Der Klimawandel und die Verantwortung von uns Menschen beherrschen die öffentlichen Debatten - vorangetrieben vor allem durch die »Fridays for Future« Bewegung. Dass das Ausmaß der globalen Erwärmung bedrohlich ist, lässt sich mit Fakten belegen. Ein absoluter Profi auf diesem Gebiet ist Professorin Dr. Susanne Crewell, die seit vielen Jahren in der Arktis forscht.
Das Engagement reißt nicht ab. Auch nach Monaten der Proteste gehen Schülerinnen und Schüler freitags weiter auf die Straße, um für die Zukunft unseres Planeten und einen besseren Klimaschutz zu demonstrieren. Kaum eine Talkshow, kaum eine Titelseite, die den Klimawandel und dessen Folgen nicht aufgreift. Es ist klar: Das Thema lässt sich nicht länger ignorieren. Den Schülerinnen und Schülern steht dabei auch die Wissenschaft zur Seite. In einer im Fachjournal »Science« veröffentlichten Stellungnahme, die von tausenden renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt unterzeichnet wurde, heißt es etwa: »Wir erklären: Ihre Bedenken werden durch die beste verfügbare Forschung begründet und unterstützt. Die derzeitigen Maßnahmen zum Schutz von Klima und Biosphäre sind völlig unzureichend.«
Klimawandel
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, so die Redewendung – und ein heißer Sommer noch keinen Klimawandel. Unter Wetter versteht man den kurzfristigen Zustand der Atmosphäre zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort. Der besonders trockene Sommer 2018 ist für sich genommen zunächst ein Wetterereignis. Das Klima hingegen bezieht sich auf langfristige Beobachtungen und beschreibt neben durchschnittlichen Temperaturen auch die Wahrscheinlichkeiten von extremen Wetterphänomenen. In der Regel wird hier in der Wissenschaft ein Zeitraum von 30 Jahren herangezogen. Treten über- oder unterdurchschnittliche Temperaturen, aber auch extreme Ereignisse wie Schneestürme oder Dürreperioden gehäuft und über einen längeren Zeitraum auf, zeigt dies, dass eine Veränderung des Klimas stattgefunden hat.
Dass es höchste Zeit ist, über den Klimawandel zu sprechen, davon ist auch Professorin Dr. Susanne Crewell überzeugt. Die Meteorologin forscht mit dem Transregio 172 »Arktische Verstärkung« in der nördlichen Polarregion – dem Gebiet der Erde, das vom Klimawandel am stärksten betroffen ist. Während im vergangenen Jahrhundert global die Temperatur durchschnittlich etwa ein Grad Celsius stieg, erhöhte sie sich in der Arktis um zwei bis drei Grad. »Dieses Phänomen der sogenannten "arktischen Verstärkung" versuchen wir besser zu verstehen. Denn obwohl die Arktis eine zentrale Region in Bezug auf den Klimawandel ist, ist sie noch nicht besonders gut erforscht«, sagt Crewell. Eine Erwärmung der Arktis führt zu einer geringen Ausdehnung des Meereises und einer veränderten ozeanischen und atmosphärischen Zirkulation. Das wiederum fördert eine weitere Erwärmung und treibt neben der arktischen Verstärkung auch den globalen Klimawandel weiter voran. Die Arktis und die dortige Klimaforschung sind also am Ende des Tages auch für unsere Breitengrade relevant.
Eine Expedition der Superlative
Im September steht für die deutsche und internationale Klimaforschung ein ganz besonderes Highlight an: ein Projekt, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Bei der Forschungsexpedition MOSAiC des deutschen Forschungsschiffs »Polarstern« lassen sich Forscherinnen und Forscher 17 Monate lang im arktischen Eis einfrieren und vom natürlichen Drift über die Polkappe treiben. MOSAiC ist die größte Arktis-Forschungsexpedition aller Zeiten. Es nehmen insgesamt 600 Menschen aus 17 Ländern daran teil, von denen jede Person sechs bis zwölf Wochen auf dem Schiff verbringt. Wenn das Forschungsteam im September 2019 ins arktische Eis aufbricht, wird Crewell selbst zwar nicht an Bord sein, dafür aber ein für ihren Transregio speziell entwickeltes Gerät: MiRaC (Microwave Radar/Radiometer for Arctic Clouds) bestimmt den Flüssigkeitsgehalt von Wolken und vermisst sie mithilfe von Radarstrahlen. Eine weitere Komponente, das Mikrowellenradiometer, liefert Informationen über die Feuchtigkeit der Atmosphäre und den Gehalt an Eiswasser. Damit kann das Team des Transregio ein differenziertes Bild der Wolken und der Atmosphäre in der Arktis zeichnen.
MOSAiC
Unter Leitung des Alfred- Wegener-Instituts und mit Kölner Beteiligung bringt die Expedition erstmals einen modernen Forschungseisbrecher beladen mit wissenschaftlichen Instrumenten im Winter in die Nähe des Nordpols. Ziel von MOSAiC ist es, den Einfluss der Arktis auf das globale Klima besser zu verstehen. Die Expedition wird Daten liefern, die in der Klimaforschung noch für Generationen wertvoll sein werden. Doch die Mission stellt alle Beteiligten auch vor noch nie dagewesene Herausforderungen: Eine internationale Flotte von Eisbrechern, Helikoptern und Flugzeugen muss das Team auf dieser extremen Route versorgen.
Arktische Wolken können kühlend oder erwärmend wirken. Die Forscherinnen und Forscher um Crewell versuchen daher im Nordpolarmeer zu ermitteln, welche Rolle die Wolken bei der arktischen Verstärkung spielen. Vor allem die Randgebiete der arktischen Eisfläche haben einen sehr starken Einfluss auf die Wolken und dadurch auf den Energiehaushalt der Arktis. Aber die Erforschung ist kompliziert: Nach aktuellen Erkenntnissen können sich Wolken, die über die Meereiskante strömen, in nur wenigen Stunden deutlich ändern. Die Bedingungen sind zudem durch das refl ektierende Eis und die niedrig stehende Sonne im Gegensatz zu Wolken in Mitteleuropa komplexer.
Ob eine Wolke erwärmend oder kühlend wirkt, hängt außerdem davon ab, ob sie aus Eiskristallen oder Wassertröpfchen besteht und wie groß die Teilchen sind. »Diese Effekte und das Zusammenspiel sind bisher noch unzureichend beschrieben, weil Modellierungen und Messungen bisher sehr schwierig sind und eine enorme Variabilität zeigen«, sagt Crewell. Da das Gerät mobil ist, kann MiRac auch aus dem Flugzeug, von einem Schiff oder vom Boden aus die Wolken vermessen. Außerdem operiert das Gerät mittlerweile weitestgehend autonom. »Die MiRaC-Daten, die wir bisher gewinnen konnten, deuten darauf hin, dass sich die Eigenschaften der Wolken beim Übergang vom Meereis auf den Ozean deutlich verändern«, fügt die Klimaforscherin hinzu.
Bisher können die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Grunde nur auf polarumlaufende Satelliten zurückgreifen, die keine durchgängige zeitliche Überwachung zulassen und gerade in den Polargebieten ungenau sind. Auch Messballons, die vor Ort zum Einsatz kommen, sind nicht der Weisheit letzter Schluss, da die Frequenz, mit der Messdaten erhoben werden, recht niedrig ist. Das MiRAC-Gerät misst hingegen in einer hohen Frequenz in Intervallen von einer Sekunde. Wenn sich die »Polarstern« ein ganzes Jahr rund 2.500 Kilometer durch das Packeis treiben lässt und dabei im Durchschnitt rund sieben Kilometer am Tag zurücklegt, kommt eine enorme Datenmenge zusammen. »MOSAiC wird für uns besonders spannend. Von Februar bis Juni kommt eigentlich kein Eisbrecher durchs Nordpolarmeer, weil das Eis zu dick ist. Dadurch, dass die _Polarstern_ aber eingefroren ist und sich treiben lässt, bekommen wir erstmals umfassende Daten auch aus den Wintermonaten und durch Bodenmessungen«, sagt Crewell. Mit den so gewonnenen Daten können aktuelle Klimamodelle angepasst und genauere Prognosen für Klimaveränderungen erstellt werden.
Den Klimawandel unterschätzt
Dass diese Klimaforschung in der Arktis auch für uns hier in Deutschland und im Wesentlichen für den ganzen Planeten von Bedeutung ist, liegt für Crewell auf der Hand. Denn wenn es um Klima und Wetterphänomene geht, ist alles mit allem verbunden. Der Austausch von Luftmassen in der Arktis und die Veränderungen der dortigen Verhältnisse haben ganz unmittelbare Konsequenzen für den Rest des Planeten. Crewell: »Wenn zum Beispiel in den USA der Klimawandel angezweifelt wird, weil es dort mehr Schneestürme gibt, dann muss ich sagen: Ja, genau das kann passieren. In Zukunft wahrscheinlich sogar verstärkt.« Denn, vereinfacht gesagt: Wenn vermehrt warme Luft in die Arktis strömt, muss es anderswo zu Kältephänomenen kommen, damit ein entsprechender Austausch der Luftmassen stattfindet.
Bei aller Spannung auf die zu erwartenden Daten bedauert Susanne Crewell, dass sie dieses Mal nicht persönlich mit dabei sein kann: »Die Arktis ist so etwas wie meine alte Liebe. Ich forsche seit meiner Promotion darüber. Das macht es dann mitunter auch so frustrierend, wenn Dinge, die in der Wissenschaft seit Jahrzenten immer wieder vorgetragen werden – wie zum Beispiel das Ausmaß des Klimawandels und die Rolle des Menschen – in manchen Köpfen noch immer nicht angekommen sind.«
Dabei ist die Arktis für uns so etwas wie ein Frühwarnsystem für den Klimawandel. Bei Veränderungen der Polarregionen sollten wir also hellhörig sein und genau hinschauen, darin sind sich Forscherinnen und Forscher weltweit einig. »Unsere Modelle und Messungen deuten sogar darauf hin, dass wir den Klimawandel bisher eher noch unterschätzt haben. Es könnte auch in unseren Regionen noch schlimmer kommen. Und wenn wir die Arktis nicht verstehen, dann können wir das gesamte Problem nicht verstehen. Dass die junge Generation sich so engagiert, finde ich daher richtig und wichtig«, resümiert die Klimaforscherin.
SFB/TRR 172: ARKTISCHE VERSTÄRKUNG: KLIMARELEVANTE ATMOSPHÄREN- UND OBERFLÄCHENPROZESSE UND RÜCKKOPPLUNGSMECHANISMEN (AC)3
Ziel des Sonderforschungsbereich/Transregio 172 ist es, das Wissen über die Ursprünge der arktischen Klimaveränderungen zu erweitern und die Genauigkeit der Vorhersagen zu verbessern. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler führen in Forschungskampagnen Beobachtungen von Messinstrumenten auf Satelliten, Flugzeugen, luftgetragenen Ballonplattformen, Forschungsschiffen und bodengebundenen Stationen zusammen und kombinieren sie mit Langzeitmessungen. In der aktuellen ersten Phase liegt der Fokus auf atmosphärischen und Bodenprozessen. In einer zweiten Phase werden dann voraussichtlich die Wechselwirkungen zwischen ozeanischen und atmosphärischen Komponenten der arktischen Verstärkung sowie die verbundenen globalen Aspekte genauer untersucht. Am SFB/TRR 172 sind die Universitäten Leipzig, Köln und Bremen sowie das Alfred-Wegener- Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven und das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung e.V. in Leipzig beteiligt.
Weitere Informationen
Webseite Prof'in Dr' Susanne Crewell
Institut für Geophysik und Meteorologie