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Das Bild vom tumben Neandertaler wandelt sich

Kunst galt als Domäne des Homo sapiens. Höhlenmalereien in Andalusien widerlegen dies nun.

Forscher in Höhle

Kunst galt bisher als Domäne des Homo sapiens. Die Forschung ging lange davon aus, dass nur der moderne Mensch in der Lage war, sich in abstrakten Symbolen auszudrücken. Höhlenmalereien in Andalusien erzählen nun eine andere Geschichte.

Eine steile, glitschige Treppe aus groben Steinen führt ins Höhleninnere. Schritt für Schritt geht es vorsichtig hinab in die Cueva Ardales im andalusischen Süden Spaniens. Die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass Kameraobjektiv und Brille beschlagen. Erst nach einigen Minuten wird der trübe Blick wieder klarer. Düster und schwül bleibt es in der Höhle dennoch. Nach einigem Gekraxel durch enge Gänge und über rutschige Steine tut sich ein großer Raum auf. Das Licht der Stirnlampe an den Wänden lässt nun erahnen, dass die Cueva Ardales etwas ganz Besonderes ist.

Es glitzert und funkelt, wenn das Licht die Wände streift. Kleine Kristalle reflektieren wie ein unterirdischer Sternenhimmel an den Höhlenwänden, den Stalagmiten und Stalaktiten. Doch das eigentlich Spektakuläre der Höhle ist unscheinbar und entgeht dem ersten Blick. Hier und da sind an den Wänden ein paar rote Farbtupfer zu sehen. Es sind Finger- und Handabdrücke, mit roter Farbe auf die Wand aufgetragen. Diese Tupfer sind es, die ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter Beteiligung des <link http://www.sfb806.uni-koeln.de/ - external-link-new-window "Opens internal link in current window">Sonderforschungsbereichs 806 »Our Way to Europe«</link> der Uni zu Köln untersucht hat.
Die Ergebnisse sind eine wissenschaftliche Sensation und werfen ein ganz neues Licht auf die Menschheitsgeschichte, denn die Spuren stammen offenbar von Neandertalern. Ergeben haben das archäologische Ausgrabungen und modernsten Datierungsmethoden.

Dem Homo sapiens ebenbürtig

Bisher galt, dass nur anatomisch moderne Menschen in der Lage gewesen sind, Kunst herzustellen. Das macht diesen Befund so besonders. Professor Dr. Gerd-Christian Weniger leitet für den SFB 806 in der Cueva Ardales eine archäologische Ausgrabung. »Alles, was mit künstlerischem Ausdruck verbunden ist – symbolisches und abstraktes Denken – wurde ausschließlich dem Homo sapiens zugeschrieben«, sagt Weniger. »Tatsächlich müssen wir aber davon ausgehen, dass auch Neandertaler entsprechende intellektuelle Fähigkeiten hatten.«

<link https://story.uni-koeln.de/neandertaler/>Multimedia</link>
Die Forschung in der Cueva Ardales als Multimediastory

Das Bild vom Neandertaler als tumbem, keulenschwingenden Gesellen geriet bereits in den letzten Jahren durch archäologische Funde und genetische Analysen immer mehr ins Wanken. So stellte sich heraus, dass er etwa aufwändige Werkzeuge herstellte oder für kranke Gruppenmitglieder sorgte. Die Höhlenmalereien rehabilitieren ihn noch ein gutes Stück mehr. Die Fähigkeit, sich die Welt symbolisch vorzustellen und auf einer abs trakten Ebene zu kommunizieren, legt nahe, dass der Neandertaler alles andere als dumm war. Im Gegenteil: Offenbar war er dem Homo sapiens intellektuell sogar ebenbürtig

Es sind einfache Malereien, die die Wände in Ardales zieren. Große Flecken, Streifen und kleine Punkte. Zum Teil sind zwei oder drei Fingerspitzen nebeneinander abgebildet. Alle Darstellungen sind in rot gehalten, da die Zeichen mit Ocker direkt mit der Hand auf die Wand aufgebracht wurden. »Es wurden keine besonderen Pinsel oder Werkzeuge benutzt. Zudem sind klare Strukturen zu erkennen. Das ist nichts Zufälliges«, sagt Weniger. Die recht einfache Machart der Zeichen lässt darauf schließen, dass sie so etwas wie den Beginn der Höhlenkunst darstellen. Spannend ist, dass man in der Cueva Ardales auch ihre weitere Evolution beobachten kann. In versteckteren Abschnitten, noch weiter im Höhleninneren, gibt es bildliche Darstellungen, etwa von Huftieren und Fischen. Allerdings sind diese Bilder einige Jahrtausende jünger als die einfachen Fingerund Handabdrücke, die derzeit für Aufsehen sorgen. Die andalusische Höhle ist also auch ein beeindruckendes Zeugnis der menschlichen Entwicklung und Siedlungsgeschichte.

Neue Methoden erlauben die Datierung

Insgesamt gibt es in der Cueva Ardales an rund vierzig Stellen eiszeitliche Höhlenmalereien. Die Kunst selbst war schon lange bekannt. Erstmals wurde sie 1822 entdeckt. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts dokumentierte dann der französische Archäologe Henri Breuil – in der Wissenschaft so etwas wie der Papst der Höhlenforschung – die Malereien. Allerdings war es bis vor kurzem noch unmöglich, das Alter zu bestimmen, ohne die eiszeitliche Kunst zu zerstören.

Modernste technische Methoden bieten der Wissenschaft heute neue Möglichkeiten. Mit Hilfe der Uran-Thorium-Methode können Karbonatkrusten auf den Farbpigmenten datiert werden. Durch Messung der Ausgangs- und Zerfallsisotope können die Forscherinnen und Forscher das Alter der Kalkbildung bestimmen. Dies ist eine sehr genaue Datierungstechnik, die Kalkablagerungen bis zu einem Maximalalter von etwa 500.000 Jahren bestimmen kann. So reicht sie erheblich weiter zurück als die ansonsten gängige Radiokarbonmethode. In der Cueva Ardales ermittelte das Team nun jeweils ein Alter von über 60.000 Jahren für Darstellungen der Wandkunst. Die ersten anatomisch modernen Menschen erreichten Südwesteuropa aber erst vor 40.000 Jahren.

Uran-Thorium-Methode
Die Datierung basiert auf dem radioaktiven Zerfall von Uranisotopen, die sich dabei in das chemische ElementThorium umwandeln.

Die Malereien entstanden nicht zufällig

Das Team um Weniger stützt mit ihren Ausgrabungen den Befund der Datierung: Die Archäologen belegten durch Bodenfunde die Anwesenheit von Neandertalern zur der Zeit, in der die Wandkunst entstanden sein muss. Sie bargen eiszeitliche Werkzeuge wie bearbeitete Knochen und Steinklingen sowie ein komplett erhaltenes Stück Ocker in der Größe eines Spielwürfels, mit dem wahrscheinlich gemalt wurde.

Alle Funde stammen aus Erdschichten, die mindestens 50.000 Jahre alt sind und damit weit vor der Ankunft des Homo sapiens liegen. Zudem kommt Ocker in der Höhle nicht vor, er muss also gezielt hineingebracht worden sein. »Dabei ist auch interessant, dass wir keine Siedlungsspuren gefunden haben«, sagt Weniger. »Die Cueva Ardales wurde sicher nicht als Wohnhöhle genutzt, an der man sich mehrere Tage an einem Lagerfeuer aufgehalten hat.« Die Malereien sind also keine Zufallsprodukte. Vielmehr kamen unsere Vorfahren ganz gezielt in diese Höhle, um ihre Kunst an den Wänden aufzutragen.

Professor Weniger ist sich sicher: »Mit den Datierungen und den archäologischen Funden schlagen wir ein völlig neues Kapitel in der Erforschung der eiszeitlichen Höhlenkunst auf.« Auf der Suche nach den Ursprüngen von Sprache und entwickeltem menschlichen Wahrnehmungs- und Denkvermögen müssen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deshalb viel weiter in die Vergangenheit zurückblicken. Ardales nimmt dabei eine Schlüsselposition ein. Denn die Fähigkeit, sich nicht nur in sprachlichen Lauten auszudrücken ist ein enormer Schritt in der menschlichen Entwicklung. »Und das hier, das ist der Anfang«, sagt Weniger.