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Das Rätsel der jungen Sterne

Das James-Webb-Weltraumteleskop und andere hoch auflösende Instrumente erlauben es, nahe und ferne Regionen des Weltalls so präzise zu bestimmen wie nie zuvor. Dabei sind Sternhaufen plötzlich überraschend jung und es kommen Schwarze Löcher zum Vorschein, die vorher niemand bemerkt hat.

von Jan Voelkel

Gut gehalten hat man sich gemeinhin, wenn man auch im hohen Alter noch für Überraschungen gut ist. Das kann man von unserem Universum mit 14 Milliarden Jahren und unserer Galaxie mit rund 13 Milliarden Jahren in jedem Fall behaupten. So fanden Forschende in einer aktuellen Studie etwas Unerwartetes, als sie sich einen Sternhaufen namens IRS 13 genauer anschauten. Die Region befindet sich in der Nähe von Sagittarius A*, dem massiven Schwarzen Loch im Zentrum unserer Galaxie.

»In der Nähe« ist hier in astronomischen Verhältnissen zu verstehen. Der Sternhaufen ist immerhin 0,1 Lichtjahre entfernt – eine Strecke, für die man unser Sonnensystem zwanzig Mal von einem Ende zum anderen durchqueren müsste. Eigentlich hätten die Forscher*innen eine zufällige Anordnung der Sterne, aus denen IRS 13 besteht, erwartet. Stattdessen bewegen sie sich aber überraschend geordnet. Dies lässt zwei Schlüsse zu: »Zum einen scheint IRS 13 mit dem Schwarzen Loch zu interagieren«, erklärt Dr. Florian Peißker, Astrophysiker und Erstautor der neuen Studie. »Zum anderen muss es irgendetwas innerhalb des Sternhaufens geben, damit er seine kompakte Form behalten kann.«

Um der Frage auf den Grund zu gehen, wählten die Forscher*innen einen ziemlich aufwändigen Ansatz: Sie analysierten Daten der letzten zwanzig Jahre in einer Vielzahl von Wellenlängenbereichen und von verschiedenen Teleskopen. Sie verbanden dies mit einer umfangreichen theoretischen Betrachtung, um alles einzuordnen. So kamen sie zu dem Ergebnis: Dort muss es ein mittelschweres Schwarzes Loch geben.
 

Der Strahlung trotzen

Zwar wurde IRS 13 bereits vor über zwei Jahrzenten entdeckt, aber erst jetzt ist es gelungen, die einzelnen Sterne im Detail zu bestimmen und das Schwarze Loch zu entdecken. Möglich sind solche Erkenntnisse nicht zuletzt durch die technologische Entwicklung von Instrumenten und Teleskopen wie dem James-Webb-Weltraumteleskop. Dieses Gemeinschaftsprojekt der amerikanischen, europäischen und kanadischen Raumfahrtagenturen kann tiefer ins Weltall blicken, als alle Teleskope vor ihm.

Schließlich ergab sich ein stimmiges Bild. Die sehr jungen Sterne und der Sternhaufen zeigen klare Signaturen einer Wechselwirkung mit Sagittarius A* und bleiben dennoch dicht gepackt im Sternenhaufen. Das bedeutet, auf der einen Seite »zieht« Sagittarius A* an IRS 13, auf der anderen Seite zieht das mittelschwere Schwarze Loch an den Sternen und dem Sternhaufen, und konserviert so seine Form.

Es zeigte sich zudem, dass die Sterne in IRS 13 einige 100.000 Jahre alt und damit für stellare Verhältnisse außerordentlich jung sind. Eigentlich sollte es aufgrund der hochenergetischen Strahlung nicht möglich sein, dass sich eine derart große Anzahl so junger Sterne in der direkten Umgebung zum supermassiven Schwarzen Loch Sagittarius A* befindet. »Ab einer gewissen Entfernung wurde IRS 13 von der Gravitation des zentralen Schwarzen Lochs eingefangen«, erklärt Peißker.

Bei diesem Prozess könnte sich an der Spitze des Sternhaufens eine Bugstoßwelle aus dem Staub gebildet haben, der den Haufen umgibt – ähnlich wie bei der Spitze eines Schiffs im Wasser. Damit verdichtete sich der Staub und regte daraufhin weitere Sternentstehung an. Dies ist eine Erklärung, warum diese jungen Sterne vor allem in der Spitze des Sternhaufens zu finden sind. »Unsere Analysen sind der erste Versuch, ein Jahrzehnte altes Rätsel um die unerwartet jungen Sterne im galaktischen Zentrum zu lüften«, so Peißker.

Zeitreise mit Teleskop

Das Galaktische Zentrum, beobachtet mit dem Very Large Telescope und dem ALMA-Observatorium in der chilenischen Atacamawüste. In diesem Bild sind über 10.000 Sterne zu sehen.

Mithilfe des neuen James-Webb-Weltraumteleskops entstehen nicht nur präzise Bilder von Regionen in unserer Nachbarschaft, in denen neue Sterne entstehen. Das Präzisionsteleskop macht es auch möglich, so nah zum Ursprung des Universums zurückzublicken wie nie zuvor. Peißker und andere Wissenschaftler*innen des Instituts für Astrophysik in Köln waren an der Entwicklung bestimmter Instrumente beteiligt. Sie bauten die Teile des Detektors für die Beobachtung im infraroten Spektrum. »Das Universum dehnt sich seit dem Urknall aus. Je älter die Objekte sind, desto weiter sind sie von uns entfernt. Durch die Ausdehnung ändert sich auch die Wellenlänge des Lichts oder anderer Elemente wie Wasserstoff. Um das zu messen, schauen wir uns den infraroten Bereich an«, erklärt Peißker.

Man kann sich das Phänomen vorstellen wie den sogenannten Doppler-Effekt eines Krankenwagens: Fährt der Wagen an uns vorbei und entfernt sich, ändert sich der Klang der Sirene. So ist es auch mit den Spektrallinien, die Objekte im Weltraum aussenden. Die Emissionslinie von Wasserstoff wird immer roter, je länger sie unterwegs ist, bis in den Infrarotbereich hinein. Genau danach suchen die Forscher*innen, um zu entschlüsseln, wie das frühe Universum sich entwickelt hat.

Möglichst weit bis zum Urknall, bis zum Ursprung von Allem zurückzuschauen, führt zu spannenden Erkenntnissen, wirft aber auch neue Fragen auf. Lange ging die Wissenschaft davon aus, dass sich die ersten Galaxien überhaupt erst in einer Zeitspanne von etwa 250 bis 300 Millionen Jahren nach dem Big Bang ausbilden konnten.

Neueste Beobachtungen des James-Webb-Weltraumteleskops zeigen aber, dass es zu diesem Zeitpunkt bereits eine hohe Anzahl sehr schwerer und entwickelter Galaxien gab. »Das ist ein ganz großes Mysterium. Wir wissen nicht, wie sich diese frühen Galaxien entwickelt haben«, so Peißker. Besonders stechen sogenannte Quasare hervor. Sie zählen zu den hellsten Objekten des Weltalls. Als man die ersten Quasare entdeckte, dachte man zunächst, es seien sehr helle Sterne. Es stellte sich aber heraus, dass dies aufgrund der Spektrallinien nicht stimmen kann. Stattdessen musste es sich um die massereichen Kerne von Galaxien handeln. So kamen die Quasare zu ihrem Namen – quasi stellare Objekte.

»Wir sitzen hier in einer Galaxie, die im Vergleich zu den Galaxien mit Quasaren im Zentrum ein bisschen langweilig ist«, sagt Peißker. Im Zuge einer Studie hatten Kolleg*innen und er einen besonders massereichen Quasar entdeckt. Zum Vergleich: das Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxie ist ungefähr vier Millionen Sonnenmassen schwer.

Die Galaxie, die die Wissenschaftler*innen nun gefunden haben, hat drei Giga-Sonnenmassen – also drei Mal zehn hoch neun. »Das ist eine ganz andere Kategorie. Dann steht die Frage im Raum: Wie kann es sein, dass so ein Objekt so kurz nach Urknall – ungefähr 700 bis 800 Millionen Jahre danach – entstanden ist?« Im Prinzip könnten Kollisionen und Verschmelzungen derartige Objekte hervorbringen. Allerdings müssten dann die ursprünglichen Objekte ebenfalls bereits sehr massereich sein. »Wir kommen also nicht um das Problem herum: Manche Dinge, die wir nun finden, widersprechen gängigen Theorie. Das ist in der Wissenschaft ein riesengroßes Ding«, sagt der Astrophysiker.

Die Beobachtungsschärfe und die hohe Empfindlichkeit des James-Webb-Weltraumteleskops eröffnen neue, einmalige Beobachtungsmöglichkeiten.

Das Universum aus LEGO

Im Moment werden die Fragen mehr und die Antworten lassen ein bisschen auf sich warten. Aber gerade deshalb ist es für Peißker eine hervorragende Zeit für die Wissenschaft: »Ich glaube, so eine Ära, in der wir uns in der Astrophysik befinden, gab es ganz selten. So ein Sprung, den wir jetzt gerade erleben, ist natürlich spannend.«

Dass Peißker seine Faszination für den Weltraum zum Beruf machen und es dabei in die renommiertesten Forschungsgruppen und -kooperation schaffen würde, war nicht unbedingt abzusehen. Nach seinem Hauptschulabschluss holte er zunächst den Realschulabschluss an einer Berufsschule nach und absolvierte eine Ausbildung zum Anlagentechniker. Anschließend machte er das Fachabitur und studierte in Marburg Physik, bevor er für das Masterstudium nach Köln kam. »Dass ich dieses große Interesse für Naturwissenschaften habe, wurde mir irgendwie erst spät, mit 18 oder 19, klar. Auch durch meinen Background hatte ich nicht richtig auf dem Schirm, dass man das ja auch beruflich machen kann. Ich habe mich immer Stück für Stück weiterentwickelt und meistens das machen dürfen, worauf ich Bock habe.« Es folgte die Promotion und kürzlich die Habilitation.

Nun ist er Privatdozent und Lehrbeauftragter am Institut und forscht an allen Ecken und Enden des Weltalls: an den ältesten Objekten des Universums und den stellaren Kinderstuben, als die sich der Sternhaufen IRS 13 entpuppte, in dem das versteckte mittelschwere Schwarze Loch nun zum Vorschein kam.

Die Bilder zum Artikel entstanden im CAVE (Cave Automatic Virtual Environment) der Universität. Der CAVE ist ein an einer Seite offener Würfel mit einer Grundfläche von 3x3m, der als 3D-Projektionsfläche genutzt werden kann. Damit haben Wissenschaftler*innen die Möglichkeit, Forschung in einer dreidimensionalen Virtual Reality-Umgebung zu visualisieren. Um das Bild des Schwarzen Lochs in 3D darzustellen leistete Daniel Wickeroth vom CAVE (links) Florian Peißker (rechts) tatkräftige Unterstützung.

Neben den technologischen Entwicklungen spielt vor allem die Datenverarbeitung eine entscheidende Rolle für die Forscher*innen. Daten sind nicht mehr exklusiv und werden gehütet wie ein Schatz, sondern stehen der Community rund um den Globus online zur Verfügung. Rechenkapazitäten erlauben es, komplexe Daten auszuwerten und bestimmte Aspekte gezielt unter die Lupe zu nehmen. Alte Daten werden dadurch nicht obsolet. Im Gegenteil, in Kombination mit neueren Auswertungen und der entsprechenden Komplexität der Daten fallen Peißker und seinen Kolleg*innen häufig Aspekte auf, die ursprünglich gar nicht beachtet wurden: »Ich gehe mit anderen Augen an diese Daten ran und kann sie noch mal ganz neu untersuchen. Dadurch eröffnet sich eine so große Vielfalt an unterschiedlichen Blickwinkeln.«

Er vergleicht dies mit Legosteinen, aus denen man zum Beispiel ein Auto baut. Natürlich kann man auch mit wenigen Klötzchen etwas bauen, was in etwa so aussieht wie ein Auto. Aber je mehr Teile zur Verfügung stehen, desto detailreicher und komplexer wird das Gebilde. Allerdings wird bei einem Modell mit besonders vielen Legosteinen auch der Bauplan komplizierter, so dass es länger dauert, die einzelnen Klötze zu ordnen und korrekt zusammenzufügen. Denn es gibt große und kleine Teile; von manchen mehr, von manchen weniger.

So geht es Peißker auch mit den Daten: »Beim Basteln mit den Datenbausteinen komme ich mittlerweile kaum hinterher, aber das finde ich gut. Ich tüftele sehr gern daran herum, wie alles zusammenpasst. In so einer Zeit zu arbeiten, macht unglaublich Spaß. Ich gehe jeden Abend ins Bett und denke: ›Mega, morgen geht’s wieder weiter.‹ « Daher ist er sich sicher: Trotz des stattlichen Alters des Universums wird es in nächster Zeit noch die ein oder andere Überraschung bereithalten.