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Ein Gehirn auf zwei Beinen

Prof. Dr. Ansgar Büschges, Zoologie, über ein laufendes Gehirn

Jeder kennt sie, jeder hat sie. Dinge, die unter  den vielen Gegenständen, die sich im Laufe der Zeit in der Wohnung oder im Büro angesammelt haben, einen besonderen Stellenwert haben. Wir verbinden sie mit einer Person, einer Begegnung oder einem besonderen Augenblick im Leben, der uns in Erinnerung bleibt. Professor Dr. Ansgar Büschges, Institut für Zoologie und Biozentrum, über ein laufendes Gehirn.


Vor kurzem besuchte mich eine von mir sehr geschätzte Kollegin aus der Geschäftsführung meines Departments für Biologie. Sie wollte mich persönlich daran erinnern, eine von mir zugesagte Rückmeldung an unser Departmentbüro zu senden. Der Blick meiner Kollegin fiel bei ihrem Besuch auf die kleine Sammlung von Aufziehfiguren aus Plastik auf meinem Schreibtisch, die sich allesamt durch Beine fortbewegen können, so sie denn korrekt aufgezogen wurden. Darunter ist das miniaturisierte Gehirn eines Menschen sowie zwei Nasen und ein Auge. Den fragenden Blick der Kollegin beantwortete ich mit der Aussage, dass es Neurobiologen meiner Fachprovenienz relevant finden, darauf hinzuweisen, dass jedwede Interaktionen von Tieren und Menschen mit ihrer oder unserer Umwelt nur durch Bewegungen möglich und wirksam werden. So hat es schon der Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Charles Sherrington im Jahr 1924 bei seiner Linacre Lecture in eine inzwischen klassisch gewordene Formulierung gefasst: »To move things is all that mankind can do, … whether it be whispering a syllable or felling a forest.«

Dieses Zitat hat sich auch ein durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderter Sonderforschungsbereich an unserer Universität als leitendes Motto zu eigen macht: der SFB 1451 – Schlüsselmechanismen normaler und krankheitsbedingt gestörter motorischer Kontrolle (Key Mechanisms of Motor Control in Health and Disease). In diesem Forschungskonsortium arbeiten rein experimentelle und klinisch orientierte Neurowissenschaftler*innen der Medizinischen, Mathematisch-Naturwissenschaftlichen und Humanwissenschaftlichen Fakultäten zusammen an aktuellen Fragen zur Bewegungskontrolle. Obwohl heute der Aufbau des Nervensystems und die Funktion seiner einzelnen Nervenzellen und Netzwerke zum Teil recht gut bekannt sind, können wir doch immer noch nur kursorisch einzelne wenige Leistungen der Arbeitsweise erklären. Dies wäre aber nicht nur aus rein wissenschaftlicher, sondern auch aus medizinischer Sicht wichtig.

Mich als Neurobiologen interessieren die Grundlagen der Bewegungskontrolle bei Tieren. Fußend auf dieser Vorrede stellt es daher durchaus eine verzeihbare Vereinfachung der Darstellung der Aufgaben des Nervensystems dar, eine Aufziehfigur eines Gehirns auf Beinen auf seinem Schreibtisch zu platzieren. Das kann ebenso für die Nase und das Auge mit Beinen gelten. Gleichwohl müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass diese ironisierende Überhöhung der Bedeutung der neuronalen Kontrolle den großen Beitrag des Bewegungsapparates eines Organismus bestehend aus Körper, Extremitäten und den diese bewegenden Muskeln leider außer Acht lässt. Dazu vielleicht an anderer Stelle einmal mehr.