Die Extremchemiker
Die Kölner Nuklearchemie ist einer von wenigen Standorten in Europa, an denen an Technetium-99 geforscht wird. Dass Erik Strub und Markus Zegke das seltene radioaktive Element überhaupt in ihren Laboren untersuchen können, hat mit einem Zufallsfund zu tun.
Von Jan Voelkel
Aufräumen gehört eher zu den lästigen Pflichten. Macht wenig Spaß, muss aber sein und hinterher fühlt es sich doch gut an, wenn alles ordentlich an seinem Platz steht. Manchmal findet man sogar kleine Schätze. Der einstige Lieblingspulli, der sich ganz hinten im Schrank versteckt hat. Ein Zehner, der noch in der Tasche der Winterjacke steckt. So in etwa sehen die kleinen Freuden des Alltags aus. Es gibt aber auch Leute, die freuen sich, wenn sie beim Aufräumen über radioaktives Material stolpern. Die Chemiker PD Dr. Erik Strub und Dr. Markus Zegke zum Beispiel.
Beim Aussortieren der Schränke in der Kölner Nuklearchemie fand Strub ein kleines Fläschchen. Die Aufschrift »Caution: Radioactive Material« ist in diesem Fachbereich noch nicht allzu aufsehenerregend, das Datum »3-2-65« und der Ortsvermerk »Oak Ridge« dafür schon. Denn offenbar hatte Strub ein altes Fläschchen mit Technetium-99 gefunden, das Institutsgründer Wilfried Herr, ein ehemaliger Doktorand von Otto Hahn, im Jahr 1965 angeschafft hatte und das seit Jahrzehnten unbeachtet im Schrank sein Dasein fristete. »Dass Technetium-99 etwas Besonderes ist, war mir klar«, so Strub. »Aber ich habe mir schon die Frage gestellt: Kann das weg oder ist das noch zu gebrauchen? Ich habe dann meinen Kollegen Markus Zegke gefragt, was er davon hält.« Der war direkt begeistert und plädierte fürs Behalten.
Extremversuch mit Supersäuren
Unter den 118 bekannten Elementen nimmt Technetium eine Sonderstellung ein. Es ist das erste Element, das jemals künstlich hergestellt wurde, und es steht, anders als die restlichen radioaktiven Elemente, in der Mitte des Periodensystems. In der Praxis wird vor allem das kurzlebige Technetium-99m für nuklearmedizinische Zwecke gewonnen und unter anderem für die Tumordiagnose genutzt. Mit seiner Halbwertzeit von nur 6 Stunden ist es aber für chemische Grundlagenforschung nur bedingt geeignet. »Zugang zum langlebigeren Technetium- 99 mit einer Halbwertzeit von 200.000 Jahren zu bekommen, ist gar nicht einfach«, sagt Zegke. »Die Anschaffung ist aufwendig und teuer, da es im Grunde nur am Oak Ridge National Laboratory in Tennessee hergestellt wird.« Die Forschung am seltenen Element ist auch für die Uni Köln etwas Besonderes, denn in ganz Europa gibt es nur sehr wenige Einrichtungen, die überhaupt mit Technetium-99 arbeiten.
»Man kann sagen, dass wir Extremchemiker sind«, sagt Strub und spielt damit nicht nur darauf an, dass die beiden mit radioaktivem Material umgehen. Die Forscher haben die Technetium-Verbindung sogenannten Supersäuren ausgesetzt. Diese extrem starken Säuren führen dazu, dass das Technetium reagiert und bei der Reaktion mehrere Verbindungen und Zwischenstufen durchläuft, die bisher nicht oder nur unzureichend bekannt waren. Dabei durchlaufen die Verbindungen einen Farbwechsel – vom farblosen Ausgangszustand zu gelb, violett und grün. »Das ist nicht nur schön anzusehen, sondern hilft uns in der Grundlagenforschung das Element besser zu charakterisieren«, so Strub.
Arbeiten unter Hochdruck
Die Erkenntnisse der beiden Chemiker weisen zudem darauf hin, dass man die nach der Reaktion mit Säure entstandene grüne Verbindung wiederum zu neuen Verbindungen umsetzen kann, indem man sie mit anderen Elementen kombiniert. »Das ist insbesondere dann interessant, wenn diese Elemente aus dem Kernbrennstoffkreislauf kommen«, erklärt Zegke.
Kernbrennstoffkreislauf – Der Begriff fasst die Prozesse der Nutzung und Entsorgung radioaktiver Stoffe in der Kerntechnik zusammen: von der Urangewinnung und Anreicherung über die Nutzung im Atomkraftwerk und die Wiederaufarbeitung der Brennelemente bis hin zur Endlagerung des Atomabfalls.
»Denn nur auf diese Art können wir komplexe chemische Systeme, zum Beispiel in radioaktiven Abfällen, und die Reaktionen in hochreaktiven Medien besser verstehen.« Neue Vorhaben hat er dabei bereits im Sinn – wieder im Extrembereich. Im Institut für Anorganische Chemie gibt es eine Hochdruckpresse, in der sich extreme Drücke erzeugen lassen. »Das ist ein Reiz, die Grenzen des Periodensystems und der bekannten Chemie weiter auszuloten. Damit kann man sich zum Beispiel Druckverhältnissen nähern, die tief im Erdinneren herrschen, und damit, im weitesten Sinne, für ein Endlager relevant sein können«, ergänzt der Nuklearchemiker.
Offenbar lohnt es sich also, ab und zu die Schränke und Regale aufzuräumen. Auf dem Flur vor dem Labor der Nuklearchemie steht übrigens auch noch der »Schrank der 1000 Pilze« mit Pilzproben aus aller Welt. Mal sehen, woran Strub und Zegke dann nach dem nächsten Frühjahrsputz arbeiten.