Die Zukunft der eigenen vier Wände
Das Einfamilienhaus ist der Lebenstraum vieler Menschen, allerdings steht es ökologisch in der Kritik. Es nimmt zu viel Fläche ein, wo Wohnraum bereits knapp ist, so der Tenor. Dabei ist die Frage, wie wir in Zukunft ökologisch und gut wohnen können, vielschichtig.
Jan Voelkel
»Keine Einfamilienhäuser mehr in Hamburger Bezirk« rauschte es im Frühjahr 2021 durch einen Teil des Blätterwaldes. Manche Schlagzeile vermittelte den Eindruck, als wäre das Ende des geliebten Eigenheims eingeläutet. Ganz so schlimm war es dann doch nicht. Das Bezirksamt Hamburg Nord hatte nicht angeordnet, alle Eigenheime rigoros dem Erdboden gleich zu machen, sondern entschieden, in ausgewiesenen Neubaugebieten auf Geschosswohnbau und Mehrfamilienhäuser zu setzen. Dennoch entspann sich eine rege und kontroverse Debatte, die Fahrt aufnahm, als Anton Hofreiter von den Grünen im Interview mit dem »Spiegel« die Entscheidung »angesichts der dramatischen Wohnungsnot und der Tatsache, dass Boden endlich ist«, guthieß.
Die Debatte verdeutlicht: Wie wir in Zukunft wohnen und leben, ist eine vertrackte Geschichte. Einerseits ist bezahlbarer Wohnraum in Großstädten knapp, den Erwerb von eigenen Immobilien können sich dort sowieso nur die wenigsten leisten. Andererseits sind Innenstädte in manchen ländlichen Regionen verwaist, Ladenlokale stehen leer und die Jugend wandert ab. Und dann kommt noch eine Virus-Pandemie daher und kehrt so machen Trend wieder um. Denn durch ein Jahr mit Homeoffice und Zoom-Konferenzen erscheinen Großstädte vielen Leuten weniger attraktiv als ein Leben im Grünen auf dem Lande. Ausgerechnet da soll das Eigenheim ausgedient haben?
Leben im Grünen – mit schlechter Klimabilanz
Der Traum von den eigenen vier Wänden ist in Deutschland groß. Jährlich werden rund 100.000 neue Einfamilienhäuser gebaut. »Ob die Argumentation von Herrn Hofreiter politisch geschickt war, kann man sicher diskutieren «, meint Professor Dr. Boris Braun vom Geographischen Institut. »Aber sachlich war die Analyse schon richtig.« Brauns Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Umweltmanagement sowie wirtschaftlicher und urbaner Wandel. Aus rein ökologischer Sicht betrachtet ist die Sachlage klar: Jemand, der in einem Einfamilienhaus lebt, braucht im Vergleich zu jemandem in einer Etagenwohnung mehr Fläche. Laut Statistischem Bundesamt befinden sich 31 Prozent aller Wohnunterkünfte in Einfamilienhäusern – diese nehmen aber 41 Prozent der bebauten Fläche ein. Bei Mehrfamilienhäusern sieht es anders aus: 42 Prozent der Wohnunterkünfte entfallen auf 33 Prozent der Fläche. »Wenn ich den Flächenverbrauch, also den Rückgang von landwirtschaftlichen Flächen und vor allem auch ökologisch wertvollen Flächen am Stadtrand reduzieren möchte, müsste ich eigentlich auf den Neubau von freistehenden Einfamilienhäusern weitestgehend verzichten. Allerdings ist die Debatte natürlich hochemotional, sodass man abwägen muss«, so Braun.
Betrachtet man die internationale Studienlage, ist die schlechte Klimabilanz von freistehenden Familienhäusern nichts Neues. Schon in den 1990er Jahren gab es vergleichende Studien, die weltweit den Zusammenhang zwischen der Siedlungsdichte und dem CO2-Verbrauch pro Kopf durch Emissionen im Verkehr untersucht haben. Da kam deutlich heraus: je lockerer die Siedlungsdichte und je höher der Anteil an Einfamilienhäusern, desto stärker war der Beitrag jedes Einzelnen zum Energieverbrauch und letztlich zum Klimawandel. »Das ist neben dem Flächenverbrauch auch ein wichtiger Punkt«, sagt der Geograph. Wenn Menschen aus der Vorstadt oder vom Lande zur Arbeit in die Stadt pendeln, zum Einkaufszentrum fahren und auf das Auto angewiesen sind, leben sie vielleicht im Grünen, haben aber einen höheren Energieverbrauch als Menschen in der Großstadt, die gut an Stadtbahnen und -busse angebunden sind. Wenn es sich um ältere Bestandsbauten handelt, kommen zudem oft noch höhere Heizungs- und Stromkosten hinzu.
Diesen Problemen entgegenwirken kann zunächst das Baurecht. Um Bodenversiegelung vorzubeugen, erscheint es sinnvoll, wenig neue Flächen zum Bauen auszuschreiben und in den Plänen höhere Bebauungsdichten vorzusehen. Es gibt aber auch noch andere Hebel: Neben dem Baurecht solle die Politik verstärkt auf das Steuerrecht schauen, denn das hat einen großen Einfluss auf die räumliche Entwicklung in Deutschland.
Siedlungsdichte und CO2-Verbrauch
In einer viel beachteten Studie untersuchten die australischen Verkehrsforscher Jeff Kenworthy und Peter Newman insgesamt 36 Städte in Europa, Asien, Australien und auf dem amerikanischen Kontinent. Dabei verglichen sie Faktoren wie Stadtentwicklung und Verkehrsangebot und analysierten die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Verkehrsmittelwahl. Das Ergebnis zeigte klare Zusammenhänge zwischen Siedlungsdichte, dem Ausbau des ÖPNV und der Abhängigkeit vom Auto. Die Automobildichte der untersuchten Städte schwankte zwischen 57 PKW je 1.000 Einwohner im dichtbebauten Hongkong und 986 im weitflächigen New Orleans. Die untersuchten deutschen Städte lagen hierbei zwischen 361 (Berlin) und 531 (München). Köln kam 2017 auf 438 PKW pro 1.000 Einwohner:innen. Umgekehrt verhalten sich das Angebot und die Nutzung der nicht-motorisierten Verkehrsmittel. Zu-Fuß-Gehen und Radfahren haben in New Orleans nur einen Anteil von 3 Prozent, in Zürich über 50 Prozent. Köln liegt mit 44 Prozent im oberen Feld.
Als Beispiel nennt Braun die Pendlerpauschale: »Aus Gründen der Steuersystematik mag es sinnvoll sein, dass der Teil des Einkommens, der für den Weg zur Arbeit verbraucht wird, nicht versteuert wird. Aus ökologischer Sicht ist das aber fragwürdig.« Im Endeffekt fördert die Pendlerpauschale die Ausdehnung der Vorstädte und das Wegziehen vom Arbeitsplatz. Auch die Art, wie die Grundsteuer erhoben wird, hat Auswirkungen auf die Raumnutzung. Ginge man nach dem Flächenprinzip, also je größer das Grundstück, desto mehr Grundsteuer, könnte man damit die Flächenversiegelung mindern. »Bei unserem wertbezogenen Prinzip in Deutschland, das durch die jüngste Grundsteuerreform beschlossen wurde – je höher der Wert des Grundstücks, desto höher die Grundsteuer –, haben wir diesen Effekt nicht oder nur sehr abgeschwächt«, meint Braun.
Konflikte und Lösungswege in Australien
Internationale Beispiele zeigen, wie man es besser machen könnte. In Australien wurde lange Zeit nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Großstädten auf das traditionelle Einfamilienhaus gesetzt. Eine Metropole wie Sydney erstreckt sich daher über eine enorme Fläche. Zum Vergleich: Sydney kommt auf etwa 1.250 Einwohner:innen pro Quadratkilometer, in Berlin sind es dagegen über 4.000. Für Geographen wie Braun sind die australischen Städte ein interessantes Anwendungsbeispiel. Denn dort versuchte man ab Anfang der 1990er Jahre bei der Ausdehnung und Städte umzulenken. »Die australischen Regierungen in den einzelnen Bundesstaaten haben in den letzten Jahren ziemlich auf die Bremse getreten«, so Braun.
In Sydney wurden etwa Quoten für die suburbanen Gemeinden eingeführt, die regelten, dass bestimmte Anteile mit Mehrparteiengebäuden bebaut werden mussten. Anstatt die Bebauung noch weiter in die Breite gehen zu lassen, setzten die Städte auf Nachverdichtung freier Flächen. Insgesamt ist der Anteil an hochgeschossigen Häusern und Etagenwohnungen extrem gestiegen. Der Anteil der Baugenehmigungen für freistehende Einfamilienhäuser ist von 1985 bis 2010, also dem Zeitraum, in dem diese Politik stark wirkte, in Sydney von circa zwei Drittel aller genehmigten Wohneinheiten auf unter 40 Prozent gefallen. »Da hat Australien recht konsequent gehandelt. Aber nicht nur aus den Lösungswegen, sondern auch aus den daraus entstandenen Konflikten können wir etwas lernen«, sagt Braun. Denn reibungslos verlaufen solche Änderungen in der Stadtstruktur selten. Der Spaß hört bekanntermaßen oft auf, wo es ums Geld geht. Wird in der Nähe eines Einfamilienhauses ein höher geschossiges Haus gebaut, sinkt oft dessen Wert – oder entwickelt sich zumindest nicht mehr so schnell. Dies führte in Sydney etwa zu einer Protestbewegung gegen die Politik der Nachverdichtung vor allem in den wohlhabenden nördlichen Vororten.
Nachhaltiges Bauen muss man sich leisten können
Manchmal heizen die Anstrengungen, den Klimawandel nicht noch zu befeuern, offenbar andere Konflikte an. Zwar ist nachhaltiges Bauen heute kein Spleen unter avantgardistischen Architekt:innen mehr, sondern auch in der Breite angekommen. Hochenergetische Häuser mit hoher Luftdichtigkeit und energetisch günstiger Heizungsanlage sind in vielen Neubaugebieten ganz normal. In den letzten Jahren sind zudem die Preise für die Montage von Photovoltaikanlagen stark gesunken. Und dennoch: Nachhaltiges Bauen ist etwas für Besserverdienende.
Das sieht man etwa am Freiburger Stadtteil Vauban. Lange galt die Siedlung, die auf einem ehemaligen Militärstützpunkt Mitte der 1990er Jahre entstand, als ökologisches Musterviertel: autoreduziert, gute Anbindung an den ÖPNV und kompakte Passivhäuser. Vauban war so beispielhaft, dass der damalige Freiburger Bürgermeister Dieter Salomon die Siedlung sogar als Vorzeigeprojekt auf der EXPO 2010 in Shanghai präsentierte. Die Kehrseite ist mittlerweile sichtbar, denn die Miet- und Grundstückspreise sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Sozialwohnungen, deren Preisbindung nach 10 Jahren ausläuft, waren im Viertel von vorneherein Mangelware. »Im Grunde ist das ein ökologisches Paradies für eine ökonomische Elite. Diejenigen, die sich das nicht leisten können, ziehen ins Umland«, so Braun, der über das Freiburger Beispiel geforscht hat.
Sein Fazit: Die Stadtplanung muss über den Neubau hinausdenken, also auch an den Bestand denken, und dabei Sozial-, Steuerund Verkehrspolitik mit einbeziehen. Dabei ist er vorsichtig optimistisch: »So langsam kommt man von diesem statischen Denken weg. Es wird auch die Sanierung von Bestandsbauten oder der Ausbau des Radverkehrsnetzes mitgedacht.«
Dass sich etwas tut und sich ein breites Bewusstsein für die Klimakrise in den Köpfen entwickelt, zeige auch die Diskussion, die die Eigenheimdebatte losgetreten hat. Die Aussagen von Herrn Hofreiter hätten vor 20 Jahren noch einen viel breiteren Sturm der Entrüstung nach sich gezogen, ist sich Braun sicher. Das grundsätzliche Bewusstsein, dass man angesichts des Klimawandels neue Lösungen finden muss, ist bei Stadtplaner:innen, Architekt:innen und der Bevölkerung zunehmend vorhanden. »Wenn wir das weiterführen und auch noch gute Lösungen für Bestandsbauten finden, sind wir auf einem guten Weg und brauchen den Menschen nicht den Traum von den eigenen vier Wänden nehmen«, so Braun. Mitunter kann dieser Traum ja auch in einem Mehrfamilienhaus realisiert werden – vielleicht mit begrünter Fassade, Gemeinschaftsdachterrasse und in verkehrsberuhigter Stadtlage. Und zu einem Preis, den sich auch Durchschnittsverdiener:innen leisten können.