Alles ist erleuchtet
Das James-Webb-Weltraumteleskop kann tiefer ins Weltall blicken, als alle Instrumente vor ihm. Durch die gelieferten Daten erhoffen sich Forschende weltweit neue Erkenntnisse zu den Ursprüngen des Universums. Die ersten Bilder, die das Teleskop liefert, regen jedoch über die Fachwelt hinaus zum Träumen an.
Von Jan Voelkel
Der Blick nach oben in die schier endlose Tiefe des Weltalls hat etwas Mythisches und Mystisches. Führt man sich vor Augen, was da am Firmament funkelt, kommt man kaum umhin, die ganz großen Fragen zu stellen. Wie ist all das entstanden? Woher kommen wir? Ist vielleicht noch jemand da draußen?
Einerseits kann man sich ganz klein fühlen angesichts der Dimensionen des Universums – ein kleines Staubkörnchen auf einem winzigen blauen Planeten. Andererseits führt der Sternenhimmel einem auch vor Augen, was für eine Besonderheit unsere Erde und das Leben überhaupt sind. Um uns herum großes Dunkel, alles scheint ruhig. Doch ab und zu ziehen Sternschnuppen vorbei und erinnern daran, dass sich am Himmel etwas tut. Denn eigentlich ist alles in Bewegung und entwickelt sich. Um diese kosmische Dynamik zu erforschen und neue Antworten auf bislang ungeklärte astronomische Fragen zu finden, ist in diesem Jahr eine wissenschaftliche Mission gestartet, wie es sie noch nicht gegeben hat: Das James-Webb-Weltraumteleskop ist ohne Zweifel das mit Abstand größte und anspruchsvollste Instrument, das jemals ins All geschickt wurde.
Neuer Blick auf das junge Weltall
Das Teleskop nahm im Juli dieses Jahres in etwa 1,5 Millionen Kilometer Entfernung zur Erde seine Arbeit auf. Gleich die ersten Aufnahmen lieferten die bislang tiefsten und detailreichsten Einblicke in den Weltraum, die es je gab. Es ist ein Blick in die Vergangenheit vor mehr als 13 Milliarden Jahren, in die Zeit der allerersten Sterne und Galaxien. Beim James-Webb-Teleskop liegt ein Fokus auf der Beobachtung im Bereich der infraroten Strahlung.
James Webb – James Webb wurde 1961 unter Präsident John F. Kennedy Chef der NASA. In seinen acht Jahren an der Spitze der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde trieb Webb viele wissenschaftliche Missionen zur Erkundung des Planetensystems voran, darunter die berühmte Apollo-Mondlandung.
»Dies ermöglicht es zum einen, besonders tief ins All zu schauen und in der Zeit besonders weit zurück zu blicken«, sagt Dr. Markus Röllig vom Institut für Astrophysik. Man kann sagen: Je weiter man ins All hinausschaut, desto länger war das Licht zu uns unterwegs – und desto älter ist es.
Gleichzeitig dehnt sich das Universum seit dem Urknall aus und verändert auch die Wellenlänge des Lichts. Es wird immer roter, je länger es unterwegs ist, bis in den Infrarotbereich hinein. Zum anderen können Infrarot-Detektoren am Teleskop in Gaswolken hinein oder durch sie hindurch schauen. Da Wolken die Sicht nicht blockieren, können die Forscher*innen bestimmte Regionen viel gezielter beobachten und untersuchen.
»Durch das James Webb Space Telescope kann man plötzlich Fragen untersuchen, die vorher unbeantwortbar gewesen sind«, sagt Röllig, der mit seiner Kollegin Dr. Yoko Okada zu den Wissenschaftler*innen zählte, die als Mitglieder eines internationalen Forschungsteams einen der begehrten Beobachtungszeiträume innerhalb der ersten drei Monate des Teleskopbetriebs zugewiesen bekamen. »Durch das Teleskop wird es fundamentale Fortschritte geben«, ist sich Röllig sicher.
Sonnenschirme so groß wie ein Tennisplatz
Dem Launch vorausgegangen waren nicht wenige Komplikationen und Verzögerungen. Rund 10 Milliarden Dollar hat das Teleskop am Ende gekostet, eingeplant waren ursprünglich 3,5 Milliarden. Thomas Zurbuchen, Wissenschaftsdirektor der NASA und damit Herr über das Budget, sagte, dass James Webb die Grenze des Möglichen darstellt und es gleich mehrere Wunder benötigte, um das Projekt zu realisieren. Das liegt nicht zuletzt an den beeindruckenden Dimensionen. Denn eigentlich ist es viel zu groß. Das Weltraumteleskop besteht aus einem 6,5-Meter-Segmentspiegel aus 18 hexagonalen Elementen. Damit ist die Fläche rund siebenmal so groß wie bei seinem Vorgänger, dem berühmten Hubble- Weltraumteleskop.
Um den Spiegel und die Instrumente vor Strahlung und Hitze zu schützen, werden sie von fünf gestaffelten Sonnenschilden abgeschirmt, die jeweils so groß sind wie ein Tennisplatz. Das Problem: Es gibt keine Rakete dieser Größe, die alles transportieren könnte. Die ganze Konstruktion musste also faltbar sein und sich erst im Weltraum ausklappen, was die NASA-Ingenieur*innen vor enorme Herausforderungen stellte. Zudem verfügt das Instrument über völlig neue Messinstrumente und Detektoren, die nicht nur in die Anfangszeit des Universums blicken können, sondern auch aufzeichnen, was direkt vor unserer Haustür passiert.
Das macht das James-Webb-Weltraumteleskop für Yokada und Röllig so interessant, denn sie blicken nicht in die Untiefen des Universums, sondern in unsere Nachbarschaft – in astronomischen Verhältnissen. Die beiden untersuchen die Region um den Orionnebel – eine Wolke aus Gas und Staub im Sternbild des Orion, die nur 1350 Lichtjahre von der Erde entfernt ist.
»Die Wolke ist das Überbleibsel einer viel größeren Wolke, aus der sich vor nicht allzu langer Zeit Sterne gebildet haben – vor etwa ein oder zwei Millionen Jahren. Das ist nicht mehr als ein Augenschlag in kosmischen Zeitdimensionen«, so Yokada. »Wir schauen uns also eine Kinderstube der Sterne an.« Solche Regionen sind statistisch recht selten. Zudem gibt es vier sehr massereiche Sterne im Zentrum des Nebels, die ihn wie ein Flutlicht beleuchten. Das macht den Nebel für die Astrophysik zu einem interessanten Beobachtungsobjekt.
Nebelschichtung wie bei einem Baumkuchen
Im Orionnebel bilden sich aus Staub und Gas neue Sterne, die wiederum Wechselwirkungen mit den Stoffen eingehen, die sich um sie herum befinden. Die Wissenschaftler*innen erforschen etwa, wie schnell und in welcher Rate sich Sterne entwickeln, wieviel Material sie benötigen und wie die Sterne das umgebende Material beeinflussen.
Den Blick in den Nebel und den darin liegenden ›Orion Bar‹ – so genannt aufgrund seiner balkenartigen Form – kann man sich so vorstellen, als würde man von oben in eine Badewanne schauen, deren Rand von innen beleuchtet wird. »Dadurch wirkt es, als ob wir auf eine lange Säule von beleuchtetem Gas schauen. Diese Anordnung ist für uns sehr glücklich, weil wir mit unseren Modellen sehr gut arbeiten können«, so Röllig. »Man kann sagen, der Orion Bar ist planparallel, eine gerade Schicht und alles leuchtet intensiv.«
Durch den großen Spiegel und die Instrumente des Teleskops können die Wissenschaftler*innen mit einer sehr hohen räumlichen Auflösung darauf schauen. Es offenbart sich eine detaillierte Schichtung des Nebels wie bei einem Baumkuchen, die in nie dagewesener Genauigkeit zeigt, wo Strahlung auftaucht oder aufgebraucht ist und wo bestimmte Moleküle vorkommen. Die beobachteten Kohlenstoff-, Wasserstoff- oder Stickstoffmoleküle stehen wiederum mit bestimmten Prozessen in Verbindung. »Wir können wie mit einem Mikroskop im Detail untersuchen, was genau mit dem Staub passiert und welche physikalischen und chemischen Prozesse vonstattengehen«, so Yokada. Für die Erforschung der Sternentstehung war das bislang so noch nicht möglich.
Die neuen Beobachtungsweiten erzeugen in der wissenschaftlichen Community allgemein große Energie und Dynamik. Wissenschaftler*innen fiebern neuen Daten entgegen, um den nächsten großen Treffer zu landen. In einer der frühesten Publikationen wies ein Forschungsteam bei einem Exoplaneten, der 700 Lichtjahre entfernt ist, Kohlendioxid in der Atmosphäre nach. In diesem Fall bedeutet das nicht, dass außerirdisches Leben gefunden wurde, weil der Planet dafür nicht in Frage kommt. »Aber es ist in jedem Fall spektakulär«, so Röllig. »Wir werden auf neue Weise Planeten bei der Entstehung zuschauen oder Exoplaneten nach Biomarkern analysieren können. Daten von James Webb könnten neue Erkenntnisse über die Entstehung des Universums, der Galaxien, Planeten oder über dunkle Materie liefern. «
Viele Forschende sind sicher, dass ein Nobelpreis durch Daten des James-Webb sehr wahrscheinlich ist. Die ganz großen Fragen unserer Existenz werden vermutlich unbeantwortet bleiben. Aber das Teleskop kann sicher ein wenig Licht in das große Dunkel um uns herum bringen.