Das kleine grüne Plastikarmband besitze ich noch nicht sehr lange. Ich habe es vor einigen Monaten von P. bekommen. P. ist unsere Nanny in Bethesda, Maryland. Bethesda bildet einen Teil des wohlhabenden Speckgürtels um Washington, D. C., und ich lebe mit meinem Partner und meiner Tochter hier während ich Feodor Lynen-Forschungsstipendiatin an der Catholic University of America bin.
P. lebt in Silver Springs. Auch Silver Springs ist ein Vorort von Washington, aber auf der anderen Seite der Stadt – der Seite, in der die Kinder- und Müttersterblichkeit nahezu vergleichbar zu der eines Entwicklungslandes sind. P. fährt jeden Morgen mit dem Bus nach Bethesda und oft erzählt sie mir, mit wem sie sich im Bus unterhalten hat. An diesem Tag begann sie ihre Erzählung mit den Worten "Today the weirdest thing happened": Ein etwa 20 Jahre älterer Mann – P. ist Mitte 20 – hatte sich im Bus neben sie gesetzt. Er habe sie schon öfter im Bus gesehen und sie erinnere ihn an seine Tochter. In der letzten Woche sei er in New York gewesen und habe Mitbringsel für seine Tochter gekauft; für P. habe er bei dieser Gelegenheit ein Armband mitgebracht. Er überreichte ihr ein goldgrünes Plastikarmband, das P. zunächst nicht annehmen wollte. Da ihr Sitznachbar jedoch insistierte, nahm sie es schließlich entgegen. P. gefiel das Armband sehr gut, sie wollte es nicht wegschmeißen, aber auch nicht tragen. Daher fragte sie mich, ob ich es haben wolle. Seitdem ist es in meinem Besitz.
Es liegt auf einer Kommode, täglich sticht es mir dort mehrmals ins Auge. Dann denke ich an P. und die vielen unterschiedlichen Menschen mit den verschiedensten Intentionen, die ihr auf ihrer täglichen kleinen Reise von Silver Springs nach Bethesda begegnen. Ich glaube, ich werde das goldgrüne Plastikarmband mit nach Köln nehmen, wenn ich nach Deutschland zurückkehre.