400 Jahre First Folio: № 6
Die First Folio, William Shakespeares legendäre erste Gesamtausgabe, feiert ihren 400. Geburtstag. Weltweit sind lediglich 14 Exemplare in Top-Zustand erhalten, eines davon an der Kölner Universitäts- und Stadtbibliothek. Daher ist die Uni mitten drin in den internationalen Feierlichkeiten zum Jubiläum. Die frisch digitalisierte Ausgabe, immerhin unter den sechs besten Exemplaren weltweit, wird künftig auf einer Open Access Plattform zugänglich sein.
Von Maria Schrempp
To be, or not to be, that is the question. Dieses Zitat verbindet wohl jeder sofort mit William Shakespeare. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass wir etwa die Hälfte seiner Werke heute gar nicht kennen würden ohne ein Buch: die First Folio. Dieser ersten Gesamtausgabe verdanken wir Stücke wie Macbeth, Julius Caesar oder den Sommernachtstraum, die ansonsten nicht überliefert worden wären.
Zu Shakespeares Zeiten schrieben Theatergruppen ihre Stücke selten nieder, um der Konkurrenz kein Material zu liefern. Zwei guten Freunden und Schauspielerkollegen des Schriftstellers, John Heminges und Henry Condell, war aber offensichtlich bewusst, dass Shakespeares Werke nicht verloren gehen dürfen. 1632, sieben Jahre nach seinem Tod, druckten sie 36 Dramen in einem großen Folio-Format auf hochwertigem Papier – eine erhebliche Investition und absolut unüblich für die damalige Zeit. Der Titel: »Mr. William Shakespeares Comedies, Histories, & Tragedies«.
Folio-Format – Der Begriff Folio bezeichnet ein historisches Buchformat. Um das Folio-Format des Shakespeare-Bandes zu erhalten, faltet ein Buchdrucker einen Bogen Papier einmal in der Mitte und erhält so zwei große Blätter und damit vier Buchseiten. Jedes weitere Falten des Papierbogens ergibt ein entsprechend kleineres Buchformat. Bei zweimaligem Falten entsteht das Quart-Format, bei dreimaligem Falten das Oktav-Format und so weiter.
Weltweit gibt es heute noch 234 Exemplare der First Folio, nur 14 davon Ausgaben der Spitzenklasse I oder »Class A«, also nicht reparierte Bücher im besten Erhaltungszustand. Eines davon befindet sich im Besitz der Uni Köln. Während viele First Folios mit Abdrücken von schwitzigen Fingern, Weingläsern oder sogar matschigen Katzenpfoten verschmiert sind, ist das Kölner Exemplar in einem ausgezeichneten Zustand und musste noch nie restauriert werden. Weltweit gibt es nur fünf Ausgaben, die genauso gut erhalten sind.
Die Universität kaufte die First Folio 1960 zusammen mit vier weiteren Shakespeare-Bänden für 425.000 D-Mark auf dem Antiquariatsmarkt. Heute ist die First Folio eines der wertvollsten Bücher der Welt.
Ein Buch als Statussymbol
2023 wird die First Folio 400 Jahre alt. Die Geburtstagsparty ist international: Überall auf der Welt feiern Institutionen ihre Ausgaben, so auch die Kölner Uni. Das Wallraf- Richartz-Museum, die Universitäts- und Stadtbibliothek und die Theaterwissenschaftliche Sammlung zeigen die First Folio in der Ausstellung »Das ganze Drama – Shakespeares First Folio (1623)« im Wallraf-Richartz-Museum. Unter dem Schlagwort »Shakespeare 400« startet außerdem ein Rahmenprogramm mit Lesungen, Theater, Musik und einem Shakespeare-Dinner.
Die Bibliothek hat »No 6« zum Jubiläum digitalisiert, um den Band künftig allen Menschen auf einer internationalen Open Access Plattform zugänglich zu machen. Die Plattform startet im April 2023 mit einer klaren Zielsetzung: So viele digitalisierte First Folios wie möglich sollen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Das erlaubt künftig einen direkten literaturwissenschaftlichen Vergleich verschiedener Exemplare in der Splitscreen-Ansicht.
Die Faszination für die First Folio geht weit über den Inhalt mit seinen legendären Lust- und Trauerspielen hinaus. Auch die Bücher selbst üben eine Faszination aus. Es gibt eigene Forschungszweige über die Geschichte der einzelnen Kopien, und wer welches Exemplar wann vererbt oder gekauft hat.
Die Vorbesitzer des Kölner Bands sind ab etwa 1880 bekannt – besser als bei jeder anderen Ausgabe. Im 19. Jahrhundert war es das erste Shakespeare-Buch, das jemals in die USA gelangte. Vor dieser Erstausgabe kannten die Amerikaner also weder Hamlet noch Romeo und Julia.
In Europa war die First Folio schon im 18. Jahrhundert zu einem Statussymbol für wohlhabende und kulturbegeisterte Menschen geworden. Wer etwas auf sich hielt, las Shakespeare. Der Wert des Buchs war schon zu dieser Zeit so stark gestiegen, dass einzelne Seiten für hohe Summen auf dem Buchmarkt gehandelt wurden, um beschädigte Ausgaben zu ergänzen.
Eine Reise zu allen First Folios
So richtig greifen lässt sich die Faszination für die First Folio, wenn man Gregory Doran schwärmen hört. Der frühere Intendant der Royal Shakespeare Company reist um die ganze Welt mit einem Ziel: alle First Folio Ausgaben mit eigenen Augen sehen. Auf seiner Reise ist er auch nach Köln gekommen und war sichtlich aufgeregt, bevor er das Buch aller Bücher in der Bibliothek aufschlug. Auch wenn er schon weit über hundert First Folios gesehen habe, sei die Vorfreude jedes Mal wieder genauso stark wie beim ersten Mal, so Doran. Geradezu liebevoll öffnet er den Buchdeckel und gerät sofort ins Staunen über den perfekten Zustand des Kölner Exemplars.
Gerne erzählt Doran von seinen Reisen und den vielen Menschen, die ihm immer wieder ihre ganz persönlichen Geschichten zur First Folio und Shakespeares Werken erzählen. Schnell wird es auch emotional, wenn über Lieblingszitate und den häufig sehr intimen Bezug dazu gesprochen wird.
Auch wenn der sensationelle Zustand des Kölner Exemplars begeistert, liebt Doran doch gerade auch die Gebrauchsspuren an vielen Ausgaben, da sie zeigen, dass das Buch gelesen und geliebt wurde. Und so freut er sich besonders, dass die Universitäts- und Stadtbibliothek das Buch zu seinem 400. Jubiläum zeigen und vor allem digitalisieren wird. Gerade die Veröffentlichung im Netz ermögliche es künftig allen Menschen, die wunderbare Ausgabe zu erleben und Shakespeare im Original zu spüren.
Das Kölner Programm im Jubiläumsjahr:400 Jahre First Folio - Mr. William Shakespeares Comedies, Histories & Tragedies