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Elefanten kennen keine Grenzen

Wenn Naturschutz auf lokale Interessen stößt

Im südlichen Afrika erstreckt sich über fünf Länder eines der größten Natur- und Landschaftsschutzgebiete der Welt. Hier erholen sich bedrohte Populationen wilder Tiere und Pflanzen. Dabei bleiben Konflikte nicht aus. Kölner Forschung ist vor Ort, wenn Naturschutz auf lokale Interessen trifft.

Von Jan Voelkel

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Abgefressene Maiskolben zeigen dem Bauern: hier waren Elefanten zu Besuch und haben sich bedient.

Auf den ersten Blick sieht das Maisfeld gut aus. Die meisten Pflanzen stehen in Reih und Glied im sandigen Boden. Bei genauerem Hinsehen geben einige allerdings ein trauriges Bild ab, denn die Stängel und die gelben Kolben sind abgefressen. Hier in der Sambesi-Region im südlichen Afrika ist Mais ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Entsprechend enttäuscht und frustriert deutet der Bauer auf seine Pflanzen. Ertragreiche Ernten einzuholen ist aufgrund schwieriger Wetter- und Klimaverhältnisse kompliziert genug, nun wurde das Feld auch noch geplündert. Dass die Übeltäter sich heimlich angeschlichen haben, kann man nicht gerade behaupten. Schließlich wiegt ein einzelner von ihnen bis zu sechs Tonnen. Elefanten bedienen sich an den Feldern, wenn sie auf den Routen ihrer Wanderkorridore über die Lande ziehen. Es besteht auch der Verdacht, dass es die Tiere gezielt auf die Felder abgesehen haben und dafür Umwege in Kauf nehmen. Denn manche Felder, die jenseits der Wanderrouten liegen, werden in den Erntemonaten März und April geplündert.

Die Region ist Teil des grenzüberschreitenden Schutzgebietes Kavango-Zambezi Transfrontier Conservation Area, kurz KAZA. Es ist eines der größten Naturschutzgebiete der Welt und erstreckt sich über Teile der Länder Botswana, Namibia, Angola, Sambia und Simbabwe. Mit drei Millionen Menschen und 520.000 Quadratkilometern Land ist KAZA ein gigantisches Umweltschutzprojekt, in dem Mensch und Tier nebeneinander koexistieren. Was zunächst idyllisch wirkt, birgt aber auch Konflikte. »Mehr Umweltschutz klingt natürlich gut. Jeder würde befürworten, dass die großartige Natur dort geschützt werden soll. Für die Bauern und die allgemeine Bevölkerung vor Ort sind die Maßnahmen aber ganz konkret und werden häufig kritisch kommentiert«, sagt der Kölner Ethnologe Professor Dr. Michael Bollig.

Des einen Freud, des anderen Leid

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Im Naturschutzgebiet können sich Mensch und Elefant in die Quere kommen. Denn auf ihrer Suche nach Nahrung machen die Dickhäuter vor nichts halt.

Bollig erforscht gemeinsam mit seinem Team im Projekt »Rewilding the Anthropocene« die Verflechtungen zwischen Menschen, Flora und Fauna im KAZA-Gebiet. In dieser riesigen Naturschutzlandschaft prallen die Auswirkungen des Anthropozäns – des Zeitalters, seitdem der Mensch die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde entscheidend prägt – besonders drastisch auf neue Bemühungen um Artenschutz und ein gesundes ökologisches Gleichgewicht. Ziel des Forschungsvorhabens ist es, die Komplexität groß angelegter Renaturierungsmaßnahmen besser zu verstehen. Diese empirischen Erkenntnisse können dann in die künftige Planung des Naturschutzes einfließen – besonders, was lokale Beteiligungsprozesse und das Zusammenleben von Mensch, Flora und Fauna betrifft.

Auf globaler Ebene sind die Ziele ambitioniert. So hat sich die internationale Staatengemeinschaft auf der letzten UN-Biodiversitätskonferenz zum Ziel gesetzt, bis 2030 weltweit 30 Prozent der Landes- und Meeresfläche unter Naturschutz zu stellen. »Wenn wir das umsetzen wollen, werden wir in der nächsten Dekade mehr solcher Großprojekte sehen. Die Probleme werden überall ähnlich sein«, ist sich Michael Bollig sicher. Entsprechend wertvoll sind die Erkenntnisse, die aus den Forschungen der Kölner Wissenschaftler*innen hervorgehen.

Dabei geht es um praktische Fragen: Wie und in welchem Ausmaß entstehen den lokalen Haushalten Vor- und Nachteile durch den Naturschutz? Wie nehmen die Menschen Umweltschutz auf lokaler Ebene wahr, wie diskutieren sie ihn und wie lassen sich Kosten und Nutzen gerecht verteilen? »Wir befassen uns mit verschiedensten Ebenen«, so Bollig. »Denn je nachdem, wen man fragt – ob lokalen Bauern oder Mitarbeiter von NGOs und Ministerien – sind die Einschätzungen dazu, was angemessen und gerecht ist, ganz unterschiedlich.« Des einen Freud ist manchmal des anderen Leid.

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Professor Dr. Michael Bollig und Doktorandin Paula Alexiou mit einem Bauern auf seinem Feld.

So etwa die Elefantenpopulation in Botswana: mit rund 130.000 Tieren die größte weltweit. Diese Tiere haben sich vermutlich einerseits durch das Verbot der Jagd von 2014 bis 2019 stark vermehrt, andererseits sind viele aufgrund des 27-jährigen Bürgerkrieges im benachbarten Angola nach Botswana eingewandert. Der Zuwachs der Elefantenpopulation ist für den Naturschutz ein großer Erfolg, denn durch Elfenbeinhandel und kriegerische Auseinandersetzungen sind die Tiere noch heute in vielen Teilen des afrikanischen Kontinents bedroht. Dabei sind sie als Verteiler von Samen und Landschaftsgestalter in Wäldern für das ökologische Gleichgewicht wichtig.
 

Stroboskop: Elefanten mögen keine Disko

Emilie Köhler erforscht als Doktorandin das Elefanten-Management in KAZA. In ihrer Forschungszeit vor Ort hat sie die NGO »Elephants without Borders« bei ihrer Arbeit in der sogenannten Chobe Enklave begleitet und Gespräche mit den lokalen Bauern geführt. Diese Enklave liegt nah am Chobe Nationalpark, einem Teil von KAZA in Botswana, und hat häufig Probleme mit Elefanten. »Mittlerweile beklagt das Land fast schon, zu viele Elefanten zu haben«, sagt Köhler. Das Problem: Die Tiere sind nicht nur Dickhäuter, sondern auch Dickköpfe. Sie beharren auf ihren Wanderrouten und zertrampeln Felder und Äcker oder futtern sich am angebauten Getreide satt.

Allerdings sind sie keine Bösewichte. Durch die Ausbreitung der Landwirtschaft und größere menschliche Siedlungen wird auch der Lebensraum der Elefanten eingeschränkt. Sie erleben rasche Veränderungen. Ressourcen und Land werden durch wachsende Mensch- und Tierpopulationen für alle knapper. Die Lebensrealität der Bauern, die den Tieren entgegensehen, ist oft hart. Manche von ihnen schlafen monatelang auf ihren Feldern und versuchen, ihre Ernte mit Trommeln oder dem lauten Knallen einer Peitsche zu schützen.

In den Interviews, die Köhler geführt hat, zeigt sich oft ein skeptischer Blick auf den Naturschutz – zumindest auf lokaler Ebene. »Die örtlichen Bauern sehen die Elefanten im Grunde als ›Eigentum‹ des Staates oder der Naturschutzorganisation an, da sie die Maßnahmen zum Schutz der Tiere vorgeben «, so Köhler. »Also müssen diese Institutionen aus der Perspektive der Bevölkerung für Kompensation sorgen.«

Es gibt auch positive Ansichten. Viele Menschen sagen, dass sie durch die Schutzgebiete mehr über Wildtiere lernen und legen Wert darauf, dass nachfolgende Generationen noch erfahren, wie Elefanten, Löwen und andere Wildtiere aussehen. Doch die staatlichen Kompensationen werden allgemein als zu gering empfunden. In der Chobe Enklave hilft daher »Elephants without Borders« den Bauern durch das Errichten verschiedener Abwehrsysteme wie elektrischer Zäune oder Stroboskoplichtern, ihre Ernte zu schützen und den Konflikt zu reduzieren. In KAZA sollen Korridore, abgestimmte Regeln und Schutzmaßnahmen der fünf Mitgliedsstaaten für ein gütliches Zusammenleben von Elefanten und Menschen sorgen. Zudem sollen Tiere langfristig von dicht besiedelten Gebieten wie Botswana und Simbabwe in bislang weniger von ihnen genutzte Gebiete in Angola umverteilt werden.

Ohne lokale Unterstützung der Chiefs geht es nicht

Dass es eine wichtige Rolle spielt, wie die lokale Bevölkerung in die Planung und den Beschluss von Naturschutzmaßnahmen einbezogen wird, betont auch die Doktorandin Paula Alexiou. Sie untersucht im KAZAGebiet und vor allem im Westen Sambias den Abbau von Rosenholz – einer lokalen Art Palisanderholz, die auf dem Weltmarkt sehr gefragt ist. Es gibt kaum verlässliche Daten über den Abbau, da ein Großteil davon illegal geschieht. »Aber seit 2020 ist Rosenholz in Volumen und Wert das meistgehandelte Produkt aus Naturschutzgebieten weltweit. Es übersteigt sogar Elfenbein in seinem Handelswert«, sagt Alexiou.

Rosenholz für den chinesischen Export. Der Wert des Holzes steigt entlang der Lieferkette enorm.

Vor allem China ist stark in den Handel involviert. Chinesische Sägewerke vor Ort kaufen Stämme ein und verarbeiten sie, ehe sie nach China verschifft werden. Die Preisspanne ist enorm. Den lokalen Autoritäten aus den Dörfern muss pro gefällten Baum gewöhnlich 100 Zambian Kwacha gezahlt werden – das entspricht rund 5 Euro. Die Sägewerke wiederum kaufen das Holz von Holzhändlern für ca. 150 Euro pro Kubikmeter, wobei ein ausgewachsener Baum mehrere Kubikmeter liefert. Die chinesischen Händler verkaufen die Stämme auf dem Weltmarkt wiederum für das 10- bis 20-fache.  Es ist eindeutig, wer in diesem Fall am meisten profitiert. Zudem war Rosenholz in Sambias westlicher Provinz unter dem traditionellen Forstgesetz eine geschützte Baumart. Der Baum durfte aufgrund seiner tragenden Früchte, die als wichtige Nahrungsquelle dienten, nicht gefällt werden. Nicht nur fällt durch die Abholzung des Baumes heute eine wichtige Nahrungsquelle weg, die Kleinbauern aus den Dörfern geben an, dass die Fruchtbarkeit der Böden beeinträchtigt wird, wodurch sie Schwierigkeiten haben, genug Ernte zu produzieren. Natur- und Umweltschutz – also die Regelung und das Management der natürlichen Ressourcen – haben hier reale wirtschaftliche Auswirkungen. Bessere und gerechtere Abbaulizensierungen können dabei helfen, diese Auswirkungen für die lokale Bevölkerung verträglicher zu gestalten.

Viele NGOs wie der WWF, aber auch die Regierungsministerien der Anreinerstaaten, versuchen daher mittlerweile Komitees auf lokaler Ebene zu gründen, in die Vertreter aus den Dörfern gewählt werden. »Gerade im Südwesten Sambias haben die traditionellen Autoritäten, also die Chiefs, sehr viel Macht«, sagt Alexiou. »Das hat auch die Regierung mittlerweile erkannt: Wenn sich wirtschaftliche Akteure um Abbau- oder Nutzungslizenzen bewerben und die Chiefs nicht zustimmen, funktioniert es nicht. Das betrifft das Holz, aber auch andere Ressourcen der Region.« Durch die Komitees und die Einbeziehung der lokalen Autoritäten haben diejenigen, die vor Ort betroffen sind, mehr Mitbestimmungsrecht und können ihre Themen selbst in die Debatten einführen.

Auch wenn es noch nicht überall reibungslos verläuft: Auf verschiedenen Ebenen gibt es die Bestrebungen, durch mehr Partizipation und besseres Ressourcenmanagement Profite gerechter zu verteilen und vor Ort zu halten. Und lokale Mitbestimmung kann dazu beitragen, die ökologischen Auswirkungen von Ressourcennutzungen besser abzuschätzen und zu minimieren.

Die Interessen von Mensch und Tier auszugleichen und zu verhindern, dass global gefragte Rohstoffe unkontrolliert abgebaut und außer Landes gebracht werden – das sind nur zwei der drängenden Fragen, mit denen sich Michael Bollig und sein Team befassen. Doch die am Beispiel des KAZA Schutzgebiets gewonnenen Erkenntnisse können weltweit helfen, den Naturschutz voranzubringen – zum Wohle der Menschen und der gesamten Flora und Fauna.

 

REWILDING THE ANTHROPOCENE

Das Forschungsprojekt wird seit Januar 2022 im Rahmen eines ERC Advanced Grant für Professor Dr. Michael Bollig vom Europäischen Forschungsrat mit insgesamt knapp 2,5 Millionen Euro gefördert. 
Das 2011 gegründete KAZA Schutzgebiet ist für seinen zukunftsweisenden Naturschutz weltweit bekannt. Das Forschungsprojekt erfasst die sich verändernden sozio-ökologischen Beziehungen zwischen Menschen und anderen Arten in einem der größten und umfassendsten Naturschutz- Experimente der Welt. Es besteht aus sechs Feldstudien, die unter anderem Elefanten und verschiedene Karnivoren, aber auch mikroben- und virusübertragene Krankheitserreger in ihren dynamischen Beziehungen zu menschengemachten Umweltinfrastrukturen und -technologien, Organisationen und auch wissenschaftlichen Aktivitäten vor dem Hintergrund der Naturschutzmaßnahmen thematisieren.
Rewilding the Anthropocene kooperiert eng mit dem Global South Studies Center (GSSC) und mit dem Kölner Sonderforschungsbereich TR228 »Future Rural Africa«, der zu den Auswirkungen von Landnutzungswandel, ökologischen Dynamiken und sich verändernden Gesellschaften im östlichen und südlichen Afrika arbeitet.

 

Weitere Infos:
GSSC | Global South Studies Center
Prof. Dr. Michael Bollig