Chancen und Krisen
Wohlstand und Glück
Wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu sein
Die materiellen Lebensbedingungen der Menschen in den westlichen Industrienationen haben sich in den letzten 50 Jahren dramatisch verbessert. Und sie verbessern sich auch weiterhin. Aber warum sind die Menschen trotz all dieser Fortschritte nicht glücklicher? Ein Gespräch mit Professor Detlef Fetchenhauer, Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der Universität zu Köln.
Von Merle Hettesheimer
Herr Professor Fetchenhauer, unsere Lebensumstände haben sich seit den 50er Jahren stark verbessert. Wir leben länger und sind länger gesund. Wir arbeiten weniger, verdienen mehr Geld und haben mehr Urlaub. Wir können reisen, nutzen eine Vielzahl technischer Innovationen und leben auf mehr Quadratmetern. Warum sind wir dann nicht glücklicher?
Menschen gewöhnen sich sehr schnell an neue Umstände. Wenn sich unsere Lebensumstände verschlechtern, sind wir in der Lage, uns anzupassen. Nach einer Zeit der Depression können wir wieder von vorne beginnen, uns sozusagen den Staub von der Jacke schütteln und weitermachen. Diese Fähigkeit zur Adaption ist für den Menschen überlebensnotwendig. Leider hat sie den Nachteil, dass Menschen sich auch sehr schnell an Gutes gewöhnen. Man freut sich über eine Gehaltserhöhung, aber in einem halben Jahr denkt man darüber nach, ob man nicht noch eine weitere Erhöhung bekommen könnte.
Sind wir also gar nicht dazu gemacht, glücklich zu sein? Welche Rolle spielt das Glücksempfinden denn überhaupt?
Aus evolutionspsychologischer Perspektive sind wir tatsächlich nicht dazu gemacht, glücklich zu sein. Wenn wir überhaupt für irgendetwas gemacht sind, dann dafür, uns fortzupflanzen. Das heißt, unser gesamter psychischer Apparat, also auch unsere Emotionen, haben die Funktion, unser Verhalten zu steuern. Wenn wir glücklich sind, ist das ein Signal an unsere Psyche, dass im Moment alles in Ordnung ist. Hätten wir die Fähigkeit, glücklich zu sein ohne irgendwelche äußeren Ziele zu verfolgen, dann hätten wir im Wettbewerb mit anderen Lebewesen, die die Fähigkeit zu einer funktionalen Verhaltenssteuerung haben, schlechte Karten. Insofern kann man tatsächlich sagen, dass wir nicht dazu gemacht sind, auf Dauer glücklich zu sein.
Mit anderen Worten, was immer wir unternehmen um glücklich zu sein: Wir können das Glücksgefühl nur aufrecht erhalten, wenn wir ständig einen neuen Anreiz haben. Sollten wir dann alle Bungee-Springen?
Die Psychologie unterscheidet zwischen Glück und Lebenszufriedenheit. Glück bedeutet in diesem Fall das intensive emotionale Erleben für einen kurzen Zeitraum. Sigmund Freud hat einmal sehr schön formuliert: „Glück ist eine Frage von Sekunden.“ Zufriedenheit hebt dagegen eher auf das langfristige Wohlbefinden und die Zufriedenheit mit den eigenen Lebensumständen ab. Wenn Sie jetzt so etwas wie Bungee-Springen ansprechen, dann ist das sicherlich – wenn man es denn mag – eine Möglichkeit, um kurzfristig so etwas wie Glück zu stimulieren, langfristig aber nicht, um das eigene Leben zu meistern.
Offenbar spielt es aber eine Rolle, ob wir ein bestimmtes Niveau an Armut oder Reichtum unter- bzw. überschreiten. Wieviel Wohlstand braucht denn der Mensch, um glücklich zu sein?
Grundsätzlich zeigt die Psychologie, dass Glück etwas höchst Subjektives ist. Zwei Menschen können die objektiv gleiche Situation ganz unterschiedlich erleben. Der eine ist todunglücklich, der andere sehr zufrieden damit. Aber diese Subjektivität hat natürlich dann ihre Grenzen, wenn die objektiven Lebensumstände zu extrem werden. Aus der kulturvergleichenden Forschung wissen wir, dass, wenn Menschen wirklich arm sind, wenn sie Hunger haben, krank sind oder Opfer einer Überschwemmungskatastrophe wurden, es ihnen nicht gut geht und dass sie das auch so empfinden. Interessanterweise gibt es nach oben keine Grenzen. Keine Lebensumstände könnten objektiv so perfekt sein, dass Menschen wirklich glücklich und zufrieden damit wären.
Wie unterscheiden sich dabei verschiedene Kulturen? Gibt es kulturelle Unterschiede in Bezug auf Zufriedenheit oder Glücksempfinden?
Ja, sogar relativ starke. Wobei es schwierig ist zu beziffern, was genau die Ursachen dafür sind. Eine Variable, die tatsächlich entscheidend ist, ist der Wohlstand. Weltweit gesehen sind Menschen in wohlhabenden Ländern zufriedener als in armen; allerdings nur bis zu einer bestimmten Schwelle. Wenn Sie einmal in einer Industrienation geboren sind, dann nützt es Ihnen nichts, noch mehr Wachstum zu generieren und noch wohlhabender zu werden. Aber auch andere Variablen spielen eine Rolle: In bestimmten Kulturen scheinen Menschen sensibler für ein Glücksempfinden zu sein, beispielsweise in vielen Ländern Südamerikas. Dort sind Menschen sehr zufrieden, obwohl ihr Wohlstand gar nicht so groß ist.
Was macht diese Menschen denn glücklicher?
Das ist bislang kaum erforscht. Man weiß, dass die Gesamtheit der Infrastruktureinrichtung, die eine Gesellschaft Menschen zur Verfügung stellt, diese glücklicher macht. Wenn also in einer Gesellschaft die Menschenrechte gewährleistet sind, die medizinische Versorgung, die Pressefreiheit usw., dann sind die Menschen eher glücklich. Deshalb sind Menschen unter sonst gleichen Bedingungen in einer Demokratie glücklicher und zufriedener als in einer Diktatur. Allerdings korreliert dieser Befund sehr stark mit dem Wohlstand.
Gibt es Vergleichsstudien zwischen der Bundesrepublik und der DDR?
Studien zeigen, dass Menschen in Ostdeutschland tatsächlich weniger lebensfroh waren als in der Bundesrepublik. Dieser Unterschied besteht sogar heute noch. Das große Problem solcher Vergleichsstudien ist allerdings, dass es in der DDR keine verlässlichen Daten gab. Die ersten Messungen wurden erst Anfang der 90er Jahre durchgeführt.
Welche Faktoren spielen innerhalb einer Gesellschaft, einer Kultur oder eines politischen Systems eine Rolle?
Die empirische Forschung belegt, dass der Zusammenhang zwischen Wohlstand und Glück innerhalb eines Landes sehr stabil ist: Wohlhabende Menschen sind in einer Gesellschaft lebenszufriedener als arme. Der Grund hierfür liegt im sozialen Status einer Person. Aus evolutionspsychologischer Sicht ist es für Menschen wichtig, sich einen hohen sozialen Status zu erarbeiten, da er sie attraktiver für das andere Geschlecht macht und sie länger und gesünder leben lässt. Wohlstand und Einkommen sind wesentliche Indikatoren für den sozialen Status, den Menschen in einer Gesellschaft haben: Je höher das Einkommen, desto höher der soziale Status und desto besser geht es der betreffenden Person. Dabei lassen sich Emotionen, die Menschen aus Positionsgütern wie dem sozialen Status beziehen, nicht vermehren – immer nur 10.000 Menschen bilden die oberen Zehntausend einer Gesellschaft – und sie unterliegen scheinbar auch nicht der Adaption. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte in sozialen Vergleichsprozessen liegen, die Menschen zum Zweck der Selbsteinschätzung ständig – bewusst oder unbewusst – durchführen, und die ihnen Informationen über ihren Status relativ zu ihren Mitmenschen geben. Menschen mit hohem sozialem Status erleben dabei ständig positive Emotionen aus der Erkenntnis, dass es ihnen besser geht als ihren Mitmenschen. Schulkinder etwa, die mit schlechten Schülern befreundet sind, sehen sich selbst positiver als Kinder, die mit guten Schülern befreundet sind. Teilweise manipulieren wir sogar unsere eigene Wahrnehmung, um in dem Vergleich besser abzuschneiden.
Bleiben die Verhältnisse innerhalb einer Gesellschaft also immer gleich, egal wie stark das Bruttoinlandsprodukt eines Landes steigt?
Ja. Angenommen wir hätten im Jahr 2020 im Schnitt 30 Prozent mehr Einkommen als heute. Dann wäre es unwahrscheinlich, dass wir auch alle deutlich glücklicher wären. Es gibt allerdings kulturvergleichende Studien, die zeigen, dass Menschen in Ländern mit einer niedrigen Einkommensungleichheit tendenziell zufriedener sind als in Ländern mit einer hohen Einkommensungleichheit. Die USA bilden allerdings eine Ausnahme: Dort sind die Menschen tendenziell sehr zufrieden, obwohl es große Einkommensunterschiede gibt. Die Lebenszufriedenheit ist also auch abhängig von der jeweiligen Kultur eines Landes. In den USA wird die Idee, dass jeder seines eigenen Glückes Schmid ist und die Chance hat, es vom Tellerwäscher zum Millionär zu bringen, gelebt. Insofern kann man dort auch mit schlechteren Lebensphasen besser umgehen, weil man hofft, in der Zukunft noch irgendwann den großen Gewinn zu machen. Diese Illusion oder Hoffnung haben die meisten Europäer nicht.
Angenommen wir stünden vor einer neuen Wirtschaftskrise. Würde sich das auf das Wohlbefinden der Menschen auswirken, wenn sich unsere Lebensbedingungen plötzlich verschlechterten?
Das ist eine sehr interessante Frage, zu der es aber leider kaum empirische Studien gibt. Wissenschaftler befassen sich erst seit drei oder vier Jahrzehnten mit dieser Thematik und in dieser Zeit haben wir weltweit keine schwere Rezession erlebt. Ich würde vermuten, dass, wenn es einer Gesellschaft gelänge, die Einkommensverluste halbwegs gleichmäßig zu verteilen, die Lebenszufriedenheit der Menschen sich kaum ändern würde. Tatsächlich hatten wir in Deutschland ja in den letzten zwei Jahren eher negative Wachstumsraten, und das hat die Lebenszufriedenheit der Menschen kaum beeinflusst, eben weil jeder davon betroffen war.
Welche Rolle spielen denn die Medien bei der Wahrnehmung unserer Umwelt?
Ein Gedanke, den ich entwickle, ist der, dass die Medien im Wesentlichen die Funktion haben, über Krisen, Gefahren oder Katastrophen zu berichten, und Menschen das von den Medien eben auch erwarten. Auch das ist aus evolutionärer Perspektive sehr funktional, weil es genau die Informationen sind, die für unser eigenes Verhalten wichtig sind. Das hat zur Folge, dass die Medien unabhängig vom objektiven Zustand der Welt überwiegend über Negatives berichten und der Leser, Hörer oder Zuschauer ein verzerrtes Bild von der Realität bekommt. Daher haben Menschen zum Beispiel den Eindruck, dass es immer mehr schwere Verkehrsunfälle gibt, obwohl Statistiken belegen, dass die Anzahl der Verkehrstoten pro Jahr seit vielen Jahren rückläufig ist.
Es gibt also einen Unterschied zwischen der unmittelbar erlebten und der medial vermittelten Umwelt…
Menschen unterscheiden zwischen ihrem direkten sozialen Umfeld und einer medienvermittelten Realität. Zu ihrer unmittelbaren Umgebung können sie sich eine eigene Einstellung bilden und Informationen der Medien korrigieren. Solche Befunde kennen wir z.B. aus der Kriminologie: Menschen nehmen Kriminalität anders wahr, wenn sie in ihrem eigenen Wohnviertel stattfindet. Dort wird sie i.d.R. als weniger bedrohlich erlebt als in Deutschland insgesamt.
Die Medien tragen ja auch dazu bei, dass wir immer stärker zusammenwachsen und unsere Bezugsgruppen immer größer werden. Sind wir damit überfordert?
Aus der Psychologie gibt es dazu zwei konkrete Befunde: Zum einen werden unsere Referenzgruppen immer größer und immer abstrakter. Das ist für unser eigenes Selbstwertempfinden nicht unbedingt positiv. ir neigen dazu, uns mit Prominenten u nicht mit unseren Nachbarn zu vergleichen. Dabei schneiden wir schlecht l Prominente meist schöner, reicher oder mächtiger sind als wir oder weil sie zumindest in den Medien so dargestellt werden. Der andere Aspekt ist, dass zu viele Alternativen Menschen buchstäblich lähmen können. Amerikanische Wissenschaftler testeten in einem Experiment, ob die Kunden eines Gourmetkaufhauses sich eher für einen Stand mit 24 oder mit sechs Marmeladen entscheiden würden. Obwohl der Stand mit der größeren Auswahl mehr Aufmerksamkeit auf sich zog, waren die Kunden hier kaum in der Lage, aus dem Angebot auszuwählen und kauften deshalb seltener als bei dem Stand mit dem kleineren Angebot. Der Mensch ist an eine so komplexe Umwelt nicht angepasst. In seinem Umfeld als Jäger und Sammler war die Zahl der Entscheidungen gering und es musste aus einer kleinen Menge von Möglichkeiten schnell die richtige gewählt werden. Zu viele Alternativen wirken auf uns paralysierend, so dass wir am Ende gar nichts auswählen. Der Vergleichsprozess endet auch dann nicht, wenn wir uns bereits für ein Produkt entschieden haben. Dann beginnt man zu grübeln, ob es wirklich das Richtige war. Insofern sind die Möglichkeiten, die das Internet uns bietet, einerseits sicherlich positiv aber auf der anderen Seite auch eine Überforderung für den Menschen.
Haben Zufriedenheit und Glück auch etwas damit zu tun, inwiefern wir in die Vergangenheit oder nach vorne schauen? Manche glauben ja, früher sei alles besser gewesen…
Dieser Frage gehen wir gerade am Institut nach. Unsere bisherigen Ergebnisse deuten an, dass es sich beim Blick in die Vergangenheit um eine deutsche Besonderheit handelt. Man kann dieses Verhalten zwar weltweit beobachten, in Deutschland scheint es aber sehr ausgeprägt zu sein. Dazu gibt es zwei theoretische Ansätze: Der eine Ansatz geht davon aus, dass es eigentlich etwas Positives ist, nostalgisch zu sein, weil man sich erinnert und das verloren gegangene Glücksgefühl reaktiviert, um daraus die Kraft und den Mut für die Zukunft zu schöpfen. Beim anderen Ansatz vermutet man, dass Menschen, die sich allzu sehr mit der Vergangenheit äftigen, sich nicht daraus lösen und nicht die Kraft finden, sich der eigenen Zukunft zuzuwenden. Die kulturvergleichende Forschung lässt vermuten, dass der erste Ansatz eher in den angelsächsischen Ländern zu finden ist, der zweite eher in Deutschland. In Deutschland ist es tatsächlich so, dass Menschen, die sich sehr mit der Vergangenheit beschäftigen, oftmals der Mut fehlt, sich mit der Gegenwart und der Zukunft auseinanderzusetzen.
Hat das Alter dabei auch einen Einfluss?
Nein, das ist ganz interessant. Man würde logischerweise vermuten, dass ältere Menschen nostalgischer sind als jüngere, weil sie bereits einen längeren Teil ihres Lebens gelebt haben. Entsprechend könnte man auch vermuten, dass ältere Menschen mehr Angst vor dem Tod haben oder weniger lebenszufrieden sind. All das findet man nicht. Menschen neigen dazu, die eigene Vergänglichkeit auszublenden. Daher lassen sich viele Alterseffekte, die man logischerweise erwarten würde, empirisch nicht feststellen.