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»Die Geschichte der Migration ist Teil der deutschen Gegenwart«

Interview mit Köln Alumna Nava Ebrahimi

Nava Ebrahimi gelangte über den Umweg des Journalismus zu ihrem Traumjob: der Schriftstellerei. Im Interview erzählt die Alumna der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät von einem Wandel auf dem deutschen Buchmarkt und erklärt, wie echte Solidarität mit dem Freiheitskampf in Iran aussehen würde.

Das Gespräch führte Eva Schissler
 

Frau Ebrahimi, Sie wurden in Teheran geboren, sind aber in Köln aufgewachsen. Wann wussten Sie, dass Sie Schriftstellerin werden wollten?

Als meine Eltern Iran verlassen haben, sind wir zunächst nach Köln gezogen, während meiner Grundschulzeit dann in den Westerwald. Eigentlich wollte ich schon immer Schriftstellerin werden, aber ich habe mich nach dem Abitur nicht ganz getraut, auf diese Karte zu setzen. Das war im Jahr 1998, da gab es in Leipzig den Studiengang »Literarisches Schreiben «. Das war zu der Zeit etwas völlig Neues, und ich habe auch erst im Nachhinein davon erfahren. In Deutschland war noch lange der Glaube verbreitet, dass man das Schreiben nicht lernen kann, sondern dass einen das Genie überkommt und dann die Wörter von alleine aufs Papier fließen.

Warum haben Sie sich nicht getraut?

Auch durch die Migrationserfahrung. Meine Eltern haben in Deutschland einen ziemlichen sozialen Abstieg erlebt. Also war mir immer die prekäre finanzielle Lage bewusst, in der ich groß geworden war. Ich habe mir nicht erlaubt, einfach das zu tun, worauf ich Lust hatte. Ich glaube, das ist bei vielen Menschen so, die in migrantischen Familien oder in Aufsteigerfamilien groß werden. Deswegen bin ich erst mal den vernünftigen – oder vermeintlich vernünftigen – Weg gegangen, obwohl meine Eltern mich immer in allem bestärkt haben.

Ein Aspekt war sicherlich auch, dass meine Schullektüre in den 1990er Jahren zu 90 Prozent Literatur von alten weißen Männern war. Da kam mir noch gar nicht in den Sinn, dass jemand wie ich auch Schriftsteller sein könnte.

Was war denn der »vernünftige Weg«?

Ich bin ein politisch interessierter Mensch, daher wollte ich Journalismus machen. Nach Stationen in Gießen und Mainz wurde ich in Köln an der Journalistenschule angenommen. Ich wollte auch schon immer nach Köln zurück, wo ich eine sehr schöne Kindheit hatte.

An der Journalistenschule – so war das zumindest zu meiner Zeit – hatten wir im ersten Jahr nur praktische Ausbildungsinhalte. Ab dem zweiten Jahr haben wir parallel zur Ausbildung das VWL-Studium mit sozialwissenschaftlicher Richtung an der Uni Köln begonnen. Um den Abschluss an der Journalistenschule zu bekommen, musste man mindestens das Vordiplom vorweisen. Da das an sich nichts wert war, habe ich auch noch irgendwie das Diplom geschafft.

Nach Abschluss des Studiums haben Sie eine Zeit lang als Journalistin gearbeitet, doch irgendwann sind Sie Ihrem Traum gefolgt, Schriftstellerin zu werden. Wie kam es dazu?

Ich habe auch vorher immer fiktiv geschrieben und habe fast immer irgendeine Form von Resonanz bekommen. Aber das ist während der Ausbildung liegen geblieben, weil ich sehr viel journalistisch geschrieben habe. Im Anschluss war ich in Köln Redakteurin bei der »Stadtrevue«. Das war auch schon so etwas wie mein Traumjob. Der Verlag und die Redaktion sind nominell frei von Hierarchien und das Medium berichtet wirklich unabhängig. Ich schätze, so ein Stadtmagazin ist inzwischen deutschlandweit ziemlich einzigartig.

Dann habe ich mich in einen Grazer verliebt und wir sind zusammen nach Graz gezogen. Da stand ich mehr oder weniger vor dem nichts: keine Freunde, kein Job, kein Netzwerk. Als mein Sohn auf der Welt war habe ich dann mittags, wenn er geschlafen hat, wieder angefangen, literarisch zu schreiben. So spielt das Schicksal manchmal. Ich dachte am Anfang, dass der Umzug für meine Karriere ein Rückschlag ist: gleichzeitig in eine andere Stadt gehen und ein Kind kriegen. Am Ende hat es mir aber neue Türen geöffnet.

Hat die journalistische Ausbildung und Erfahrung Ihr literarisches Schreiben geprägt?

Mir fällt natürlich Recherche viel leichter als jemandem, der nicht aus dem Journalismus kommt. Auch wenn ein Roman komplett fiktiv ist – sobald er in einem gewissen Setting spielt, muss man dafür recherchieren. Auch die Lehrredaktion an der Journalistenschule hat sehr geholfen. Da haben wir über jeden Artikel zwei Stunden geredet. Das macht unempfindlicher gegenüber Kritik.

Es erscheint immer mehr Literatur von Menschen mit Einwanderungsgeschichte oder uneindeutigen Identitäten. Wie schätzen Sie die deutschsprachige Gegenwartsliteratur diesbezüglich ein?

Vor allem in den letzten vier bis fünf Jahren hat sich extrem viel getan. Mein erster Roman ist 2017 erschienen. Meine Agentur hatte ihn ab 2015 angeboten. In dem Jahr habe ich von einem großen deutschen Verlag noch eine Absage mit der Begründung bekommen: Wir haben gerade eine andere Deutsch-Iranerin ins Programm genommen. Das würde sicher heute kein Verlag mehr sagen.

Den ersten Roman hat mein Verlag auch noch ein bisschen in die Richtung »Einblicke in fremde Welten« vermarktet. Auch das würden sie jetzt wahrscheinlich nicht mehr tun. Die Bücher von Autor*innen wie mir sind in der Gegenwartsliteratur angekommen. Die Menschen verstehen allmählich, dass die Geschichte der Migration, die Geschichte der sogenannten Gastarbeiter*innen zum Beispiel, Teil der deutschen Gegenwart ist.

Ob das alle so wahrhaben wollen?

Das weiß ich nicht, aber mir ist mit der Zeit immer klarer geworden, dass ich nicht nur für das vornehmlich weiße Publikum schreibe, sondern dass wir »uneindeutigen« Schriftsteller*innen auch füreinander schreiben. Nach Lesungen und durch Rückmeldungen aus der Leserschaft habe ich gemerkt, dass meine Bücher viele Menschen mit eigener, wie auch immer gearteter Migrationserfahrung ganz anders ansprechen. Besonders viele Deutsch-Iraner*innen haben sich darin wiedererkannt. Als Kind glaubt man ja, dass man mit diesen Erfahrungen allein ist. Rückblickend habe ich gemerkt: Wir hatten nur keinen Raum, uns auszutauschen.

Sie haben den Ingeborg-Bachmann-Preis 2021 und den Kölner Literaturpreis »Ein Buch für die Stadt« 2022 gewonnen. Wie wichtig ist Ihnen diese Art von Anerkennung?

Natürlich freut mich jede Form der Anerkennung. Auch der ganz praktische finanzielle Aspekt ist für mich wichtig – das Preisgeld und die gestiegenen Verkaufszahlen. Das »Buch für die Stadt« hat mich aber besonders berührt. Denn: Ich nehme zwar das Wort Heimat gar nicht erst in den Mund, aber wenn ich einen Ort nennen müsste, mit dem ich mich verbunden fühle, dann ist das Köln.

Als Jugendliche hatte ich den Traum: Wenn ich Schriftstellerin bin, dann komme ich mit meinem Buch in die Stadt zurück, in der ich aufgewachsen bin, und dann finden das alle toll und vielleicht ist mein ehemaliger Deutschlehrer da und gratuliert mir… Ein bisschen war es dann tatsächlich so: Zu den Lesungen in Köln kamen sehr viele Menschen, die ich von früher kannte, darunter einige Mütter meiner Grundschulfreundinnen.

Gleichsam hinterlässt ein Preis auch immer zwiespältige Gefühle. Bis zu einem gewissen Grad ist immer Zufall im Spiel und das macht es ein bisschen traurig, denn viele andere Schreibende hätten diese Preise für ihre Arbeit genauso verdient.

Sprechen wir noch kurz über Iran. Im Moment hören wir nur noch wenig darüber, was dort passiert. Das war nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im vergangenen Jahr anders. Ist es problematisch, dass die mediale Aufmerksamkeit so schnell weiterzieht?

Es ist problematisch, aber dennoch nachvollziehbar, mediale Aufmerksamkeit gibt es leider nur begrenzt. Wir in der Diaspora sind das schon gewohnt, allerdings waren die Proteste, die im September 2022 aufgeflammt sind, schon eine besondere Eruption. Widerstand und Rebellion auf der einen und offener Terror des Regimes gegen die Bevölkerung auf der anderen Seite gehören in Iran immer schon zum Alltag, aber das hat sich noch einmal massiv verschärft. Dass die Zahl der Hinrichtungen zum Beispiel zugenommen hat, ist Teil der Einschüchterungspolitik.

Vor allem ist wichtig, wie sich das Ausland jetzt verhält, wie sehr das Regime geächtet wird. Und da stimmt es leider nicht optimistisch, dass die BRICS-Staaten Iran gerade in ihre Reihe aufgenommen haben.

Wie schätzen Sie bei Freunden und Verwandten dort die Stimmung ein? Haben die Menschen dort überhaupt noch Hoffnung?

In den letzten zwanzig Jahren war es ein stetes Auf und Ab: Mal kam ein Reformer an die Macht, der hat nicht wirklich etwas verändert, dann kam wieder ein Radikaler, dann haben sich die Menschen doch im nächsten Wahlkampf wieder aufgerafft, einen Reformer zu unterstützen. Aber eigentlich wussten sie, dass das nichts bringt, weil sich das System nicht reformieren lässt. Dieses Spiel aus Hoffnung und Enttäuschung ist Teil des Lebens dort und ich finde es extrem bewundernswert, wie vor allem junge Menschen das aushalten.

Was vielen Menschen dieses Mal speziell Hoffnung gemacht hat, war die weltweite Solidaritätswelle, vor allem unter Frauen. Es gab Demonstrationen von Quito bis Tokio, es gab prominente Unterstützer, sehr viele Menschen haben sich geäußert und ihre Solidarität bekundet. Das war schon ein neues Niveau.

Hält das nach wie vor an?

Zum Teil ja. Wichtig wäre es, auf die Solidaritätsbekundungen weiterhin konkrete Taten folgen zu lassen, etwa in Form von Zusammenarbeit mit Künstler*innen und Wissenschaftler*innen aus Iran. Auf institutioneller Ebene wurden ja viele Verbindungen gekappt, aber individuell können sie weiterhin gefördert und eingeladen werden. Leider legen sich die Botschaften manchmal quer und vergeben keine Visa. In der Vergangenheit passierte das unglaublicherweise gerade dann, wenn wieder Proteste aufflammten – die Einreisenden könnten dann vermehrt hier Asyl beantragen wollen, so das Argument gegen ein Visum. Da wünsche ich mir, dass sich künftig die Solidarität der deutschen Außenministerin mit den Iraner*innen auch konkret in der Visavergabe ausdrückt.