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Ein Gerechter in einer dunklen Zeit

Ehrendoktorwürde für den Ankläger der Nürnberger Prozesse, B. Ferencz

Benjamin Berell Ferencz hat die Ehrendoktorwürde der Rechtswissenschaftlichen Fakultät erhalten. Der amerikanische Völkerrechtler war Ankläger in den Nürnberger Prozessen und gilt als eine der treibenden Persönlichkeiten hinter der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes.  

Von Robert Hahn   

»Mein persönlicher Held«, eine »herausragende Karriere«, ein »langes Leben im Dienst internationaler Justiz«. Wer ist es, den angesehene Kollegen und Kolleginnen so loben?

Benjamin B. Ferencz: Flüchtlingskind aus Rumänien, aufgewachsen in der New Yorker »Hell’s Kitchen«, Harvard-Absolvent und Ankläger im berüchtigten Einsatzgruppen- Prozess, der von 1947 bis 1948 stattfand und in dem 22 SS-Offiziere und Unteroffiziere verurteilt wurden. Und vor allem: Einer der Väter des Internationalen Strafgerichtshofes. Der Hundertjährige kann auf eine kaum glaubliche Karriere als Völkerrechtler zurückblicken, in der er an einer ganzen Serie historischer Ereignisse und Veränderungen als einer der wichtigen Protagonisten teilgenommen hat.

Von Hell’s Kitchen nach Harvard

Benjamin Ferencz wurde 1920 als Sohn eines jüdischen Schumachers in Rumänien geboren, der in den 1920er Jahren nach Amerika auswanderte. Seine Eltern ließen sich in Hell's Kitchen in Manhattan nieder, einem von bitterer Armut geprägten Einwandererviertel. »Hell’s Kitchen, ja, das kam nahe an die Hölle. Eine Gegend mit hoher Kriminalität«, erinnert sich Ferencz im Gespräch mit dem Kölner Völkerrechtler Professor Claus Kreß. »Wir lebten in einem Keller. Mein Vater konnte nur einen Job als Hausmeister kriegen. Niemand in New York wollte handgemachte Schuhe.«

Dank seines herausragenden Intellekts und seiner Zielstrebigkeit schaffte er es, nicht nur in der Schule erfolgreich zu sein, sondern später auch an der Harvard Law School zu brillieren. Er studierte dort bei dem bekannten amerikanischen Rechtswissenschaftler Roscoe Pound und arbeitete Professor Sheldon Glueck zu, der zu dieser Zeit ein Buch über Kriegsverbrechen schrieb.

Vom Holocaust zum Internationalen Strafgerichtshof

Während des Zweiten Weltkriegs nahm Ferencz als Soldat an der Ardennenoffensive teil. Nach dem Krieg diente er als Ermittler für den Chefankläger der Nürnberger Nachfolgeprozesse, Telford Taylor. »Ich habe alle Schrecken der Konzentrationslager gesehen. Das war mein Job: schnell da reingehen, bevor die SS die Beweise vernichten kann.«

Als Leiter einer Kommission, die Beweismaterial für die Anklage der Hauptkriegsverbrecher der Nürnberger Prozesse finden sollte, sammelte Ferencz nicht nur Beweise vor Ort, sondern auch Akten und Aufzeichnungen der Nazi-Bürokratie. Dabei fand er Beweise für Kriegsverbrechen, die den Alliierten bis dahin unbekannt gewesen waren: die Ermordung von 600.000 bis zu einer Millionen Menschen in Osteuropa durch SS-Einsatzgruppen.
 

vergrößern: Gerichtsstand 1947/48
Gerichtsstand, Einsatzgruppen-Prozess (1947/48)

Er initiierte daraufhin den »Einsatzgruppen-Prozess«, der zu den Verfahren vor US-amerikanischen Militärgerichten zählte, die dem Hauptkriegsverbrecherprozess nachfolgten. Ferencz wurde, gerade 27 Jahre alt, zum Chefankläger in diesem historischen Strafprozess ernannt. Alle 22 Angeklagten wurden schuldig gesprochen.

Die Erlebnisse nach dem Zweiten Weltkrieg blieben maßgeblich für sein weiteres Wirken. »Jene Tage hatten einen traumatischen Effekt auf mich.« Seine Aufgabe sah er darin, das Völkerrecht so weiterzuentwickeln, dass nicht mehr das Recht des Stärkeren galt und Aggressionen zwischen Staaten unterbunden werden können. »Was ich versuche ist, Kriege zu verhindern«, so der Rechtswissenschaftler.

Ab den 1970er Jahren begann er deshalb an der nächsten wichtigen Aufgabe zu arbeiten: Die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs. Dieser wurde 1998 in Rom mit der Verabschiedung von dessen Gründungsvertrag, dem Römischen Statut, Realität. Die diplomatische Konferenz vom Sommer 1998 ist auch der Ursprung von Benjamin Ferencz‘ Verbindung mit der Kölner Juristenfakultät.

Bei der Gründung des Gerichtshofs begegnete ihm Professor Claus Kreß, Inhaber des Lehrstuhls für deutsches und internationales Strafrecht und Direktor des Institute for International Peace and Security Law der Universität zu Köln, als Mitglied der deutschen Regierungsdelegation, die von Ferencz viel guten Rat erfuhr. Aus dieser Begegnung erwuchs ein langjähriger freundschaftlicher Austausch, der vor allem das große politische Ringen um die Definition des Verbrechens des Angriffskriegs zum Gegenstand hatte. Dieses Verbrechen stand in Nürnberg im Zentrum, es war jedoch hiernach hochumstritten geblieben. Erst im Dezember 2017 führten die internationalen Verhandlungen, die Ferencz intensiv begleitet hat, zu einem Durchbruch.

Kritischer Rückblick der Fakultät auf ihre Geschichte

Die Verleihung des Ehrendoktors an Professor Ferencz nahm die Rechtswissenschaftliche Fakultät auch zum Anlass einer öffentlichen Stellungnahme zu ihrer Geschichte im Nationalsozialismus und zu ihrer Verbindung mit dem Nürnberger Prozess. Dies schloss vor allem die Erinnerung an den weltberühmten Rechtstheoretiker sowie Verfassungs- und Völkerrechtler Hans Kelsen ein, der für kurze Zeit in Köln gelehrt hat.

Benjamin Ferencz 2012 im Gerichtssaal 600, wo von 1945 bis 1949 die Nürnberger Prozesse stattfanden.

Ein wichtiger Moment der kritischen Erinnerung der Fakultät war 2016 die erste Kölner Hans Kelsen Memorial Lecture on International Peace and Security Law. Hierin hatte Scott J. Shapiro, Professor für Recht und Philosophie an der Yale Law School, insbesondere an Hans Kelsen erinnert, der seiner jüdischen Herkunft wegen nach dem NS-Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1933 als Hochschullehrer beurlaubt und 1934 in den Ruhestand versetzt worden war.

Carl Schmitt, zeitweise Kronjurist der Nazis und Urheber unsäglicher antisemitischer Hetztiraden, war der einzige Kölner Kollege Kelsens, der eine an die preußische Regierung gerichtete Petition der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zugunsten Kelsens nicht unterschrieb. Kelsen beriet die Regierung der Vereinigten Staaten später bei der Vorbereitung des Nürnberger Prozesses. Shapiro machte deutlich, dass bislang vor allem Professor Hermann Jahrreiß die Verbindung der Kölner Rechtswissenschaft zu den Nürnberger Prozessen verkörpere. Jahrreiß hatte in Nürnberg für die Verteidigung gegen die Strafbarkeit des Angriffskriegs plädiert, und dies womöglich unter Nutzung eines Gutachtens, das Carl Schmitt zur Verwendung in Nürnberg gefertigt hatte.

Claus Kreß erinnerte an die »traurige Tatsache« der Entlassung und Vertreibung Kelsens und sagte: »Die Frage ist, ob das Wirken von Professor Jahrreiß als Rektor der Universität Köln die letzte sichtbare große Verbindung Kölns zu Nürnberg bleiben wird. Wir glauben, dass dies nicht der Fall sein sollte.«

Rektor Freimuth, stellte in seiner Ansprache fest, »dass es eine große Ehre für unsere Universität ist, dass Sie es akzeptiert haben, unser Ehrendoktor zu sein, einer von uns zu sein.« Professor Dr. Ulrich Preis, der Dekan der Fakultät, betonte, dass bereits der Name Benjamin Ferencz Grund genug für die Verleihung der Ehrendoktorwürde sei: »Dr. Ferencz‘ fast lebenslanger Beitrag zur internationalen Justiz kann nur als herausragend bezeichnet werden«, sagte er.