Geschichte, die das Holz erzählt
Sie ist auf einem besonderen Datenträger gespeichert: Holz. Die Proben zeigen die Handelswege der Römer auf und tragen die Klimageschichte Europas in sich.
Von Eva Schissler
Mächtige Eichenstämme bildeten das Fundament der römischen Rheinbrücke und der Kaianlage in Köln. Bis zu dreizehn Meter lange Tannenbretter dienten zur Verschalung des Stadtmauerfundaments. Bei der Untersuchung solcher Hölzer aus der Römerzeit stellen Archäologinnen immer wieder fest, dass sie nicht aus den Wäldern in der Umgebung stammen können. Auch in Xanten und im niederländischen Voorburg-Arentsburg stammt ein Großteil der in römischen Häfen verbauten Eichen nicht aus der Region. Sogar in Rom wurde Eichenholz fremder Herkunft gefunden. All diese Hölzer stammen aus süddeutschen oder nordostfranzösischen Standorten. Wirklich erstaunlich ist das nicht, denn es ist bekannt, dass die Römer die Flößerei in Europa einführten. Sie transportierten als Erste große Baumstämme in ihr gesamtes Reichsgebiet.
Feststellen, woher solche Holzfunde stammen, können Forscher mithilfe der Dendrochronologie. Wird eine Eiche gefällt, ergibt die Messung ihrer Jahrringbreiten eine individuelle Signatur aus breiteren und schmaleren Ringen – wie ein Strichcode. Aus diesen Informationen haben diese aus den verschiedenen Regionen zusammenzutragen und zu verknüpfen. Damit wird eine neue dendrowissenschaftliche Landkarte Europas entstehen.«
Die Kölner Uni kann hierzu einen besonderen Beitrag leisten. Die Jahrringkalender erlauben eine präzise Datierung eines Holzes. Mit einer weiteren Methode, der Isotopenmessung, können die datierten Funde auch Aufschlüsse über saisonale Ereignisse in der Wachstumsphase der Bäume von März bis Oktober geben. Auch diese Art von Untersuchung ist in Köln mit dem Massenspektrometer »CologneAMS« möglich. Thomas Frank ist überzeugt: Das Dendrolabor mit seinen Funden aus 10.000 Jahren und das Massenspektrometer sind ein Alleinstellungsmerkmal für die Universität. »Wenn wir diese Untersuchungsmethode mit ihrer sehr feinen Auflösung noch ausbauen, kann die Uni sich in Zukunft essentiell an der holozänen Klimaforschung beteiligen.«
Isotopenmessungen – Chemische Elemente bestehen aus verschieden schweren Isotopen, oder Atomarten. Eine Untersuchung im Massenspektrometer kann diese isotopische Zusammensetzung sehr genau bestimmen. Bei Bäumen gelangt das atmosphärische Kohlenstoffdioxid durch die Blattöffnungen (Stomata) in das Blattinnere und in das Holzgewebe (Xylem). Wenn die Stomata weit geöffnet sind und das Angebot von atmosphärischem Kohlenstoffdioxid im Blattinneren hoch ist, wird das leichtere 12C Isotop bevorzugt verwertet, und das schwerere 13C-Isotop wird »diskriminiert«. Da die Öffnung der Stomata durch die Außentemperaturen, die Luftfeuchtigkeit und das Wasserangebot gesteuert werden, lassen sich so Rückschlüsse auf die Witterungsverhältnisse schließen.
Dem Klima der Jungsteinzeit auf der Spur
Zu den spektakuläreren Funden des Forschungsarchivs gehören die Überreste von drei jungsteinzeitlichen Brunnenkästen, die im Braunkohlenrevier bei Erkelenz zwischen Köln und Aachen gefunden wurden. Ihre Eichenbohlen blieben über 7.000 Jahre ein der anaeroben, also sauerstofffreien Umgebung unter der Erde erhalten. Fast immer sind es Eichen, die gefunden werden, denn sie sind das beste Baumaterial. Zum Teil sind die Funde sogar bis heute so gut erhalten, dass man sie noch verwenden könnte.
So alte, rare Funde sind besonders wertvoll, denn sie können einerseits Lücken im Jahrringkalender schließen. Andererseits geben sie Auskunft über das Klima zu der Zeit. Daten über Sommertemperaturen und Niederschläge können für bestimmte Jahre aus den Isotopenmessungen im Massenspektrometer rekonstruiert werden. Doch dendrochronologische Forschung allein reicht nicht aus, um das Klima der Vergangenheit zu rekonstruieren, betont der Archäologe.
Zunächst müssen Forscherinnen von der Gegenwart aus zurückblicken: Anhand von Holzproben aus Zeiten, in denen es bereits Klimaaufzeichnungen gab – etwa die letzten 150 Jahre – können sie Klimadaten und Merkmale der Hölzer korrelieren. Finden sie bei wesentlich älteren Holzproben dieselben Merkmale, so haben damals wahrscheinlich ähnliche klimatische Bedingungen geherrscht. Aber ganz sicher ist das nicht. »Deshalb müssen zusätzliche Proxydaten herangezogen werden, also andere Quellen, die diesen Befund stützen oder ihm widersprechen«, sagt Frank. »Wir arbeiten heute mit sogenannten Multiproxyanalysen. Wir schauen auch, was uns Meeres- und Seesedimente, Eisbohrkerne und Höhlenminerale aus dieser Zeit über das Klima sagen.« Aus diesen kombinierten Daten muss sich ein belastbares Gesamtbild ableiten lassen.
Harte Jahre für unsere Vorfahren
Die Eichenbohlen der jungsteinzeitlichen Brunnenkästen liefern wertvolle Hinweise. Die Anlagen stammen aus der Zeit zwischen 5050 und 5100 v. Chr. und waren bis zu fünfzehn Meter tief. Die Isotopenverhältnisse ihrer Jahrringe weisen auf kurzfristige Klimaschwankungen innerhalb weniger Jahre hin: Zwischen 5.350 und 5.098 v. Chr. wechselten sich feuchte und trockene, warme und kühle Phasen ab, in verschiedenen Kombinationen. Auffällig ist nach einer feucht-kühlen Phase zwischen 5.126 und 5.113 v. Chr. ein abrupter Umschwung in den Jahren 5.106 und 5.105, mit rapidem Abfall der Feuchtigkeit und gleichzeitig starkem Temperaturanstieg. Danach scheinen sich die Verhältnisse wieder zu »normalisieren«.
Solche Umschwünge können für ackerbauliche Gesellschaften sehr dramatisch gewesen sein. »Klimaschwankungen haben Einfluss auf Fauna und Flora, die die Ernährungsgrundlage bilden. Das war vermutlich sehr hart für die Menschen. Aber sie haben offensichtlich Lösungen gefunden, sodass wir heute noch hier sind«, sagt Frank.
Forschungsboom erwartet
Viele Funde werden wohl nicht mehr bei Thomas Frank landen. Bis zum Jahresende wird er das Labor noch leiten, dann geht er in den Ruhestand. »Ich werde die neue Leitung aber sicherlich noch unterstützen. Das ist keine Aufgabe, die einen einfach so loslässt«, resümiert er seine letzten zwölf Berufsjahre. In seiner Zeit als Leiter des Forschungsarchivs seit 2008 hat Frank den Umzug des Dendrolabors aus einem alten Stall in der Nähe von Lohmar in die luftige Industriehalle in Köln- Lindweiler organisiert. Der alte Lagerort war viel zu klein, und zudem völlig ungeeignet um die wertvollen Holzproben aufzubewahren und dem wissenschaftlichen Zugriff zu öffnen.
Eigentlich wollte Frank den gesamten Bestand seines Labors bis zum Ende seiner Leitungszeit archiviert haben. Doch neben dem Umzug und dem täglichen Geschäft der Datierung, Forschung und Lehre haben er und sein Team es noch nicht geschafft, alle Bestände der stetig wachsenden Sammlung zu erfassen und in die Datenbank einzupflegen. Das wird seine Nachfolge übernehmen müssen und hoffentlich in den kommenden Jahren abschließen.
Erst wenn alle Proben erfasst sind, kann die dendrowissenschaftliche Forschung in Köln systematisch voranschreiten. Frank sieht freudig der Zeit entgegen, in der es so weit ist und präzise Forschungsfragen gestellt werden können – auch wenn er selbst daran nicht mehr beteiligt sein wird. Das Team des Dendrolabors hat diesen Schatz erhalten und ihm ein würdiges Zuhause gegeben: ein Geschenk an zukünftige Generationen von Dendroforschern.