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Der Kommissar und die Nazis

Herbert Reinecker, Schöpfer von " Der Kommissar" und „Derrick“, und seine Nazi-Vergangenheit

Schreibtisch eines Detektivs mit altem Telefon, Hut, Revolver

Herbert Reinecker war Schöpfer von „Der Kommissar“ und „Derrick“, zwei der beliebtesten Krimiserien der Bundesrepublik. Doch der Erfolgsautor hatte eine Nazi-Vergangenheit. Ein Promotionsprojekt an der Philosophischen Fakultät untersucht nun die Rolle, die diese Erfolgsserien in der Bundesrepublik der 1970er Jahre spielten – und wie die persönliche Geschichte ihres Schöpfers nachwirkte.

Ein edles Restaurant in München, man diniert und speist. Doch Oberinspektor Derrick verhört eine Verdächtige. Ernst runzelt er die Stirn: Auch diese Zeugin lügt ihn doch wieder an – obwohl es Lili Palmer ist. Nun muss gehandelt werden – die dienstbeflissene rechte Hand des Kriminalisten, Harry Klein, ist schon zur Stelle. »Harry, wir brauchen den Wagen – sofort.«

Wenn Oberinspektor Stefan Derrick mit seinen traurigen Augen den Verdächtigen fixierte, sah die Republik zu: Der korrekte deutsche Beamte mit verlässlicher Moral war eine Erfolgsserie, genau wie sein Vorgänger Der Kommissar«. Der Autor, Herbert Reinecker, war einer der fleißigsten und meist gesehenen Krimiautoren der Republik. Aber Reinecker war Nazi. Nicht nur Mitläufer, sondern sogar SS-Kriegsberichterstatter.

Der Verführte als Künstler?

Der Schöpfer vom »Kommissar« und Derrick« legte viel Wert darauf, selber die Zügel in der Hand zu halten, wenn es um die Interpretation seiner Person ging. »Reinecker hat seine NS-Vergangenheit umgedeutet«, meint die Historikerin Haydée Mareike Haass, die Reineckers Karriere im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der a.r.t.e.s. Graduate School und am Historischen Institut untersucht. »Er hat die Rezeption seiner Persönlichkeit sehr wohl gesteuert.« Gezielt entwickelte er Selbstbilder, durch die er sich inszenierte oder die ihm im Hinblick auf eine Liberalisierungs- und Verwandlungspolitik der Bundesrepublik öffentlich von außen zugesprochen wurden. Haass zählt auf: Das ist der Leistungsträger, der in den 1950er Jahren den deutschen Film wieder international populär machen soll, der Vielschreiber, in den 1960ern der Geschäftsmann. Der Zeitzeuge und Unwissende in Bezug auf den Holocaust in den 1990ern. Der Verführte als Künstler, der nichts dafürkonnte. Der Intellektuelle und Bürger. Der Ästhet der Gewaltlosigkeit Das alles wirkte entlastend. «

97 Folgen von »Der Kommissar« wurden in Deutschland ausgestrahlt - Haydée Mareike Haass hat sie sich alle angesehen: »Die sind richtig gut gemacht, obwohl man sie heute nicht mehr als spannend bezeichnen würde.« Sie interessierte sich für die Kontinuitäten und Brüche der NS-Moral in der medialen deutschen Alltagskultur nach 1945. »Wie wurde mit dem moralischen Erbe des Nationalsozialismus im Bereich der Alltagskultur umgegangen, die ab den 1960er Jahren zum Massenmedium wurden?«, fragt die Promovendin.

Karriere im Dritten Reich

Herbert Reinecker – das weiß man seit dem Buch »Reineckerland« von Rolf Aurich von 2010 – war Mitglied der Waffen-SS und SS-Kriegsberichterstatter mehrerer SS-Einheiten. Daneben war er als NS-Drehbuchverfasser und NS-Dramaturg erfolgreich. Dass er ein überzeugter Nazi war, wusste man seit der Veröffentlichung seiner Autobiographie im Jahre 1990.

Als Herausgeber und Schriftleiter mehrerer HJ-Zeitungen und Autor für Jugendbücher und Dramen entwickelte Reinecker im Dritten Reich in Artikeln und Erzählungen Gemeinschaftsvorstellungen, Kampfvorstellungen, Führungsfiguren und moralische Krisenperspektiven, die sich voll auf der Linie der NSDAP bewegen und nationalsozialistische Werte mitbegründeten. Teilweise bringt er auch als einer der ersten die Aussagen hervor«, beschreibt Haass die kreative Rolle des Kulturschaffenden. Auch in seiner Tätigkeit als SS-Kriegsberichterstatter war Reinecker regimetreu. 1944 hat er in der Normandie über Massenerschießungen von Kanadiern berichtet.« Die Rechtfertigung einer Kampfmoral war nichts Neues für Reinecker, denn bereits 1939 hatte er in Jugendbüchern Erschießungen beschrieben und den Angriffskrieg auf Polen für jugendliche Leserinnen und Leser nachträglich gerechtfertigt, so Haass.

Abgrenzung zur NS-Moral und Kontinuitäten

Der »Kommissar« schaffe mit seiner Erzählperspektive moralischer Werteverfall« ein Erzählangebot, das durch seine moralische Perspektivierung ein nach dem Nationalsozialismus entstandenes moralisches Vakuum durch Anpassung, Transformation und Adaption überwinde, meint Haass: »Der Kommissar ist noch einmal so etwas wie eine nette und autoritäre Führungsfigur. Er steht aber – im Gegensatz zu den früheren Führerfiguren, die innerhalb einer Gemeinschaft waren – eher außerhalb der Gemeinschaft.«

Der Kommissar beobachtet von außen die Gesellschaft, dabei verhält er sich sehr menschlich und wendet keine Gewalt an. Das heißt, wir haben eine sehr starke Abgrenzung zur Kampfmoral, die Reinecker während der NS-Zeit vertreten hat«, sagt Haass. Der Kommissar versucht Gruppen, die aus der Gesellschaft gefallen sind, wieder väterlich zurückzuholen. Das zeige sich zum Beispiel in den langen Dialogen mit Obdachlosen und anderen sozial Gefallenen«. Der Kommissar werde durch diese Erzählfigur zu einer moralischen Instanz, welche im Gegensatz zu seinen Kollegen allwissend, moralisch integer und als einzige Figur »gut« sei.

Im Gegensatz zu den ersten Gehversuchen der populären Kriminalsendungen reflektiert der Kommissar« auch sehr die sich wandelnde Alltagskultur der 1960er Jahre. Der Protagonist sinniert aus einer konservativen Perspektive über Jugend- und Subkulturen. Allgemein geht es in der Serie um die Perspektive von moralischem Werteverfall anstelle von Angst und Gewalt.

Auseinandersetzung mit Zeugenschaft, Mittäterschaft und Schuld

Die autoritäre Führerfigur wird in Reineckers Serien in eine demokratiekompatible moralische Instanz transformiert. Zwar werden die Ermittlungen durch eine Gruppe von Ermittlern durchgeführt, das letzte Wort hat allerdings der Chef, so Haass: »Die Ergebnisse der Spurensicherung unterstreichen dann die Meinung des Kommissars, während man das bei »Derrick nicht mehr braucht. Die Autorität der Figur ist viel größer.« Überhaupt werden die Konzepte des Kommissars bei Derrick zugespitzt: »Die moralische Überlegenheit der Figur als Ermittlungsprinzip wird bei Derrick weitergetragen. Zudem ist er ein positiver Werteträger. Er trinkt im Gegensatz zum »Kommissar« wenig Alkohol und lebt ohne Frau oder Familie.«

Die zentralen Themen des »Kommissars« sieht Haass in Mittäterschaft und Zeugenschaft bei einem Mord. So steht die Ermittlung, das menschliche Drama der Verquickung in die Schuld des Täters, im Vordergrund der Erzählung. »Der Krimi reflektiert als Genre immer das Verhältnis von Recht und Moral«, erklärt Haass. »Beim »Kommissar« stellen sich aber besonders interessante Fragen zur Mittäterschaft, Zeugenschaft und der Gewalt.« Während es bei den meisten Krimis in der jungen Bundesrepublik die freundlichen Mitbürger und -bürgerinnen waren, die dem Ermittler helfen und Auskunft geben, verweigern sich die Zeugen im „Kommissar „den Ermittlern, weil sie selber schuldig sind, oder durch das Schweigen erst schuldig werden. »Beim Kommissar wollen sie nicht mit ihm sprechen. Darauf wird ein Schwerpunkt der Serie gelegt. Allgemein geht es um ähnliche moralische Fragen von Täterschaft und Mittäterschaft und Passivität von Zeugenschaft wie bei den Auschwitzprozessen, die kurz vor der ersten Ausstrahlung des Kommissars 1968 Anfang der 1960er begannen „, so Haass. »Vor diesem Hintergrund sehe ich auch diese Serie. «