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Der Materialmacher

In der Chemie entstehen neue langlebige, funktionale und nachhaltige Materialien

Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien. Doch das ist nicht alles, was sich ändern muss. Am Institut für Anorganische und Materialchemie entstehen neue Materialien, die langlebig und funktional, aber gleichzeitig nachhaltig sind.

Von Eva Schissler

Sanjay Mathur war von 2022 bis 2023 Präsident der American Ceramic Society. Er ist einer der Initiatoren des weltweiten wissenschaftlichen Netzwerks »International Alliance of Societies for a Sustainable Future«.

Er kommt immer früher: der Tag, an dem die Ressourcen, die die Erde natürlich zur Verfügung stellt, von der Menschheit aufgebraucht sind. Lag er in den 1970er Jahren noch im Dezember oder November, wird der sogenannte »Erdüberlastungstag « in diesem Jahr schon Ende Juli, Anfang August erreicht sein.

Die Energiewende soll diesen Trend umkehren, auch in Deutschland. Doch mit der Weltbevölkerung und zunehmendem Wohlstand steigt der weltweite Konsum von Gütern, was den Energiebedarf stetig in die Höhe treibt. Damit ist fraglich, wie schnell die Welt von klimaschädlichen fossilen Treibstoffen loskommen wird.

Professor Dr. Sanjay Mathur sieht die Energiefrage als einen entscheidenden Eckpfeiler auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft. Daher erforscht er mit seinem Team unter anderem effiziente Elektrolysemethoden und neuartige Katalysatoren zur Gewinnung von grünem Wasserstoff. Aber da die Produktion immer neuer Güter zunehmend mehr Materialeinsatz erfordert, müssen sich auch die von der Industrie verwendeten Materialien wandeln: Sie müssen langlebiger werden und der benötigte Materialeinsatz muss sinken. Er ist überzeugt: »Die Nachhaltigkeitswende ist eine Materialwende.«

Mathur leitet den Lehrstuhl für Anorganische und Materialchemie am Department für Chemie und Biochemie der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. In seiner Forschung auf dem Gebiet der chemischen Nanotechnologien beschäftigt er sich schon seit Jahren mit der Frage, wie die Funktionalität von Materialien verbessert, ihre Langlebigkeit erhöht und gleichzeitig der Ressourceneinsatz reduziert werden kann.

Dabei sieht er auch in Technologien, die für die Energiewende besonders wichtig sind, Verbesserungsbedarf: »Nehmen wir das Beispiel Windkraft. Die Anlagen sind heute nur für eine Funktionszeit von etwa zwanzig Jahren gebaut. Das Gleiche gilt für Materialien für Batterie- und Photovoltaiksysteme. Sie erfordern ein ganzheitliches Konzept – von der Integration der Materialien in die Bauteile bis hin zu ihrer optimalen Nutzung und Wiederverwendung. « Mathurs Team forscht daher an Batterien für Elektroautos, die mit integrierten Solarpaneelen wieder aufgeladen werden können, oder an Materialien für Brennstoffzellen, die Wasserstoff als Energieträger nutzen. Diese Aspekte der Materialentwicklung interessieren nicht nur ihn, sondern sein gesamtes Team von 45 Personen aus 17 Ländern.
 

Langlebigkeit ohne »Ewigkeitschemikalien«

Die Substitution etablierter Materialtechnologien ist für Mathur keine triviale Angelegenheit: »Das bedeutet eine disruptive Veränderung für die Industrie«, so der Chemiker. Ein Beispiel sind die Einschränkungen, die mit der zukünftigen Verwendung von per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS), den sogenannten ›Ewigkeitschemikalien‹, verbunden sind. Die meisten PFAS dürfen in der Europäischen Union zukünftig nicht mehr verwendet werden, da ihre starken chemischen Verbindungen nicht natürlich abbaubar sind und die Umwelt belasten. Mathur sieht den Einsatz der vielseitigen Materialien mit einzigartigen Eigenschaften jedoch als dringend geboten. Zu ihren Anwendungsbereichen gehören neben Anti-Haft-Pfannen und Funktionsbekleidung die Halbleiter- und Automobilindustrie sowie andere High-Tech-Sektoren.

Elektrolyseaufbau zur Herstellung grünen Wasserstoffs, der mit eigenen Solarpanelen betrieben wird.
Mathur und sein Team entwickeln extrem wasserabweisende Oberflächenbeschichtungen für industrielle Anwendungen.


Oft findet die Forschung in den Laboren der Anorganischen Chemie mit Partnern aus der Industrie statt, darunter der südkoreanische Autohersteller Hyundai und der deutsche Glashersteller Schott AG. Kurz vor Abschluss eines gemeinsamen Projekts mit Hyundai kam jedoch die PFAS-Einschränkung. Das war auch eine Chance für das Team, sich neu zu orientieren: »Chemische Materialien in der Industrie sollten immer in Richtung Langlebigkeit optimiert werden. Diese Anforderung haben die PFAS sehr gut erfüllt, aber jetzt müssen wir nach weniger problematischen Alternativen suchen «, sagt Mathur.

Seither arbeiten die Chemiker*innen an neuen Stoffen. Die sehr wasserabweisenden – oder superhydrophoben – Funktionsbeschichtungen können etwa in der Autoindustrie den Korrosionsschutz von Bauteilen verbessern. Die Herausforderung bestehe darin, eine Oberfläche mit einer sehr dünnen Schicht eines solchen Materials zu erzielen, wobei der Trägerwerkstoff darunter günstiger und mit weniger Material produziert werden kann. Ein Ansatz, den seine Arbeitsgruppe verfolgt, ist die Nanostrukturierung. Sie erfülle beide Nachhaltigkeitsanforderungen: Langlebigkeit und reduzierten Materialeinsatz. »Nanopartikel können die Eigenschaften einer Oberfläche verändern und verschiedene andere Funktionen erfüllen«, so der Chemiker. Seine Gruppe entwickelt zum Beispiel magnetische Nanopartikel, die mit einem bestimmten Enzym bestückt werden. Zum Abbau von PFAS in der Natur funktioniere diese Technologie zwar leider nicht, allerdings kann so Mikroplastik in Gewässern oder Kläranlagen abgebaut werden.
 

Medikamente in Zellen einschleusen

Ähnlich wie die Ewigkeitschemikalien haben auch Nanopartikel einen schlechten Ruf. Sie gelten als gesundheitsschädlich, da sie durch ihre extrem kleine Größe in unsere Zellen gelangen können. Zunächst sind jedoch alle Stoffe, die nicht in lebender Materie zu finden sind, potentiell toxisch. Ob ihre Schädlichkeit zunehme, je kleiner sie sind, ist für Mathur nicht erwiesen. Ein Schaden für den Organismus entstehe nur, wenn sie die zellulären Prozesse unterbinden oder den Energiehaushalt aus dem Gleichgewicht bringen. Ob dies der Fall ist, ist bislang ungeklärt.

Mathur sieht stattdessen sehr nützliche Einsatzgebiete für Nanopartikel – ausgerechnet in der Medizin: Nanoträgersubstanzen für Medikamente könnten bewirken, dass deutlich weniger Wirkstoff den gewünschten therapeutischen Effekt erzielt. Beim Einsatz herkömmlicher Trägermaterialien wird ein Großteil des Medikaments direkt wieder vom Körper ausgeschieden. »In Nanopartikeln könnten wir den Wirkstoff so verkapseln, dass er nur dort freigesetzt wird, wo wir ihn brauchen.« Die Freigabe wäre zudem zeitversetzt. So bräuchte man möglicherweise nicht mehrere Milligramm eines Wirkstoffes, sondern nur einige Milligramm, um die gleiche Wirksamkeit zu erzielen.

Bei dem gemeinsamen, von der Kölner Uni geförderten Forschungsprojekt »UoCNanoforum « mit Kolleg*innen der Medizinischen Fakultät sowie der RWTH Aachen geht es etwa darum, wie Krebsmedikamente effektiver an ihren Zielort gelangen können und wie ein intelligenter Mechanismus zur Wirkstofffreisetzung in der Mikroumgebung eines Tumors realisiert werden kann. »Bei der gewöhnlichen Medikamenteneinnahme bewegen sich über 99 Prozent eines Wirkstoffs durch den Körper und können auch von gesunden Organen aufgenommen werden – ein ungewollter Effekt«, sagt Mathur. Diese sogenannte »systemische Toxizität« verursacht etwa bei der Chemotherapie Nebenwirkungen wie die vorzeitige Alterung der Haut oder den Haarverlust. Das gezielte Einschleusen eines Wirkstoffs ausschließlich in die betroffenen Zellen mithilfe von Nanopartikeln könne solche Nebenwirkungen verringern.

Ein Haus, das lebt

Sanjay Mathurs Spezialgebiet sind eigentlich Funktionskeramiken, die sowohl in der Energiewende als auch im Bereich der Medizin eine Schlüsselrolle einnehmen. Auf diesem Gebiet kooperiert er ebenfalls mit Partnern aus der Medizin in Köln, Bonn und Aachen. Etwa, um noch langlebigere medizinische Implantate wie Hüftprothesen oder Gefäßstützen (Stents) zu entwickeln. Doch damit ist der Einsatz dieser Materialgruppe lange nicht ausgeschöpft. Ein weiteres Beispiel ist ein spezielles Baumaterial, in das vertikale Gärten integriert werden können. Gemeinsam mit dem Bundesamt für Materialforschung entwickelt eine Arbeitsgruppe des Lehrstuhls daher anorganische Partikel, die pflanzliche Nährstoffe enthalten, aus denen Pflanzen direkt wachsen. Diese Funktionskeramiken werden als dünne Schicht auf Zement aufgebracht und stellen den Pflanzen alle notwendigen Nährstoffe sowie Feuchtigkeit bereit. Damit können grüne Fassaden nicht nur CO2, sondern auch Feinstaub aus der Luft binden. Im Zuge des Klimawandels könnten Gebäude mit diesem Material in sehr heißen Ländern für Abkühlung sorgen.

An Häusern könnten in Zukunft wie in diesen Proben Pflanzen direkt aus dem Beton wachsen.

Für diese Art von Baustoff gibt es sogar einen ganz neuen Begriff: »engineered living materials«. Sie gehen noch einen Schritt weiter als die Fassadenbegrünung und integrieren das pflanzliche Material direkt in die Kernstruktur. »Bei diesen Materialien ist die Werkstoffauswahl besonders wichtig, denn die Stabilität und Sicherheit des Gebäudes dürfen nicht beeinträchtigt sein«, sagt Mathur.

Diese Beispiele sind nur einige von vielen Forschungsbereichen, in denen Studierende, Promovierende und Postdocs am Institut für Anorganische und Materialchemie aktiv sind. Was heute unter den Begriff Nachhaltigkeit fällt, stand dort schon viel früher auf der Tagesordnung. Sanjay Mathur ist froh, dass nun an der Uni ein Prorektorat für diesen Bereich und ein Nachhaltigkeitsbüro mit Anknüpfungspunkten für viele seiner Forschungsthemen eingerichtet wurden. Was jedoch in Köln nicht vertreten ist, sind Ingenieurswissenschaften, die die vielen anwendungsorientierten Forschungsergebnisse aus Mathurs Arbeitsgruppe testen und zur technischen Anwendung verhelfen könnten. Hier setzt er auf das starke regionale Forschungsnetzwerk: Neben den Partnern aus der Industrie kooperiert Mathurs Lehrstuhl unter anderem mit der RWTH Aachen, dem Deutschen Luftund Raumfahrtzentrum, dem Forschungszentrum Jülich und der Universität Bonn. Auch mit dem Gateway Exzellenz Startup Center ist er in engem Austausch. »Wir machen viele patentwürdige Entdeckungen. Die Technologiescouts vom Gateway schauen in alle Arbeitsgruppen rein und beraten uns.« Mit der »Materials Alliance Cologne« ist schon vor zehn Jahren eine Ausgründung gelungen, die seither die Kooperation zwischen Universität und freier Wirtschaft fördert.
 

Ein Profil für die Kölner Chemie

Die Vielfalt der Themen im Department für Chemie und Biochemie macht für Sanjay Mathur den Reichtum des Kölner Standortes aus, doch er sieht auch Vorteile in einer gezielteren Profilbildung, etwa durch das Einwerben eines Sonderforschungsbereiches oder einer anderen prestigeträchtigen Förderung: »Wenn das gelingt, können wir unsere Position in der Fachwelt stärken, effizientere Strukturen für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses schaffen und unsere Lehrangebote optimieren.«

In jedem Fall sieht er Köln als den optimalen Standort für ein solches Vorhaben an: Neben vielen Industrieunternehmen arbeiten die Universitäten und Forschungseinrichtungen in der sogenannten ABCD-J Region (Aachen, Bonn, Köln Düsseldorf und Jülich) in vielen Bereichen eng zusammen. Gemeinsam mit diesen Partnern will der Chemiker auch weiterhin an Materialien und Energieträgern für eine Zukunft forschen, in der es keinen Erdüberlastungstag mehr gibt.

 

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