Das Institut für Luft- und Weltraumrecht hat gerade seinen 90. Geburtstag mit einem sehr erfolgreichen internationalen Symposium gefeiert. Die Tagung fällt in eine Zeit, in der tragische Flugzeugabstürze viele Opfer fordern und der Weltraum als kommerzielle Sphäre in den Blick genommen wird. Professor Stephan Hobe, Direktor des Instituts für Luft- und Weltraumrecht, erklärt, welche Fragen sich für den Völker- Luft- und Weltraumrechtler daraus ergeben und wieso er Verkehrsregeln für den Weltraum fordert.
Herr Professor Hobe, der malaysische Flug MH17, der über der Ostukraine abgeschossen wurde, der Selbstmord des Germanwings-Piloten über den französischen Alpen oder das Verschwinden des Air Malaysia-Fluges über dem Indischen Ozean: Welche Fragen tun sich da für den Luft- und Völkerrechtler auf?
Der tragische Absturz der Germanwings-Maschine vor wenigen Monaten über den französischen Alpen mit 150 Opfern ist ein Fall, der sich nach dem Warschauer Abkommen von 1929 bzw. dem Montrealer Übereinkommen von 1999 richtet. Das sind beides internationale Abkommen, die somit für den internationalen Flug von Spanien nach Deutschland gelten. Dabei kommt die Frage nach Entschädigungen auf. Das Abkommen sagt im Kern, dass die Opfer und ihre Angehörigen nach den Haftungsgrundsätzen und Haftungshöhen, die ihrem nationalen Recht entsprechen, entschädigt werden.
Heißt das, dass die Angehörigen unterschiedlich entschädigt werden?
Die Angehörigen der drei amerikanischen Opfer werden wegen der viel höheren Entschädigungssummen nach amerikanischen Recht sehr viel großzügiger entschädigt werden als etwa die Angehörigen der deutschen Opfer. Bei der Berechnung des Schadenssatzes im deutschen Recht bildet sich immer die Erwerbsbiographie desjenigen ab, der getötet wurde. Also ist der Schaden eines zu Tode gekommenen Kleinkinds nach deutschem Schadensrecht viel geringer als der eines Familienvaters. Der deutsche Gesetzgeber wird sich dieser Frage annehmen müssen und bestimmen, ob diese Unterschiede im deutschen Haftungsrecht weiter fortbestehen sollen.
Der zweite Vorfall ist der Abschuss der malaysischen Verkehrsmaschine MH 17 in der Ostukraine.
Der wirft eine Palette von ziemlich schwierigen Rechtsfragen auf. Die betreffen das allgemeine Völkerrecht wie auch das internationale öffentliche Luftrecht. Die drängendste und auch unter Experten nach wie vor umstrittene Frage ist: Wenn bürgerkriegsähnliche Zustände in einem Land herrschen, ist dann nicht der Staat, dessen Luftraum betroffen ist, verpflichtet, den Luftraum für den Durchflug zu sperren? Es spricht einiges dafür, dass es kein großes Interesse oder Unvermögen der Ukraine an einer Sperrung ihres Luftraums über 6000 Meter Höhe – bis dahin war er ja gesperrt – gab. Sollte man es nun prospektiv solchen Staaten zur Verpflichtung machen, so eine Sperrung durchzuführen? Ich meine: ja.
Und zweitens stellt sich die Frage: Ist ein Staat wie Deutschland verpflichtet, seinen Airlines zumindest zu empfehlen, den Luftraum eines Landes zu umfliegen, wenn dort bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen und selbst in elf Kilometern Flughöhe eine Angriffsgefahr besteht? Ich sage: Ja, ein solcher Staat wäre zumindest dazu verpflichtet. Ich gehe sogar einen Schritt weiter und sage: Die Airlines müssen dazu gezwungen werden. Der deutsche Staat hat eine Schutzpflicht gegenüber den Passagieren und Besatzungen deutscher Flugzeuge. Man muss überlegen, dass man über Syrien, über Libyen, nach wie vor über der Ukraine oder im Irak viele Lufträume hat, die äußerst gefährdet sind. Deswegen ist dies eine Frage, die von hoher Relevanz ist. Es ist gut, dass die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO daran arbeitet.
Es gab noch einen dritten spektakulären Fall: das Verschwinden der malaysischen Maschine über dem indischen Ozean vor zwei Jahren.
Das ist etwas Einzigartiges, dass der Voice Recorder nicht gefunden werden konnte. Die ICAO ist deswegen dabei, diese Rekorder besser und anders auszustatten, sodass er noch besser gegen Verschwinden geschützt ist.
Neben dem Luftrecht, das den Schwerpunkt Ihrer Arbeiten ausmacht, beschäftigen Sie sich in Ihrem Institut auch mit dem Weltraumrecht. Welche Rechtsthemen werden im Weltraumrecht diskutiert?
Da gibt es etwa die Umweltschutzfrage: Wie schützt man das Medium Weltraum eigentlich gegen menschliche Verunreinigungen?
Umweltschutz im Weltraum? Wovon reden wir da?
Von Weltraumschrott, space debris wird das in der internationalen Diskussion genannt. Reste von Satelliten und Raketen, die mit hoher Geschwindigkeit um die Erde kreisen und die Raumfahrt gefährden. Ganze Satelliteninfrastrukturen können dadurch zerstört werden. Es muss rechtlich verbindliche Regelungen geben, die die Staaten verpflichten sicherzustellen, dass diese Weltraumobjekte keinen Müll produzieren oder nicht selbst zu Weltraummüll werden. In der Produktionsphase muss jeder Produzent von Weltraumobjekten staatlicherseits angehalten werden, allerhöchste Produktstandards einzuhalten, um zu verhindern, dass Oberstufen sich nicht lösen können oder irgendetwas von Satelliten absplittert. Es gibt bisher auch keine rechtliche Verpflichtung, Weltraumschrott wieder zu beseitigen. Die Entwicklung des Rechtes sollte also dahin gehen, zur Vermeidung von space debris anzuhalten und die Verursacher zur Beseitigung von Weltraumschrott zu verpflichten. Das ist technisch möglich aber eine kostspielige Angelegenheit und wird deshalb von den Staaten sehr ungern gesehen.
Es gibt gerade einen sehr aktuellen Vorstoß im Kongress der USA, der vorschlägt, den Abbau auf Asteroiden durch Amerikaner auch amerikanischem Recht zu unterstellen.
Ich halte den Asteroid Mining Act für völkerrechtlich problematisch. Ressourcenabbau und -ausbeutung auf Himmelskörpern ist eine internationale Frage, die gehört nicht in das Gebiet nationaler Regelungen. Die Amerikaner versuchen beharrlich, das nicht zu beachten. Die Sache zeigt allerdings auch, dass die Ausbeutung von Bodenschätzen auf Himmelskörpern noch der rechtlichen Beantwortung harrt. Wir haben einen Mondvertrag, der bis jetzt noch nicht von allen akzeptiert wird und das liegt genau daran, dass man über die Ausbeutungsfrage keinen Konsens erzielen konnte. Deshalb bin ich schon lange der Auffassung, dass es einer Staatenkonferenz bedarf, die eine Antwort findet und sei es auch nur ein Moratorium, wie in der Antarktis.
Der Weltraum braucht also mehr Regeln?
Richtig. Das ist ein alle Fragen überspannendes Thema, das meiner Überzeugung nach in Zukunft eine sehr starke Rolle spielen wird, und das man mit dem Begriff „Verkehrsregeln für den Weltraum“ beschreiben könnte. „Space Traffic Management“ kann als Konzept durchaus auch in Anlehnung an das „Air Traffic Management“ gesehen werden. Im Zeichen der zunehmenden Kommerzialisierung müssen wir den Weltraum als Medium begreifen, in welches, durch welches und aus welchem Transport stattfinden wird. Deswegen hat die Menschheit ein genuines Interesse daran, dass dieses Medium frei von Müll bleibt. Die Umlaufbahnen von Satelliten müssen zum Beispiel besser koordiniert werden. Dafür müssten die weltraumfahrenden Nationen die Umlaufbahnen ihrer Satelliten öffentlich kundtun, das tun sie bis jetzt nicht.
Es gibt zwar schon eine Verpflichtung, die wird aber von den Staaten nicht ernst genommen. Es müssen Behörden geschaffen werden, die die Umsetzung überwachen. Wenn es gelingt die Nutzung des Weltraums besser aufeinander abzustimmen, dann ist das förderlich für die kommerzialisierte Nutzung der Zukunft. Das hilft allen: Amerikanern, Russen, Chinesen und Europäern.