Am 23. Oktober 2019 ging die Meldung um die Welt: Google hat den Durchbruch geschafft, der Quantencomputer ist Realität. Sycamore heißt der neuartige Prozessor. Was ist dran an der Geschichte vom neuen Superrechner? Der Physiker Professor Dr. Simon Trebst erklärt, was es mit der Quantentechnologie auf sich hat – und was Kölner Forscher zu ihrer Entwicklung beitragen.
Drei Minuten und 20 Sekunden gegen 10.000 Jahre. Das sind die Dimensionen, mit denen Google demonstrieren wollte, dass man in eine neue Welt vorgedrungen sei. Ende Oktober verkündete der Tech-Riese, dass ein Team um den Physiker John Martinis einen Computer entwickelt hat, der alles bisher Dagewesene alt aussehen lässt: In eben diesen 3 Minuten und 20 Sekunden habe Googles Computer ein Problem gelöst, das den besten bisherigen Superrechner 10.000 Jahre beschäftigt hätte. Das ist möglich, weil es sich dabei um einen Quantencomputer handelt, der nach gänzlich anderen Prinzipien funktioniert, als die Rechner, mit denen wir bisher arbeiten.
Während der herkömmliche Computer mit seinen Bits Befehle nacheinander abarbeitet, ist der Quantencomputer ein Wunder in Sachen Multitasking. Mit den so genannten Quantenbits – oder Qubits – können schier unendlich viele Befehle parallel berechnet werden. Nicht nur die Wissenschaft setzt daher große Hoffnungen in die neue Technologie. Quantencomputer könnten auf vielen Anwendungsfeldern zum Einsatz kommen, etwa bei der komplexen Regelung von autonomem Verkehr, der Erforschung von Materialeigenschaften oder der Entwicklung neuer Medikamente. Stehen wir also unmittelbar vor dem Beginn eines neuen Zeitalters, in dem die Welt der Quanten uns ungeahnte Möglichkeiten eröffnet?
Quantenbits
In herkömmlichen Computern arbeiten Bits die Befehle nacheinander ab. Bits kennen nur zwei sich ausschließende Werte: 1 oder 0, bzw. die Zustände »an« oder »aus«. Quantenbits aber können mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen, da für sie gänzlich andere Gesetze der Quantenphysik gelten. Es widerstrebt der gewöhnlichen Intuition, aber ein Quantenbit kann gleichzeitig die Werte 1 und 0 annehmen. Man spricht hier von einer »Überlagerung«. Darüber hinaus können sich die Qubits »verschränken «, so dass der Wert eines Qubits auch den seines Nachbarn beeinflusst. In einem System aus mehreren Qubits überlappt sich so eine Vielzahl an Zuständen. Diese Eigenschaften ermöglichen immense Rechenleistungen, da Befehle nicht wie bei klassischen Bits nacheinander, sondern parallel und damit deutlich schneller bearbeitet werden.
Die schönsten Zufallszahlen, die die Welt je gesehen hat
»Was Google mit Sycamore geschafft hat, ist die so genannte ›Quantum Supremacy‹ aufzuzeigen, also die Überlegenheit des Quantenrechners. Man kann schon von einem Meilenstein sprechen«, sagt Professor Dr. Simon Trebst vom Institut für Theoretische Physik über die Neuentwicklung von Google. Die wissenschaftliche Leistung ist für den Experten für Quantenphysik beeindruckend, doch er hat auch Vorbehalte: »Das Problem war sehr theoretisch und genau darauf zugeschnitten, diesen Schnittpunkt zu zeigen, an dem konventionelle Rechner nicht mehr mithalten können.«
Auf den praktischen Quanten- PC für’s Büro müssen wir also leider noch warten. Was genau ist nun das Neue? Das Problem des Google-Teams war sozusagen, überhaupt ein geeignetes Problem zu finden, um die Qubits rechnen zu lassen. Es ging um das Generieren von Zufallszahlen. Das können herkömmliche Rechner zwar auch, aber die Zahlen sollten einer ganz bestimmten, von der Quantenphysik vorgegebenen Verteilung folgen, die wiederum vom Rechner geprüft wird. »Es sollten im Prinzip die schönsten und besten Zufallszahlen erschaffen werden, die man je gesehen hat«, meint Trebst. »Das Problem hat zwar keinen praktischen Nutzen, aber für die Demonstration der Quantenüberlegenheit war es ein gut gewähltes Beispiel. Das ist gelungen und darüber gibt es auch großen Konsens.« Problem gefunden, Problem gelöst.
Von der Umwelt abgeschottet
Eine zweite Herausforderung war die Hardware-Ebene. Denn Qubits sind zart besaitet und möchten sanft angefasst werden. »So ein Qubit ist extrem fragil und fehleranfällig. Wir nennen das Dekohärenz. Wackelt der Apparat nur ein bisschen, ist es zu warm oder zu kalt – jede noch so kleine Störung der Umgebung und zack, das Ding ist nicht mehr da, wo es sein soll«, sagt Trebst. »Die Quantenbits — In herkömmlichen Computern arbeiten Bits die Befehle nacheinander ab. Bits kennen nur zwei sich ausschließende Werte: 1 oder 0, bzw. die Zustände »an« oder »aus«. Quantenbits aber können mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen, da für sie gänzlich andere Gesetze der Quantenphysik gelten. Es widerstrebt der gewöhnlichen Intuition, aber ein Quantenbit kann gleichzeitig die Werte 1 und 0 annehmen. Man spricht hier von einer »Überlagerung«. Darüber hinaus können sich die Qubits »verschränken «, so dass der Wert eines Qubits auch den seines Nachbarn beeinflusst.
In einem System aus mehreren Qubits überlappt sich so eine Vielzahl an Zuständen. Diese Eigenschaften ermöglichen immense Rechenleistungen, da Befehle nicht wie bei klassischen Bits nacheinander, sondern parallel und damit deutlich schneller bearbeitet werden. Gruppe von Google hat es aber geschafft, Qubits mit einer sehr hohen Genauigkeit, einer so genannten ›Fidelity‹ herzustellen.« Neben der Herausforderung, Qubits mit einer geringen Fehleranfälligkeit zu erschaffen, ist es außerdem noch eine Kunst, sie zu kombinieren. Erst so kann die enorme Rechenleistung entstehen.
Den amerikanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es nun gelungen, gleich 53 der Quantenbits auf einem Chip anzuordnen. Der Chip selbst ist dabei nicht viel größer als diejenigen, die man aus gewöhnlichen Rechnern kennt. Allerdings steckt er in einer raumfüllenden Apparatur: Im Herzen eines von der Decke hängenden Kryostaten, einem Kühlgerät, das konstant sehr niedrige Temperaturen hält, ist der Chip eingeschlossen, um die Qubits von der Umwelt abzuschotten.
»Das ist ohne Frage eine ingenieurtechnische Höchstleistung «, sagt Trebst. Allerdings gibt es auch Zweifel, ob Google herkömmliche Rechner tatsächlich so weit in den Schatten stellt und ob der gewählte Ansatz nun den Durchbruch der Quantencomputer einläutet.
Wettlauf um die besten Qubits
Bei der Entwicklung der Technologie gibt es unterschiedliche Ansätze. Google konzentrierte sich in der aktuellen Studie auf so genannte Transmon-Qubits und reduzierte deren Fehleranfälligkeit. Ein anderer Ansatz, den auch Trebst im Transregio 183 »Verschränkte Materiezustände « erforscht, sind die topologischen Qubits. »Dabei nutzen wir bestimmte Materialeigenschaften, damit das Qubit von sich aus geschützt ist«, erklärt Trebst. »Das Wort ›topologisch‹ bedeutet, dass da etwas am Werke ist, das die ganze Umwelt, die in einem anderen Zustand ist, plötzlich ausblendet. Das heißt, mein Qubit sieht gar nicht mehr, was um es herum passiert, und ist deshalb viel stabiler.« Qubits befinden sich im Quantenzustand, in dem die Regeln der klassischen Physik nicht mehr gelten.
Solche Qubits herzustellen ist zwar zunächst schwieriger als bei den Transmon-Qubits. Ist es aber einmal gelungen, wird eine Skalierung zu einer größeren Leistungsfähigkeit deutlich einfacher, so dass man schneller mit mehr und mehr Qubits arbeiten kann. Für komplexere Problemstellungen, die eine größere Rechenleistung mit mehr Qubits benötigen, könnte dieser Ansatz daher erfolgsversprechender sein als der von Google. »Das kann man sich vorstellen wie bei einem Auto«, sagt Trebst. »Manche sagen, man müsse erst einmal einen Airbag entwickeln und einbauen, damit auch alles sicher ist. Google meinte aber, das müsse nicht sein. Sie wollen erst einmal nur ein fahrbares Auto ohne weitere Sicherheitsvorkehrungen bauen und einfach losfahren. Und das hat geklappt.«
Ersetzt die Quantentechnologie klassische Computer?
Natürlich schläft auch die Konkurrenz im Silicon Valley nicht. So dauerte es nicht lang, bis IBM die Nachricht von Googles Quantenüberlegenheit anzweifelte. Unter etwas anderen Bedingungen könnte man die Versuchsrechnung von einem konventionellen Supercomputer anstatt in 10.000 Jahren auch in 2,5 Tagen durchführen lassen, relativierte IBM. Simon Trebst lässt das nicht gelten. »Diese Diskussion führt am Punkt vorbei. Der Meilenstein der Quantenüberlegenheit wurde sicher genommen. Das ist für uns in der Wissenschaft wichtig, denn wir haben den ›Proof of Principle‹ – den Beweis, dass das Prinzip grundsätzlich durchführbar ist«, sagt der Physiker.
Das ist bedeutsam für das ganze Feld, da vorher niemand so genau sagen konnte, wo der Punkt denn nun liegt, der klassische Computer von Quantenrechnern trennt: ob 100, 1.000 oder vielleicht 10.000 Qubits nötig sind. Diese Frage sieht Trebst nun als beantwortet an: »Offenbar haben 53 Qubits schon gereicht, um in eine Welt schauen zu können, die uns bisher so nicht offen stand. Aber wir wollen in Zukunft natürlich mehr machen, als nur Zufallszahlen nach diesem Algorithmus generieren.«
Womöglich kommen erst einmal hybride Rechner zum Einsatz, die sowohl auf die Rechenleistung der klassischen Bits als auch auf Quantenmechanik setzen. »Die Diskussion, wie viele Tage oder Jahre ein normaler Rechner gebraucht hätte zeigt zudem, dass die Grenze nicht klar zu beziffern ist«, gibt Trebst zu bedenken. Schließlich entwickelt sich auch die klassische Rechnertechnologie weiter. Es ist daher gut möglich, dass die Forschung an Quantencomputern auch die bisherigen Computer weiter voran bringt und leistungsstärker macht.
Dass wir in naher Zukunft alle kleine Quantenrechner im Büro haben, glaubt Trebst nicht: »In den Startlöchern steht diese Technologie für die Allgemeinheit nicht. Der Weg zu einem universellen Quantenrechner, der komplexe praktische Probleme löst, ist noch weit.« Doch immer mehr Wissenschaftler, Institute und Firmen begeistern sich für die Quantenrechner und steigen in die Forschung ein. Die Meldung von Googles Quantencomputer zeigt, dass auch die Öffentlichkeit an dem Thema interessiert ist.
Das iPhone von morgen
Obwohl die Forschung noch in den Grundlagen steckt, ist Trebst überzeugt, dass die Entwicklung der Technologie auch die Anwendungsgebiete weiter definieren wird: »Als vor zehn Jahren das iPhone eingeführt wurde, fanden das zwar alle richtig cool und viel besser, als die Telefone und Handys, die wir bis dahin hatten. Trotzdem konnte keiner so recht sagen, was es denn so alles kann – einschließlich derjenigen, die es hergestellt haben. Und jetzt arbeiten wir selbstverständlich mit allen möglichen Apps. Wenn die Technologie sich entwickelt, wird die Kreativität einsetzen.«
Auch wenn niemand genau abschätzen kann, wie lange es dauern wird, haben Quantencomputer das Potenzial, unseren Alltag zu revolutionieren. 10.000 Jahre wird es vermutlich nicht dauern.