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»Als ich angefangen habe, gab es noch ISDN«

Interview mit KölnAlumna Claudia Nemat.

KölnAlumna Claudia Nemat ist Vorständin der Deutschen Telekom und Mitglied im Kölner Hochschulrat. Mit dem neu gegründeten 5G Co:Creation Lab setzt sie sich besonders für die Förderung von Hochschul-Start-ups ein. Dabei ist sie überzeugt, dass Innovationen nur möglich sind, wenn man auch mal loslassen kann.

Interview: Frieda Berg

Frau Nemat, mit Bundeskanzlerin Merkel teilen Sie sich nicht nur ein Physikstudium, Sie zählen auch beide zu den wenigen Frauen auf Ihrer Karrierestufe. Hat man es mit einem Physikhintergrund leichter, für Verantwortungspositionen zu überzeugen?

Ich glaube, ein Physikstudium macht angstfrei und gibt einen guten Blick darauf, wie man komplexe Probleme löst. Mein Vater war auch Physiker und hat zu mir gesagt: »Wenn du eine Trillion Mal vor die Wand läufst, dann kommst du eventuell ein Mal durch – vorausgesetzt, du bist ein quantenphysikalisches Elementarteilchen.« Ich habe direkt gedacht: Mit so spannenden Gedankenexperimenten möchte ich mich auch beschäftigen.

Ich würde sagen, sich nicht sofort von Problemen einschüchtern zu lassen, sondern nach den logischen Schlussfolgerungen zu suchen und diese zu überprüfen, ist eine Denkweise, die mir im Management außerordentlich nützlich ist – und ich vermute, sie hilft auch Frau Merkel in der Politik. Mein Rat an junge Leute ist: Lernt zu denken. Und danach zu handeln.

 

Sie haben bis 1994 Physik und Mathematik an der Universität zu Köln studiert. Noch im selben Jahr sind Sie dann zur Unternehmensberatung McKinsey gekommen. War das Ihr Plan?

Nein, das war Zufall. McKinsey hatte an der Uni Köln einen Schnupperworkshop veranstaltet, von dem ich über einen Aushang am Institut erfahren habe. Ich fand total spannend, wie interdisziplinär der Workshop war: Naturwissenschaftler, Betriebs- und Volkswirte, Philosophen und Juristen saßen zusammen, um ein praktisches Problem aus dem unternehmerischen Alltag zu beleuchten. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht – und mir haben die Menschen gefallen. Nach dem Workshop haben die Kollegen von McKinsey hartnäckig versucht, mich an Bord zu holen (lacht). Eigentlich wollte ich »nur mal hineinschnuppern «. Doch schon mein damaliger Professor, Herr Zittartz, bei dem ich eigentlich promovieren wollte, sagte zu mir: »Ich habe die Befürchtung, sobald Sie einmal Blut geleckt haben, werden Sie dort bleiben.«

 

Was gab den Ausschlag?

Mir wurde bei McKinsey klar, dass ich mich auf Dauer lieber mit praktischen Problemen auseinandersetze. Dass – bei aller Liebe fürs komplexe Problemlösen in der Theoretischen Physik – ich auch gerne verstehen möchte: Wie führt man Institutionen, wie funktioniert Macht? Insofern passte der Job bei McKinsey vermutlich besser zu mir als eine Universitätskarriere. Und Professor Zittartz hatte Recht behalten.

 

Seit 2011 sind Sie Vorständin der Deutschen Telekom, seit 2017 zuständig für das Ressort Technologie & Innovation. Womit befassen Sie sich im Alltag?

Neunzig Prozent aller relevanten Innovationen in der Telekommunikationsbranche haben mit dem Netz zu tun. Im Herbst 2020 werden wir zum Beispiel Cloud Gaming auf den Markt bringen, im Grunde so etwas wie Netflix für Spiele, man ruft sie virtuell ab. Cloud Gaming ist aus Sicht der Deutschen Telekom genau dann ein gutes Erlebnis für einen Gamer, wenn das WLAN stabil ist, wenn er oder sie bei einem schnellen Autorennen nicht durch Jitter oder schlechte Latenz unterbrochen wird.

Eine der größten Innovationen, die ich als das Dekaden-Projekt der Deutschen Telekom umgesetzt habe, war jedoch die Digitalisierung der Netze. Wir haben mit unserer sogenannten »All-IP-Transformation« alte, energieineffiziente Hardware und Software aus dem Netz geschafft und durch moderne ersetzt. Dadurch sind wir als Unternehmen sehr viel energieeffizienter geworden.

 

Welches Klima braucht es, damit solche Innovationen entstehen können?

Im Grunde braucht man ein »Nicht-Silo- Denken«. Um so etwas wie Cloud Gaming umzusetzen, müssen Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen zusammenkommen. Solche, die sich mit Spielen auskennen; solche, die Plattformen aufbauen können; solche, die wissen, wie die Verbindungsqualität zu Hause zu optimieren ist und was das gegebenenfalls mit dem Router zu tun hat; und solche, die mit Abrechnungssystemen umgehen können. Typischerweise sitzen diese Menschen in ganz verschiedenen Funktionen und Bereichen. In solchen Innovationsprojekten werden sie aber an einen Tisch gebracht. Und dann sprechen wir natürlich mit den Anwendern, unseren Kundinnen und Kunden.

Gerade im Technologiebereich gehört Neues einfach zum Alltag. Nur als Beispiel: Als ich vor 26 Jahren angefangen habe zu arbeiten, da hatten wir noch ISDN…

 

Braucht man auch Mut im Arbeitsleben?

Sie brauchen den Mut, quer zu denken, etwas auszuprobieren, aber etwas auch wieder sein zu lassen. Als Naturwissenschaftlerin weiß ich: Nicht jeder Versuch klappt sofort. Man muss dann eben einen anderen Weg gehen. Loslassen zu können ist aus meiner Sicht eine Tugend. Man braucht übrigens auch Mut, etwas zu einem Zeitpunkt anzufangen, an dem noch kein anderer daran glaubt.

Ein Beispiel ist die eingangs erwähnte Digitalisierung der Netze. Als ich damit angefangen habe, hat fast niemand geglaubt, dass es funktionieren würde, in einem Bundesland oder einem Gebiet alle Anschlüsse upzugraden. Wir haben angefangen, diese Komplettmigrationen zunächst in kleineren Ländern wie der Slowakei oder Kroatien zu demonstrieren. Die Devise lautet: Klein anfangen, und wenn es funktioniert, skalieren.

 

Im Ballungsraum Köln haben Sie jüngst gemeinsam mit Digitalmister Pinkwart ein 5G Lab für Hochschulausgründungen eröffnet. Was war Ihre Motivation dazu?

Mit unseren Co:Creation Labs unterstützt die Deutsche Telekom Start-ups und mittelständische Unternehmen. Bei dem Lab, das wir für die Kölner Hochschulen eröffnet haben, geht es konkret darum, dass wir Studierenden und hochschulnahen Gründerinnen und Gründern aus ganz NRW die Möglichkeit geben, 5G-Anwendungen zu simulieren und mit der Technik zum Beispiel bei der Entwicklung von 5G-fähigen Apps herumzuprobieren. Die Telekom stellt neben der Infrastruktur auch den direkten Zugang zu unseren Fachleuten zur Verfügung. So kommen Leute, die coole Ideen haben, und die, die etwas von Technologie verstehen, zusammen.

Wir wollen in NRW, in Deutschland und Europa mit dazu beitragen, dass die Startup- Kultur grundsätzlich stärker wird. Umgekehrt denken wir aber auch, dass wir von Kooperationen mit Forschungsinstituten und Universitäten profitieren können, wenn wir uns gegenseitig inspirieren und in den Austausch kommen.

 

Wenn man sich die technologische Entwicklung ansieht, lautet das Mantra »Höher, Schneller, Weiter«. Gleichzeitig gibt es auch den Trend zu mehr Entschleunigung und Verzicht. Wo ordnen Sie sich persönlich auf diesem Spektrum ein?

Wir sind ja in einer Zeit, in der der geopolitische Konflikt zwischen China und Amerika zunimmt und in der ein Virus uns unsere Verletzbarkeit aufgezeigt hat. Die Art, wie wir leben – Massentourismus, Massenfleischkonsum, Fast Fashion – passt nicht zu der Vorstellung, unseren Kindern und Enkeln eine gute Welt zu hinterlassen. Zwar ist Digitalisierung sicher nicht das Allerheilmittel, aber sie kann uns befähigen, deutlich weniger Ressourcen zu belasten. Schon jetzt sehen wir übrigens, dass für jede Tonne CO2, die wir bei der Telekom produzieren, bei unseren Kunden mehr als zwei Tonnen CO2 eingespart werden können.

Ich bin persönlich davon überzeugt, dass technologischer Fortschritt dem Menschen dienen muss. Und wenn wir digitale Technologien »richtig machen«, befähigen sie uns Menschen dazu, uns wieder auf das zu fokussieren, was am Ende des Tages sinnvoll ist. Nämlich dass wir uns empathisch miteinander beschäftigen, einander zuhören, einander Zeit schenken. Vergessen Sie Technik, darum geht es nicht. Im Kern geht es darum, sich zu verständigen, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Jede Technologie hat zwei Seiten. Technologie kann uns unterstützen, eine herausragende Gesellschaft zu sein, oder wir setzen sie in einer absolut dystopischen Art ein. Meine Aufgabe als Managerin und Bürgerin sehe ich darin, mich für die »gute Seite « stark zu machen!