zum Inhalt springen

Die Ackerschmalwand

Pflanzenforscher Dr. Gregor Schmitz über ein kleines Unkraut mit großer wissenschaftlicher Bedeutung

Der Wildtyp der Pflanze wächst am Wegesrand, auf Mäuerchen oder an Hauswänden.

Wissenschaftler*innen der Kölner Uni erforschen, erkunden und erleben Köln. Sie beschäftigen sich mit Flora, Fauna und nicht zuletzt den Bewohner*innen der Stadt gestern und heute. Über Interessantes, Skurriles, Typisches oder auch weniger Bekanntes berichten sie in dieser Rubrik. Dr. Gregor Schmitz vom Institut für Pflanzenforschung über ein kleines Unkraut mit großer wissenschaftlicher Bedeutung.


Sie ist an vielen Stellen in Köln zu finden: auf Wiesen und Auen, in Parks, am Wegesrand zwischen Pflastersteinen, auf Mäuerchen und an Hauswänden. Auf meinem täglichen Arbeitsweg zur Uni fallen mir immer wieder Exemplare der Ackerschmalwand auf, oder Arabidopsis thaliana, wie sie wissenschaftlich heißt.

Die kleine Pflanze ist nicht nur eine Überlebenskünstlerin in den verschiedensten städtischen Umgebungen, sie ist auch ein Star der Pflanzenforschung: keine Modellpflanze wird häufiger genutzt. Das Genom von A. thaliana ist seit dem Jahr 2000 vollständig sequenziert. Ihr relativ kleines Genom, der kurze Generationenzyklus und ihre Robustheit machen sie zur perfekten Kandidatin, um mehr über Krankheiten oder genetische Veränderungen zu erforschen, die auch andere, kompliziertere Pflanzen betreffen. Die Ackerschmalwand-Pflänzchen, die in der Forschung genutzt werden, sind ein genetisch »reiner« Typ: die Linie, die Col-0 genannt wird, stammt von einem einzigen Individuum der Pflanze ab. In freier Wildbahn verfügt A. thaliana über eine größere genetische Vielfalt, es gibt unterschiedliche regionale Typen dieser über vier Kontinente verbreiteten Pflanze.

Kürzlich habe ich gemeinsam mit Professorin Dr. Juliette De Meaux und weiteren Partner*innen in einer Studie den Lebenszyklus der Pflanze erforscht. Wir wollten beispielsweise herausfinden, wie Wildtypen mit ihren jeweiligen Genomen sich an lokale Umweltbedingungen wie Temperatur und menschliche Störungen anpassen. Auch wollten wir besser verstehen, wie sich die im Labor bei Forschung an der »reiner« Modellpflanze gewonnenen Erkenntnisse bei genetisch unterschiedlichen Linien niederschlagen. Die Pflanzen, die wir untersucht haben, sammelte ich auf meinem Arbeitsweg mit dem Rad von Rodenkirchen zur Uni – die Auswahl ist ja groß.

Dabei wurde uns klar, wie groß die ökologische Vielfalt in unseren Straßen ist: Schon in dem eng begrenzten Raum im Kölner Süden lebt eine Vielzahl unterschiedlicher Linien. Die Sequenzierung der Pflanzengenome ergab, dass die städtischen Linien nicht enger miteinander verwandt sind als mit Linien aus einer größeren Region.

Die A. thaliana-Populationen in Köln zeigen darüber hinaus ganz unterschiedliche Merkmale in Bezug auf ihren Lebenszyklus. Diese Unterschiede tragen dazu bei, dass die Pflanzen in Lebensräumen überleben, die unterschiedlich stark durch menschliche Aktivitäten – wie Unkrautjäten oder Mähen – gestört werden. Auch für die jeweiligen Standorte (kühl und nass oder heiß und trocken) haben die Pflanzen verschiedene Strategien parat: manche Pflanzen können zum Beispiel verhindern, dass sie keimen, wenn es noch heiß werden kann, denn sie würden dann vertrocknen.

Eine solche genetische Vielfalt auf einer so kleinen Fläche hat uns überrascht. Sie ist nicht zufällig verteilt, sondern entspricht den spezifischen Unterschieden in der städtischen Umwelt. Wie genau sich die Ackerschmalwand an die städtische Umgebung – oft unter Bedingungen der fortgeschrittenen Umweltzerstörung – anpasst, wird uns am Institut für Pflanzenforschung noch weiter beschäftigen. Sicherlich werden Erkenntnisse, wie sich diese Modellpflanze an die schnell wechselnden Bedingungen der Großstadt anpasst, uns das Verständnis erleichtern, wie sich der Klimawandel auf viele andere Pflanzenarten auswirken wird.