Den Physiker der Uni Köln, André Bresges (46) fasziniert das Thema Mobilität. Mobilität ist ein gelungener Aufhänger, um Menschen an physikalische Prinzipien und Funktionsweisen heranzuführen, ist sich Bresges sicher. Denn Menschen fühlen sich vom Rausch der Geschwindigkeit angezogen - wie die frühkindliche Begeisterung für Autos und Flugzeuge zeigt. Mit selbstfahrenden Autos bricht ein neues Zeitalter an, das neue Regeln erfordert, sagt der Mobilitätsexperte.
Herr Professor Bresges, was fahren Sie für ein Auto?
Bresges: Für die Familie eine Mercedes C-Klasse mit ordentlich Gepäckraum und einem großen Motor mit viel Drehmoment. Für Fahrten alleine einen offenen SLK.
Schon mal zu schnell gefahren?
Bresges: Ja, einmal. Ich war mit dem Betreuer meiner Doktorarbeit von der Universität Duisburg-Essen unterwegs. Das Gespräch hat mich so stark abgelenkt, dass ich nicht genug auf die Geschwindigkeit geachtet habe. Ich habe daraus gelernt: Es gibt Themen, die einen so aufwühlen, dass man sie besser nicht mit ins Auto nimmt.
Dann basiert Ihre Auffassung, dass Autofahren eine unterschätzte Gefahr ist, auch auf eigener Erfahrung?
Bresges: Nicht nur. Wir wissen, dass Geschwindigkeit im Auto der Killer Nummer eins ist. Die häufigste Unfallursache ist Linksabbiegen, da sterben aber nicht so viele Menschen, weil das in der Regel mit geringerer Geschwindigkeit passiert. Unfälle mit hoher Geschwindigkeit sind zwar seltener, aber da kommen Menschen ums Leben. Die kinetische Energie oder Bewegungsenergie, die durch Masse und Geschwindigkeit beeinflusst wird, tötet.
Gibt es eine physikalische Erklärung dazu?
Bresges: Wenn ich statt 50 Kilometer pro Stunde 100 Kilometer pro Stunde fahre, dann speichere ich vier Mal mehr Energie mit dem Auto. Mein Auto ist dann vier Mal tödlicher als wenn ich mit zulässiger Geschwindigkeit fahre. Die Statistik ist da eindeutig: Das Auto ist fünf Mal gefährlicher als eine Schusswaffe. Das Auto ist das gefährlichste, was Menschen mit Technik machen.
Haben wir uns so sehr an die Gefährdung gewöhnt, weil das Auto und die damit verbundene individuelle Mobilität unbestritten nützlich ist?
Bresges: Das spielt eine Rolle. Wenn ich mit meinen Kindern an der Straße stehe und ein Auto nähert sich, schütze ich sie und denke mir aber nichts weiter dabei. Das gilt als normal. Wenn an der gleichen Stelle ein Mensch mit einem Sturmgewehr vorbeiläuft, würde jeder seine Kinder zuerst in Sicherheit bringen, dann fragen: Was hat der hier verloren und die Polizei rufen. Beim Auto stellen wir uns diese Frage gar nicht mehr. Dabei kann man mit Recht fragen, ob zum Beispiel Autos und Wohngebiete zusammenpassen.
Raser sollen ja, nachdem der Bundestag im Juni die Gesetze verschärft hat, härter bestraft werden. Hilft das?
Bresges: Wenn Raserei stärker kontrolliert wird, schreckt das ab. Wer mit seinem Auto beispielsweise in einer Innenstadt deutlich zu schnell fährt und sein KFZ wie eine Waffe benutzt, sollte sich bewusst sein, dass er rechtlich mit jemandem gleichgestellt wird, der eine Schusswaffe benutzt.
Könnte es nicht helfen, wenn man den ja häufig jüngeren Menschen, die rasen, ein Sicherheitstraining auf einer Rennstrecke bietet, wo sie ihre Aggressionen kontrolliert abbauen könnten?
Bresges: Wir haben in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften gelernt, dass solche Trainings sogar das Gegenteil bewirken können. Einige Menschen fühlen sich nach einem solche Training richtig sicher und fahren dann erst recht schnell, weil sie glauben, sie beherrschen das jetzt.
Moderne Autos haben mehr als zehn Airbags, Knautschzonen und Notbremsassistenten. Trotzdem sind wir von dem Ziel der Europäischen Kommission, die Unfallzahlen bis 2020 zu halbieren, weit entfernt. Hilft das automatisierte Fahren, also der Roboter, weil er sicherer fährt als der Mensch?
Bresges: Wahrscheinlich ist es das alleinige Hilfsmittel. Aber es wird Blut, Schweiß und Tränen kosten. Denn nicht nur die passiven Sicherheitssysteme im Auto sind weitgehend ausgereizt. Die Zahl der Toten im Straßenverkehr sank bisher auch dadurch, dass zumindest in Zentraleuropa nach einem Unfall die Ersthelfer innerhalb weniger Minuten am Ort sind. Schwierig wird es heute durch die immer leistungsstärkeren Fahrzeuge, die schon in den Innenstädten hohe Geschwindigkeiten erreichen und Menschen gefährden. Und die Elektromobilität wird dieses Problem in den Städten noch verstärken.
Wie das?
Bresges: Wir hören sie nicht. Deshalb ist Elektromobilität in den Städten nur sinnvoll mit deutlichen Fortschritten beim autonomen Fahren. Die Elektroautos müssen Fußgänger warnen und im Ernstfall ausweichen können.
Das wird noch eine Weile dauern. Noch kommen autonome Fahrzeuge mit dem Gewusel aus Fußgängern, Radfahrern, Autos, Betonpollern oder herumwehenden Plastiktüten nicht gut klar. Was passiert in der Übergangszeit?
Bresges: Wenn alle Autos autonom fahren, gehen die Unfallzahlen sicher dramatisch zurück. Wenn sich herkömmliche Autos und selbstständig fahrende Autos die Straßen teilen, befürchte ich, dass es ganz schlimm wird. Roboter, die sich an Regeln halten und Autofahrer, die Fehler machen und Regeln brechen.
Ist das lösbar?
Bresges: Wir brauchen einen öffentlichen Diskurs über Regeln für die Übergangszeit. Techniker können das nicht mehr alleine entscheiden. Bereits heutige Serienfahrzeuge können Fußgänger erkennen und ihnen auch automatisch ausweichen, wobei sie den Fahrer übersteuern müssten. Sie tun das aber nicht, weil bei Fahrsimulationen festgestellt wurde, dass einige Fahrer erschreckt gegenlenken und damit den Fußgänger aktiv überfahren, was sie in die Nähe einer Straftat bringen würde. Um die FahrerInnen bei der zur Zeit unklaren Rechtslage zu schützen, ist diese Funktion in der Software versteckt und ausgeschaltet. Das Fahrzeug verschließt quasi seine Augen und hält drauf. Sollte darüber nicht besser ein öffentlicher Diskurs stattfinden?
Was würde helfen?
Bresges: Wir kommen in eine neue Dimension der Verkehrssicherheit. Rasende Autofahrer gab es schon immer, sie sind womöglich auch durch Gesetze nicht abzuschrecken. Bis eine Neuregelung wie die Gurtpflicht sich durchgesetzt hat, sind Jahre vergangen. Wenn aber eine Automatik einen gefährlichen Fehler macht, oder eine Änderung des Gesetzes erfolgt, kann durch ein Update über Nacht dafür gesorgt werden, dass am nächsten Morgen alle 45 Millionen Autos sicherer und regelkonform unterwegs sind.
Das klingt nach ziemlich viel staatlicher Bevormundung.
Bresges: Ich möchte an der Stelle Elon Musk, den CEO von Tesla zitieren: Viele Menschen mögen Veränderungen nicht, aber Sie alle sollten eine Veränderung begrüßen, wenn die Alternative ein Desaster ist. Und mehr als 3.000 Verkehrstote jedes Jahr in Deutschland sind ein Desaster.
Wäre der Roboter wirklich der bessere Autofahrer?
Bresges: Heute noch nicht in allen Situationen. Unsere Forschung hat aber gezeigt, dass den Fahrer Routinesituationen wie die Geschwindigkeit wählen oder die Fahrspur im Auge behalten stark belasten. Da können Maschinen den Fahrer entlasten und unterstützen. Wenn Autos ähnlich wie Flugzeuge vollautomatisiert fahren, wird es deutlich weniger Unfälle geben. Aber es wird sie immer noch geben.