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Die schleichende Pandemie

Kölner Forschung geht neue Wege, um todbringende Antibiotikaresistenzen zu besiegen

Infektionskrankheiten kosten jedes Jahr Millionen von Menschen das Leben. In einigen Jahrzehnten könnten durch Bakterien sogar mehr Menschen umkommen als durch Krebs. Kölner Forschung nimmt Antibiotikaresistenzen in den Blick und geht neue Wege, um die todbringenden Erreger zu besiegen.

Von Anna Euteneuer

Bakterien leben überall, in heißen Schwefelquellen, im Eis und auch in und auf unserem Körper. Ein Großteil der Bakterien lebt mit uns in Symbiose und hilft zum Beispiel, andere Bakterien auf der Haut abzuwehren oder unser Mittagessen im Darm zu verdauen.

Doch gegen diejenigen Bakterien, die den Menschen als Wirt nutzen, um sich zu vermehren und dabei Krankheiten auslösen, kämpft die Medizin seit über hundert Jahren. Bakterien teilen sich, sie erstellen also eine Kopie von sich selbst und wachsen exponentiell. Abhängig von der Bakterienart und den äußeren Faktoren wie Temperatur oder Feuchtigkeit verdoppelt sich ihre Anzahl alle zwanzig Minuten, stündlich oder täglich. Bakterien sind Meister der Anpassung und stehen in regem Austausch miteinander. Ihre Robustheit verdanken sie bestimmten genetischen Informationen. Diese werden in Form von Plasmiden, runden DNA-Stücken, zwischen den Bakterien ausgetauscht.

Gefährlich wird es, wenn die DNA-Stücke die Baupläne für Proteine enthalten, die sie resistent gegen Antibiotika machen. Expert*innen weltweit und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind besorgt über die wachsende Antibiotikaresistenz von Bakterien und sprechen von einer stillen oder schleichenden Pandemie. In Deutschland lassen sich im Jahr 2019 fast 9.700 Todesfälle auf resistente Erreger zurückführen. Bis 2050, so eine Voraussage der antimikrobiellen Resistenz, könnten mehr Menschen an resistenten Bakterien sterben als an Krebs. Die Rede ist von zehn Millionen Toten pro Jahr.

Staphylococcus aureus, der zu Haut- und Weichgewebsinfektionen, Lungen- und Hirnhautentzündung oder Sepsis führen kann, Mycobacterium tuberculosis, der Aus-löser der Tuberkulose oder die Krankenhauskeime Pseudomonas aeruginosa und Acinetobacter baumannii gehören zu den Bakterien, die uns gefährlich werden können. Insgesamt warnte die WHO bereits 2017 besonders vor zwölf Bakterienfamilien, die aufgrund ihrer Antibiotikaresistenz die größte Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen.


Leichtes Spiel bei mangelnder Hygiene

Ganz oben auf der Liste steht Acinetobacter baumannii. Das Bakterium kann Lungenentzündungen sowie Wund-, Harnwegs- oder Blutstrominfektionen auslösen. Professor Dr. Harald Seifert, früher stellvertretender Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene der Uniklinik Köln, jetzt im Ruhestand, forscht mit seiner Arbeitsgruppe seit mehr als dreißig Jahren an dem kleinen Stäbchenbakterium und unterstützt das Labor weiterhin mit einer Teilzeitstelle. Die Arbeitsgruppe zählt mit knapp einhundertfünfzig wissenschaftlichen Publikationen zu den weltweit bekanntesten Gruppen, die sich der Erforschung von Acinetobacter baumannii widmen. Heute wird die Gruppe von Dr. Paul Higgins geleitet.

Die Gruppe befasst sich auch mit anderen antibiotikaresistenten Erregern sowie mit bakteriellen Infektionen, die in Krankenhäusern oder Arztpraxen auftreten können. Kürzlich hat sie eine umfassende Studie an Acinetobacter baumannii durchgeführt, welches gegen die Breit-bandantibiotikagruppe der Carbapeneme resistent ist und laut WHO die höchste Priorität in der Antibiotikaforschung hat. Sogenannte »CRAB« (Carbapenemresistente Acinetobacter baumannii) stellen eine wachsende Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dar, da Carbapeneme lange Zeit als Reserveantibiotika gegen diese und andere multiresistente Bakterien galten.

Die Weltgesundheitsorganisation sieht Acinetobacter baumannii als einen der gefährlichsten Krankheitserreger an.

Acinetobacter baumannii kommt in West- und Nordeuropa relativ selten vor«, sagt Seifert. »Sehr häufig ist es aber in Süd- und Osteuropa, auf dem indischen Subkontinent, in Südostasien und vor allem in China, wo Acinetobacter baumannii sogar der wichtigste Erreger der beatmungsassoziierten Pneumonie ist.« Das Bakterium wurde von den Amerikanern auch als »Iraqibacter« bezeichnet, weil Anfang der 2000er Jahre im Irak und in Afghanistan schwere Wundinfektionen bei amerikanischen Soldaten diagnostiziert wurden.

Eine Infektion mit dem Bakterium kommt außerhalb des Krankenhauses selten vor. Häufig handelt es sich um eine sogenannte nosokomiale Infektion: Patient*innen, die im Krankenhaus künstlich beatmet werden, können sich infizieren, an einer Lungenentzündung erkranken, und oft auch sterben. Um die Ausbreitung von CRAB zu stoppen, sind gute Hygienemaßnahmen im Krankenhaus notwendig. Das Bakterium kann auf Krankenhausmöbeln oder Bettwäsche überleben und so übertragen werden, wenn die Hygienemaßnahmen wie das Desinfizieren der Hände oder die Oberflächendesinfektion in Patientenzimmern nicht optimal durchgeführt werden. Neben der Beatmung können auch Katheter, die den Zugang zum Blutkreislauf öffnen, und offene Wunden Eintrittspforten für eine Infektion sein.

Obwohl viele multiresistente Bakterien bislang in bestimmten Regionen der Welt vorkommen, sind sie kein lokales, sondern ein globales Problem. Durch Urlaub, Geschäftsreisen und die weltweite Vernetzung können resistente Erreger schnell um die Welt reisen.


Gefährliche Klone

Bakterien einer bestimmten Art wie Acinetobacter baumannii sind nicht alle gleich: Durch ihre rasante Entwicklung und Ausbreitung gibt es immer verschiedene Stämme, die unterschiedliche Eigenschaften und Varianzen in der Resistenz aufweisen. Um die Resistenzen der Bakterien zu verstehen, hat Seiferts Team bereits 2010 eine weltweite Sammlung von über dreihundert CRAB-Proben auf ihre molekulare Epidemiologie, also ihre Verwandtschaftsbeziehungen, untersucht. Dabei konnten acht große, weltweit verteilte Gruppen identifiziert werden, die als »internationale Hochrisiko-Klone (ICs)« bezeichnet werden.

Eine aktuelle Studie mit Proben aus 114 Studienzentren in 47 Ländern auf allen Kontinenten zeigt, dass sich CRAB größtenteils in die bekannten Verwandtschaftsgruppen, die ICs, einordnen lässt. Die am weitesten verbreitete Gruppe, IC2, wurde auf allen Kontinenten gefunden und hat seit 2010 deutlich zugenommen. Auch eine neue Gruppe, IC9, wurde entdeckt. Proben, die von Patient*innen in ursprünglich völlig unabhängigen Regionen isoliert wurden, zum Beispiel in Brasilien und Polen, können einer »Familiengruppe« zugeordnet werden. Dabei zeigten sich auch regionale Besonderheiten, zum Beispiel dominiert IC5 in Latein- und Südamerika.

»Weltweit stellt CRAB eine große Bedrohung dar, insbesondere für schwerkranke Patienten auf Intensivstationen. Neben der Suche nach neuen Wirkstoffen müssen wir alles daransetzen, die notwendigen Hygienemaßnahmen in den Kliniken einzuhalten, um eine weitere Ausbreitung der gefährlichen Erreger zu verhindern«, sagt Dr.  Carina Müller, Erstautorin der Studie.

 

Die Arbeitsgruppe um Seifert und Higgins erforscht die weltweite Verbreitung des multiresistenten Bakteriums Acinetobacter baumannii

»Die Bakterienforschung hat unter der Coronapandemie stark gelitten«, fügt Seifert hinzu. »Die Resistenzproblematik hat in den ersten beiden Jahren der Pandemie überproportional zugenommen, da aufgrund der mangelnden Erfahrung und der Schwere der Krankheitsbilder auch bei  Covid-19-Infektionen zusätzliche bakterielle Infektionen vermutet wurden.« Dies führte zum vermehrten Einsatz von Antibiotika. Rund achtzig Prozent aller im Krankenhaus behandelten Corona-Patient*innen haben Antibiotika bekommen. »Antibiotika wirken nicht gegen Viren, aber die Patient*innen haben eine virale Infektion, die die Schleimhäute anfällig für einen sekundären Angriff von Bakterien macht – und dagegen können wir etwas tun, also tun wir auch etwas«, erklärt Seifert die Handlungen der Arzt*innen. Die Kehrseite der Medaille: Durch den Einsatz von Antibiotika, bevorzugt Breitbandantibiotika, sind in Krankenhäusern, die viele Covid-Patienten behandelt haben, die Resistenzen gestiegen.


Mit Viren gegen Bakterien

Im Kampf gegen diese multiresistenten Bakterien beschreiten die Kölner Forschenden völlig neue Wege: Higgins’ Team testet beispielsweise regelmäßig neue Antibiotika auf ihre Wirksamkeit gegen CRAB, verfolgt aber auch neue Ansätze, wie die Therapie mit Bakteriophagen, kleinen Viren, die Bakterien befallen. Ähnlich wie menschliche Zellen von Bakterien befallen werden können, können Bakteriophagen Bakterien infizieren und zerstören. Die kleinen, krabbenartig aussehenden Viren erkennen ihr Zielbakterium spezifisch und schleusen ihr Erbgut in das Bakterium ein. Das Bakterium wird gezwungen, mehr Phagen (Bakterienfresser) zu produzieren, bis es platzt. Dann suchen sich die Phagen neue Bakterien. Steht kein Bakterium mehr als Wirt zur Verfügung, sterben die Phagen ab.

Annika Claßen, Doktorandin und Stipendiatin des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) in der Arbeitsgruppe von Harald Seifert und Paul Higgins, entwickelt CRAB-spezifische Bakteriophagen. Die Entwicklung dieser Phagen steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Hinzu kommt, dass derzeit Bakteriophagen nur für einzelne Heilversuche zugelassen sind. Für eine generelle Zulassung von Bakteriophagen zur Behandlung von Infektionen mit multiresistenten Bakterien sind laut Arzneimittelgesetz noch weitere randomisierte, kontrollierte Studien notwendig. Dazu gehören auch Daten, die die Wirksamkeit und Sicherheit bestätigen.


Was tun, wenn Antibiotika nicht mehr wirken?

Neben dem Einsatz von Phagen gibt es noch weitere vielversprechende Ansätze. Das Team um Privatdozent Dr. Dr. Jan Rybniker und Dr. Alexander Simonis aus der Infektiologie der Inneren Medizin I der Uniklinik Köln hat eine Therapieform adaptiert, die insbesondere gegen Viren erfolgreich angewandt wird. Sie haben sogenannte neutralisierende Antikörper für die Behandlung von Infektionen mit dem Bakterium Pseudomonas aeruginosa entwickelt. Pseudomonas aeruginosa gehört wie Acinetobacter baumannii zu den Carbapenemresistenten Bakterien und wird von der WHO ebenfalls mit höchster Priorität für die Antibiotikaforschung ein-gestuft. Das Bakterium verursacht auch schwerste Blutstrominfektionen sowie Lungenentzündungen insbesondere bei künstlich beatmeten Patient*innen. Auch bei Wund- und Harnwegsinfektionen wird der häufig sehr resistente Erreger nachgewiesen.

Neutralisierende Antikörper – Diese Proteine sind ein wichtiger Bestandteil der Immunität nach einer Infektion und schützen vor erneuter Ansteckung. Alle Wirbeltiere besitzen die Fähigkeit, sie zu bilden. Mittlerweile können sie für verschiedene Krankheiten aus dem Blut genesener Individuen isoliert und therapeutisch genutzt sowie synthetisch hergestellt werden.

Für die Studie wurden Antikörper aus Immunzellen von Patient*innen isoliert, die an einer chronischen Infektion mit Pseudomonas aeruginosa leiden. Die Antikörper blockieren einen wichtigen Virulenzfaktor des Bakteriums, das Typ-III-Sekretionssystem. Das Sekretionssystem ermöglicht Bakterien über eine Nadelstruktur die Sekretion von bakteriellen Proteinen in die Wirtszelle, um diese zu infizieren. Die Blockade des Sekretionssystems mit Antikörpern erwies sich in umfangreichen Versuchen in Zellkulturen und Tiermodellen als ebenso wirksam wie klassische Antibiotika. Da die Aktivität dieser Antikörper unabhängig von den Wirk- und Resistenzmechanismen herkömmlicher Antibiotika ist, könnten sie auch gegen hochresistente Bakterien wirken.

Jan Rybniker und Alexander Simonis bekämpfen Bakterien mit neutralisierenden Antikörpern.

Die Antikörper sollen nun weiterentwickelt und in klinischen Studien getestet werden, um sie langfristig als neue Therapieoption bei Infektionen mit Pseudomonas aeruginosa einzusetzen. »Die gewonnenen Erkenntnisse und die verwendeten experimentellen Ansätze lassen sich auch auf andere bakterielle Krankheitserreger übertragen«, sagt Rybniker. Damit stellt der Ansatz einen vielversprechenden neuen Weg zur Behandlung von Infektionen mit multiresistenten Bakterien dar.

Durch intensive Forschung zu der Verbreitung der Erreger und neuartige Ansätze wie die Therapie mit Bakteriophagen und die Entwicklung neutralisierender Antikörper gibt es neue Hoffnungsschimmer im Kampf gegen die Bedrohung durch multiresistente Bakterien. Rybniker fasst zusammen: »Wir werden auch weiterhin auf klassische Antibiotika angewiesen sein. Resistente Bakterien können wir in Zukunft jedoch nur dann nachhaltig zurückdrängen, wenn wir alle zur Verfügung stehenden Ressourcen nutzen und zusätzlich alternative Therapieansätze voranbringen. Das Problem benötigt einen umfassenden Ansatz, bei dem modernste Methoden der Prävention, Diagnostik und Therapie zum Einsatz kommen.«

Um dies am Campus Köln erfolgreich umzusetzen, wurde im Dezember 2022 das Centrum für Infektionsmedizin (CIM) gegründet, das die relevanten Fachdisziplinen zusammenbringt und ein Netzwerk für Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen der Infektionsmedizin bildet, um eine optimale Patientenversorgung mit der Erforschung und Entwicklung innovativer Präventions- und Therapieverfahren zu  verbinden. Rybniker: »Wir sind in Köln also gut gerüstet und können nur hoffen, dass das Problem der stillen Pandemie global Gehör findet und bekämpft wird. Insbesondere auch in ressourcenarmen Regionen unseres Planeten, die dafür unsere Unterstützung benötigen.«