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Eine zweite grüne Revolution

Kölner BiologInnen erkunden neue Wege, um Nahrungspflanzen zu gewinnen.

Schlechte Ernten als Folge des Klimawandels gefährden die Ernährung der Weltbevölkerung. Wie aber lässt sich gegensteuern? Kölner Biologen und Biologinnen erkunden neue Wege, um Nahrungspflanzen zu gewinnen, die ertragreich und gesund sind, zugleich Hitze, Dürre und neuen Krankheiten trotzen.

Von Dieter Dürand

Fast liebevoll inspiziert Dr. Markus Stetter die Reihen seiner Amaranthe, die in einem Garten nahe dem Biozentrum der Kölner Universität wachsen. Der Leiter der Arbeitsgruppe »Crop Evolution« zieht groß- und kleinwüchsige Arten dieser Fuchsschwanzgewächse, deren voluminöse, teils knallig dunkelrot oder blassgelb leuchtende Blütenstände ihren deutschen Namen erklären. Naturkostläden vermarkten die feinen Samen der Pflanze, die an Hirse oder Quinoa erinnern, als vitalreiches Superfood etwa fürs Müsli. Sogar ins Sortiment einer bekannten eckig-quadratisch-guten Schokoladenmarke haben sie es geschafft.

Portrait  Dr. Markus Stetten
Dr. Markus Stetter im Biozentrum der Universität Foto: Jan Voelkel

Den 32-Jährigen – dunkle Haare, flotter Dreitagebart, legeres Baumwollhemd – faszinieren aber ganz andere Eigenschaften seiner Amaranthe. Anhand ihres Erbguts schaut er 10.000 Jahre in ihrer Evolution zurück. Er will im Detail verstehen, wie aus der Wildunter dem Einfluss früher Landwirte unter den Inkas und Azteken eine kultivierte Pflanze wurde. Und wie sich ihr Genom im Laufe der Domestizierung den wechselnden Umweltbedingungen und den Wünschen ihrer Züchter angepasst hat, um sich rund um den Globus verbreiten und behaupten zu können. Der Blick in die Vergangenheit, da ist sich Stetter sicher, könnte helfen, die heutigen pflanzlichen Hauptnahrungsquellen wie Weizen, Mais oder Reis mit Merkmalen auszustatten, die sie widerstandsfähiger gegen Trockenheit und Hitze machen und zugleich die Ernten und den Nährstoffgehalt verbessern. »Wenn wir der Evolution ihre Geheimnisse entlocken, können wir viel gezielter neue ertragreiche und resistente Sorten entwickeln «, sagt er in unverkennbarer schwäbischer Sprachfärbung.

Extremwetter kann alle Pläne durchkreuzen

Die Zeit dafür drängt. Denn bis zum Jahr 2050 muss die Nahrungsmittelproduktion nach Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) verdoppelt werden, um die dann neun Milliarden Menschen auf unserem Planeten ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Derzeit bevölkern knapp 7,8 Milliarden Menschen die Erde.

Professor Dr. Stanislav Kopriva, stellvertretender Sprecher von CEPLAS, ist überzeugt: Ohne Pflanzenforschung ist der Hunger auf der Welt nicht zu besiegen. Foto: Jan Voelkel

Doch der sich rapide beschleunigende Klimawandel könnte alle Anstrengungen durchkreuzen, sorgen sich Ernährungsexperten in aller Welt. Extremwetter mit Stürmen, Hagel und Überflutungen, aber vor allem steigende Temperaturen und zunehmende Trockenheit in vielen Regionen sind Gift für die meisten Nahrungspflanzen, setzen sie extrem unter Stress.

Das dritte Dürrejahr in Folge zehrt auch in unseren Breiten das Land aus. Eine jüngste Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung sagt voraus, dass sich die von Wassermangel betroffenen Ackerflächen in Mitteleuropa bis Ende des Jahrhunderts fast verdoppeln – auf mehr als 40 Millionen Hektar, ein Gebiet größer als Deutschland. Eine furchteinflößende Entwicklung, findet Professor Dr. Stanislav Kopriva vom Institut für Pflanzenwissenschaften. Der Biologe ist Sprecher des Kompetenzfeldes »Food Security« an der Kölner Uni und zugleich stellvertretender Sprecher des Exzellenzclusters CEPLAS. Der Exzellenzcluster bündelt die Ressourcen und Kompetenzen der Unis in Köln und Düsseldorf mit denen des Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüchtungsforschung und des Forschungszentrums Jülich. »Wir brauchen eine zweite grüne Revolution«, ist der gebürtige Tscheche überzeugt. Und CEPLAS will in der Grundlagenforschung dafür gewichtige Beiträge liefern, so das hoch gesteckte Ziel. Anders lasse sich der Anspruch der FAO nicht einlösen, betont Kopriva, dass jeder Mensch jederzeit sicheren und ausreichenden Zugang zu Nahrung haben soll. Davon, zitiert er eine Studie, sei die Menschheit immer noch weit entfernt:

Zwei Milliarden Menschen sind demnach mangelhaft ernährt; drei Millionen Kinder sterben jährlich an der Unterversorgung. 

Kohlendioxid vermindert den Nährstoffgehalt

Erschreckende Zahlen – und der Klimawandel verschärft die Situation gerade rapide.  Neben Hitze und Dürre setzen neue Schädlinge und Krankheiten den Pflanzen zu. Und auch die wachsende Konzentration an Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre wird Kopriva zufolge »zum Problem«. 

Zwar verbessert ein höherer CO2-Gehalt tendenziell das Wachstum der Pflanzen und erhöht auf diese Weise die Ernteerträge.  Zugleich sinkt jedoch der Anteil an lebenswichtigen Proteinen und mineralischen Spurenelementen im Korn. Denn die effektivere Fotosynthese bei höherem CO2-Gehalt nutzt die Pflanze vor allem, um Stärke zu bilden – zu Lasten der anderen Nahrungsbestandteile. 

Besonders Reis, aber auch Weizen, Gerste und Gemüse sind von der Verschiebung betroffen – mit dramatischen Folgen. Kopriva verweist auf Studien, wonach künftig weitere 200 Millionen Menschen zu wenige Proteine über die Nahrung erhalten könnten.  Auch Eisen, Kalzium, Selen, Magnesium und etwa Zink werden zum Mangel, der Menschen erkranken lässt. Betroffen sind vor allem Schwellen- und Entwicklungsländer, in denen heute schon Milliarden Menschen, darunter viele Kinder und Schwangere, beispielsweise an Blutarmut (Anämie) leiden. »Wir müssen in der Pflanzenzüchtung umdenken«, fordert Kopriva, »und statt der Kalorien die Nahrungsqualität in den Fokus nehmen.« 

Große Potentiale sieht der Biologe in seinem Spezialgebiet, dem vertieften Verständnis der Interaktion zwischen den Pflanzen und den Bodenmikroorganismen.  »Hier sind wir Kölner Forscher führend auf der Welt«, konstatiert er selbstbewusst.

Amaranthsamen: Um der genetischen Verödung der hochgezüchteten Superpflanzen entgegenzuwirken, wollen CEPLAS-Forscher von der Widerstandsfähigkeit alter Nutzpflanzen lernen. Foto: Jan Voelkel

Vom Unkraut lernen, was Pflanzen widerstandsfähig macht 

Koprivas Modellpflanze, an der er das komplexe Wechselspiel studiert, ist ein anspruchsloses und äußerst robustes, schnell wachsendes Unkraut: Arabidopsis thaliana. Die Thales- oder Ackerschmalwand, so heißt sie auf Deutsch, eignet sich auch deshalb als perfektes Studienobjekt, weil sie unter den unterschiedlichsten, teils extrem lebensfeindlichen Standortbedingungen praktisch rund um die Welt wuchert – von Nordschweden bis nach Afrika, von den USA bis Taiwan. Sie überlebt acht Monate unter Schnee ebenso wie wochenlange Dürren. Darüber hinaus ist ihr Genom komplett entschlüsselt, sodass man es mit dem anderer Pflanzen vergleichen kann.  

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Kopriva wollen der Pflanze die Geheimnisse ihrer enormen Anpassungsfähigkeit entlocken. Was sie schon wissen: 98 Prozent des Genoms der diversen Populationen ist identisch. »Uns interessieren die zwei Prozent, die den Unterschied ausmachen«, sagt Kopriva.

Mit der Entschlüsselung der spezifischen Genabschnitte, die zum Beispiel bestimmte Bakterien an den Wurzeln dazu animieren, der Pflanze Schutzstoffe gegen Schädlinge bereitzustellen, oder ihr helfen, vorhandene Nährstoffe im Boden wie Schwefel oder Eisen effektiver zu verwerten, wäre nach Koprivas Überzeugung ein Meilenstein geschafft. Diese Erkenntnisse könnten gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft in die Anwendung übertragen werden. So gewonnene neue Sorten würden nicht nur resistenter, sondern kämen womöglich auch  mit weniger Wasser und Dünger aus – und lieferten trotzdem höhere Erträge.

Große Potentiale sieht der Forscher zudem darin, etwa Raps so zu konstruieren, dass alle seine Teile bestmöglich nutzbar sind: das Öl aus den Samen für die Ernährung, das Stroh für die Erzeugung von Biogas, der Rest als Tierfutter. »Wir brauchen einen integrativen Blick«, sagt Kopriva.

vergrößern: Schematische Grafik Einluss Klimawandel auf Ernährungssysteme
Foto: Cube29 – Shutterstock.com

Nahrungsvielfalt statt Superpflanzen

Als die Vereinten Nationen in den 1960er Jahren die erste grüne Revolution ausriefen, um die Hungersnöte in vielen armen Ländern zu lindern, war der Ansatz noch ein anderer. Die Pflanzenwissenschaftler züchteten gezielt sogenannte Supersorten an Weizen, Reis und Mais, mit denen die Landwirte unabhängig vom Standort große Ernten einfahren sollten. Unter Einsatz von Stickstoffdünger für das Wachstum und allerlei Pestiziden gegen Schädlinge.

Tatsächlich brachte das Konzept wahre Sprünge bei der Getreideproduktion. »Es hat Millionen Menschen das Leben gerettet«, betont Amaranth-Forscher Stetter. Der Preis sei jedoch eine zunehmende genetische Verödung. Heute garantierten gerade mal eine Handvoll Arten 90 Prozent der Welternährung. Eine riskante Wette.

Die Idee der Superpflanzen stoße zunehmend an Grenzen, warnt Stetter. Er plädiert für eine neue Nahrungsvielfalt, angepasst an die lokalen Ressourcen und Bedingungen. Doch weil sich das Klima gerade in einem erdgeschichtlich einmaligen Tempo ändere, käme die Evolution kaum hinterher. Hier sieht er eine »gewaltige Aufgabe « für die Pflanzenbiologie. Bisher vergingen rund zehn Jahre von der ersten Kreuzung bis zu einer neuen Sorte. »Wenn es uns gelänge, diese Spanne mithilfe unserer Computermodelle und unserem besseren Verständnis der komplexen Zusammenhänge in der Natur zu halbieren, könnten wir viel schneller auf den rasenden Wandel reagieren«, sagt Stetter.

Und noch etwas hält er für entscheidend. Um der Landwirtschaft und der Forschung die unglaubliche Vielfalt an Strategien wieder in vollem Umfang zugänglich zu machen, die Pflanzen in Jahrmillionen zum Überleben entwickelt haben, müsse diese Diversität nach Möglichkeit wieder zurück gewonnen werden. »Das verschafft uns ganz neue Handlungsoptionen. «

Natürliche Lebensräume stärken

Nur wenige Türen entfernt von Stetters Büro forscht Dr. Juliette de Meaux am Institut für Pflanzenwissenschaften. Die Professorin teilt seine Einschätzung voll und ganz. Mehr noch: Die Französin mit dem rotbraunen Haarschopf will bei diesem Thema den Tunnelblick vermeiden. »Wir haben extreme Pflanzen selektiert, dabei aber die Ökosysteme, in denen natürliche und diverse Pflanzenarten gedeihen, viel zu wenig in den Blick genommen.«

Professorin Dr. Juliette de Meaux: Für die Zukunft müssen wir nicht nur widerstansfähige Pflanzen, sondern auch intakte Ökosysteme schaffen. Foto: Kim Steiger

Das räche sich jetzt, sagt de Meaux. Die Wissenschaft weiß kaum, wie ungezüchtete, natürliche Pflanzen es schaffen, nachhaltig mit Hitzestress und Trockenheit umzugehen, ohne den Ertrag zu beeinträchtigen. »Das fällt uns jetzt auf die Füße.«

Genetische Untersuchungen werden allzu oft in sehr kontrollierten Bedingungen durchgeführt, fährt die Biologin fort und schüttelt leidenschaftlich den Kopf, welche die Vorgänge in der realen Natur nur unzureichend widerspiegeln. Die blinden Flecken erschwerten jetzt die Anpassung an den Klimawandel. Ihre Forderung: »Es wird höchste Zeit, viel stärker auf dem Gebiet der ökologischen Genetik zu forschen und von der Biodiversität zu lernen.«

Leider geht auch in der Natur zunehmend Biodiversität verloren, aus der wir viel gewinnen könnten. De Meaux macht sich für die Wiederherstellung großer zusammenhängender natürlicher Lebensräume stark. Deren Zerstückelung habe dazu geführt, dass Pflanzenpopulationen nicht nur immer kleiner würden, sondern auch ihr Genpool verarme. Die Gefahr laut de Meaux: Auch »nicht so tolle « Eigenschaften könnten sich durchsetzen und die Auslöschung bedrohter Pflanzenarten beschleunigen.

Doch die Forscherin macht auch Hoffnung. Sie verweist auf eine Methode der Ökosystemrestaurierung, die sich in Feldversuchen als vielversprechend erwiesen hat: dem Heutransfer. Dabei mähen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etwa intakte artenreiche Wiesen ab und verteilen den Schnitt auf verödete Flächen. »Das funktioniert gut«, berichtet de Meaux, »wir haben gezeigt, dass diese Methode die Vielfalt schont und vielleicht sogar fördert.« Damit könnten bedrohte Arten eine verbesserte Ausgangsbasis bekommen, wirksame Strategien gegen Hitze- und Trockenheitsstress zu finden. Aus diesen Strategien könnte auch die Pflanzenzüchtung lernen.

So gibt denn auch keiner der drei Wissenschaftler aus Köln den Kampf gegen den Klimawandel verloren – zumindest wenn es um unsere künftige Nahrungssicherheit geht. Allerdings dürften wir keine Zeit mehr verlieren, warnt de Meaux: »Die Herausforderungen sind enorm. Um sie zu meistern, muss die Pflanzenforschung ihr Wissen und ihre Kompetenzen weit effektiver mit ökologischen Informationen bündeln als bisher.« Der Exzellenzcluster CEPLAS bietet ihr und anderen den Rahmen, um diese Fragen flächendeckend, koordiniert und interdisziplinär zu erforschen.

CEPLAS – EXZELLENZCLUSTER FÜR PFLANZENWISSENSCHAFTEN
SMARTe Pflanzen für die Anforderungen von morgen CEPLAS ist der einzige Exzellenzcluster Deutschlands auf dem Gebiet der Pflanzenforschung. Das wissenschaftliche Ziel des Clusters ist, die Grundlagen und das Zusammenspiel komplexer Pflanzenmerkmale zu erforschen, die einen Einfluss auf die Anpassung an begrenzte Ressourcen und den Ertrag haben. Dies ermöglicht die Entwicklung und Züchtung von (Nutz-)Pflanzen, die vorhersagbar auf künftige Herausforderungen reagieren (»SMARTe Pflanzen«). CEPLAS bündelt die Ressourcen der Universitäten Düsseldorf und Köln, des Max-Planck- Instituts für Pflanzenzüchtungsforschung und des Forschungszentrums Jülich zu einem international führenden Forschungszentrum. Der interdisziplinäre Ansatz des Clusters umfasst vier Forschungsfelder:
 - Optimierung der pflanzlichen Leistungsfähigkeit durch Untersuchung der Schnittstelle zwischen Stoffwechsel und Entwicklung
 - Stoffwechsel-Netzwerke zwischen Pflanzen und Mikroben und Anpassung an Bodenbedingungen
 - Synthetische Biologie und Rekonstruktionsbiologie
 - Theoretische Pflanzenwissenschaften und Datenwissenschaften