflanzt.
»Die Clematis hat den ›Pflanzstress‹ bei 45 Grad Celsius während des Aufbaus im Juli leider nicht so gut vertragen, die werden wir zeitnah nochmal austauschen«, erklärt er. Die Clematis soll die Steher erklimmen und die oberen Pflanzsegel ausbilden. Da sie aber im Wurzelbereich keine Sonne mag, steht hier noch der Euonymus. Er beschattet die Clematis im unteren Bereich und wächst nur bis auf eine Höhe von ca. 1,5 Meter.
Auf der rechten Seite der Fensterfront steht eine Ampelopsis brevipedunculata (Ussuri-Scheinrebe). »Das ist ein ›Weinimitat‹, sie ist ursprünglich in Japan und China beheimatet, ist aber mit dem Wilden Wein verwandt«, so Hirt. Der Bereich des Torbogens wird von zwei Hopfenpflanzen von der Brauerei Gaffel erklommen, die den Terrassenaustritt aus dem Speisesaal bewachsen.
Die beste Efeuart identifizieren
Minka Aduse-Poku untersucht im Zuge seiner Doktorarbeit verschiedene Efeuarten auf ihre Wasserstressresilienz. Edelmann: »Wir überprüfen jetzt außerdem, welche Efeu-Varianten in Hinblick auf die zunehmende Stadterhitzung die besten sind. Wir wollen Fakten liefern.«
Gemeinsam mit dem 100jährigen Jubiläum des Kölner Studierendenwerks unter dem Motto #futurewerk wird das Forschungs- und Entwicklungsprojekt am 14. Oktober bei einem offiziellen »Get Together « präsentiert. Vielleicht erkennt die Öffentlichkeit ja dann, was die ältere Dame aus der begrünten Villa in Bonn Professor Edelmann mitgab: »Endlich kapiert jemand, wie gut das ist.«