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100 Jahre Kölner Soziologie

Noch vor der Gründung der Neuen Uni entstand das Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften.

Noch vor der Gründung der Neuen Universität entstand in Köln ein Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften – das erste seiner Art in Deutschland. Bis heute prägt die »Kölner Schule« Theorie und Praxis der Sozialwissenschaften. 

Seit 2013 hat die sozialwissenschaftliche Forschung und Lehre in Köln einen Namen: das Institut für Soziologie und Sozialpsychologie (ISS). Mit mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zählt es zu den größten und bekanntesten sozialwissenschaftlichen Instituten Deutschlands. Das ISS ist heute thematisch breit und vielfältig aufgestellt. Die Kölner Sozialwissenschaften haben darüber hinaus eine Tradition, die sogar ein wenig älter ist als die Neue Universität selbst. Anlass genug, um zurückzublicken und auch der Kölner Soziologie zu ihrem hundertjährigen Jubiläum zu gratulieren!

Institut für Soziologie und Sozialpsychologie (ISS)
Fünf Einrichtungen schlossen sich vor sechs Jahren zusammen, um das Institut zu gründen: das Forschungsinstitut für Soziologie, das Seminar für Soziologie, das Seminar für Sozialpolitik, das Institut für Sozial- und Wirtschaftspsychologie und der Lehrstuhl für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung

Die Wissenschaft vom Zusammenleben der Menschen steckte nach dem Ersten Weltkrieg noch in den Kinderschuhen. Doch bereits am 1. April 1919 gründete sich in Köln das »Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften« – knapp zwei Monate vor der feierlichen Eröffnung der Neuen Universität zu Köln. Leopold von Wiese wurde als einer der ersten Professoren im deutschsprachigen Raum für Soziologie an die Kölner Universität berufen.

Maßgeblich für die Institutsgründung war das Engagement des Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer. Er bemerkte bereits im Februar 1918: »Ich messe und zwar, wie ich glaube mit Recht, der ganzen Sache große Bedeutung bei nicht nur für Cöln, sondern auch für das ganze soziale Leben in Deutschland. Es ist das erste Institut dieser Art, das überhaupt errichtet wird, und ich lege auch persönlich großen Wert deswegen auf das Zustandekommen, weil der Gedanke bei mir entstanden und zur Reife gekommen ist.«

Umbenennung im Nationalsozialismus

Von Wiese verfolgte in diesen frühen Jahren das Ziel, die Soziologie als Disziplin in Deutschland zu institutionalisieren und zu stärken. Daher gründete er 1921 auch die erste rein soziologische Fachzeitschrift des Landes: die »Kölner Vierteljahreshefte für Sozialwissenschaften«. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verloren einige Institutsmitarbeiter ihre Stellen. Unter den Entlassenen war auch der Sozialdemokrat Hugo Lindemann, Leiter der sozialpolitischen Abteilung. Ende März 1934 wurde das Forschungsinstitut geschlossen und die frei gewordenen Gelder flossen in das neu gegründete »Forschungsinstitut für Deutschen Sozialismus«.

Während des Zweiten Weltkriegs war das Erscheinen der Zeitschrift unterbrochen, doch ab 1948 lief sie weiter unter dem neuen Namen »Kölner Zeitschrift für Soziologie«. Von Wieses Nachfolger René König änderte den Titel schließlich in »Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie«, kurz KZfSS. Bis heute ist die KZfSS das bedeutendste Fachorgan für Soziologie im deutschsprachigen Raum und berichtet umfassend über soziologische Forschung aller Fachrichtungen und aus vielen Ländern der Welt.

Prägend: Die Kölner Schule

Das Institut kehrte nach dem Krieg zu seiner alten Bezeichnung zurück: Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften. In der Nachkriegszeit war es vor allem René König, der die sogenannte »Kölner Schule« der Soziologie prägte. Neben der »Frankfurter Schule« wurde Köln erneut zu einem der wichtigsten Zentren für soziologische Forschung in der Bundesrepublik. Als Verfechter einer Systematisierung der empirischen Sozialforschung grenzten sich die Kölner Soziologen von der Kritischen Theorie Theodor W. Adornos und der Frankfurter Schule ab.

Köln wurde in den 1960er Jahren zunehmend als Zentrum einer politisch konservativ orientierten empirischen Sozialforschung angesehen. Manche Kritiker gingen sogar so weit, die Kölner als »fliegenbeinzählenden « Gegenpart zur Frankfurter Schule zu verunglimpfen. Doch die Kölner Soziologie forcierte die Ausdifferenzierung der Disziplin und trug zur Professionalisierung des Fachs bei. König und seine Kollegen standen für große intellektuelle Offenheit und eine breite fachliche Orientierung – bis hin zu Psychologie und Psychoanalyse. Königs Schüler Erwin Kurt Scheuch stärkte außerdem die quantitative Sozialforschung.

Diese Tradition wirkt bis heute nach: Empirie, Werturteilsfreiheit und ein emanzipatorisches Menschenbild – das zeichnete die Kölner Schule aus. René König brachte es 1965 so auf den Punkt: »Die Soziologie wird es niemals aufgeben können, die Emanzipation des Menschen und die Sicherung der Menschenwürde als ihren zentralen Gegenstand zu betrachten. Damit wird sie immer und überall, wo diese Werte bedroht sind, zu einem Werkzeug der Kritik und der Opposition. «

Repräsentative Daten – gute Empirie

Heute charakterisieren die Soziologie in Köln nicht mehr die großen, umfassenden Zeitdiagnosen, meint der Kölner Soziologieprofessor Michael Wagner: »Es gibt einige prominente Soziologen, die schreiben durchaus sehr lesenswerte Bücher und sagen uns: so ist die Gesellschaft. Aber das machen wir nicht. Wir widmen uns umgrenzten Fragestellungen, formulieren Theorien und Hypothesen und konfrontieren diese mit einer guten Empirie, also hochwertigen Daten und adäquaten Methoden.«

Das Spektrum von Forschung und Lehre bleibt vielfältig: von Themen wie Lebenslauf, Altern und Gesundheit, Partnerschaft und Familie, Bildung und Arbeitsmarkt, Migration und Integration, Werte und Kultur, Säkularisierung und Religion, Vertrauen und Kooperation, sowie Kriminalität bis hin zu Konsum und Finanzen. Dabei sind die Prinzipien der Kölner Schule zum Standard geworden: theoriegeleitet empirische Sozialforschung betreiben, gute Fragestellungen wählen, praxisorientiert forschen.