Vorurteile und Stereotypen sind trügerisch, im schlimmsten Fall gefährlich und diskriminierend. Am eigenen Leibe kann ich mich als privilegierter weißer cis-Mann aus Deutschland wirklich nicht über benachteiligende Stereotypisierung beschweren und bringe überhaupt nur einen sehr begrenzten Erfahrungsschatz zum Thema Vorurteile mit. Eine der wenigen Erfahrungen: Während ich hierzulande als notorisch unpünktlich galt, wurde ich bei einem längeren Auslandsaufenthalt für meine Pünktlichkeit geschätzt. Ich bin sicher, dass meine Nationalität damit mehr zu tun hatte als die tatsächliche fahrplanmäßige Einhaltung von Terminen. Das Ganze ging so weit, dass ich irgendwann selbst davon überzeugt war, recht pünktlich zu sein. Dass dem nicht so war und Stereotype eben nicht viel mit der Realität zu tun haben, wurde schnell deutlich, als ich wieder in der Heimat ankam und der Ruf der deutschen Tugend mir nicht mehr vorauseilte. Auf anderer Ebene können stereotype Zuschreibungen größere und bedeutendere Konsequenzen haben, wie Forschung zu Bestechungsversuchen zeigt, an der auch die Uni Köln beteiligt war.
Für die Studie nahmen rund 6500 Menschen aus 18 Ländern online an einem Bestechungsspiel teil. Sie schlüpften mit ihrer jeweiligen Nationalität in die Rollen von Bürger*innen und Beamt*innen. Die Bürger*innen mussten entscheiden, ob sie eine Lizenz teuer auf offiziellem Wege kauften oder die zuständigen Beamt*innen bestachen, um die Lizenz günstiger zu erhalten und am Ende des Experiments mehr Geld ausgezahlt zu bekommen. Die Beamt*innen konnten das Bestechungsgeld entweder annehmen oder ablehnen. Das Ergebnis: Ob Menschen andere bestechen oder es zumindest versuchen, hängt davon ab, aus welchem Land das Gegenüber kommt. Offenbar führt die Erwartung, dass Bestechungsgelder angenommen werden, zu mehr Bestechungsversuchen.
Die Studie zeigt auch, dass die tatsächliche Bestechlichkeit von Beamt*innen einer bestimmten Nationalität nicht den Erwartungen der Bestechenden entspricht. So waren etwa russische Beamte weniger bestechlich als erwartet, während Amerikaner*innen Bestechungsgelder öfter annahmen, als man es ihnen zugetraut hätte. In meinem persönlichen Beispiel könnte dies bedeuten: Wäre ich anderer Nationalität, wäre ich möglicherweise anstatt mit der falschen Überzeugung plötzlich die Pünktlichkeit vom Dienst zu sein, mit Koffern voller Bargeld aus dem Auslandsaufenthalt zurückgekehrt. Ein Leben in Saus und Braus, Unpünktlichkeit könnte ich mir einfach leisten. Stattdessen muss ich weiter geregelt ins Büro kommen und arbeite daran, Termine und Uhrzeit im Blick zu behalten.
Die Schlussfolgerung der Forschenden war natürlich keinesfalls, dass man ruhig auch mal bei Menschen einen Bestechungsversuch wagen sollte, die man eigentlich für unbestechlich hält. Vielmehr ließe sich Korruption auch reduzieren, indem wir Vorurteile abbauen. Ich bin sicher, das ist in allen Lebensbereichen eine gute Idee.