Patientenrechte und Gesetzgebung
Brauchen wir ein Patientenrechtegesetz?
Wer medizinischer Hilfe bedarf, wendet sich an einen Arzt, um von ihm eine Diagnose seiner Erkrankung und die erforderliche Therapie zu erhalten. Dieser an sich einfache Tatbestand wirft auf den zweiten Blick viele Fragen auf. Welche Rechte stehen dem Patienten im Behandlungsablauf zu? Wie kann er über die Diagnose und Therapie mitentscheiden? Wie muss er über Risiken und Chancen informiert werden? Was geschieht, wenn die Behandlung nicht zum gewünschten Erfolg führt oder der Patient gar zu Schaden kommt? Und was, wenn die Kosten einer möglichen Behandlung nicht von der Krankenkasse übernommen werden?
Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist durchdrungen von einer Vielzahl juristischer Fragen und rechtlicher Regelungen. Der Arzt unterliegt dabei der Pflicht einer gewissenhaften Diagnose und Befunderhebung sowie einer ordnungsgemäßen Durchführung der Behandlung. Dazu gehören die Aufklärung des Patienten über Risiken und Chancen der Therapiemöglichkeiten, die ordentliche Dokumentation des Behandlungsverlaufs, die sichere Organisation von Praxis- und Klinikabläufen, der Schutz der Patientendaten, die Information über möglicherweise selbst zu finanzierende Behandlungs- und Diagnosemaßnahmen und vieles mehr.
All diese Rechte und Pflichten wurden über Jahrzehnte von der Rechtsprechung und der Rechtswissenschaft herausgebildet. Mangels spezieller Vorschriften sind sie auf Basis der allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs kontinuierlich entwickelt worden. Sie sorgen in besonderem Maße für den Schutz des Patienten, waren jedoch in Deutschland bislang nicht in einem speziellen Gesetz geregelt. Nach jahrzehntelanger Diskussion hat sich der Gesetzgeber nun entschieden, die Rechte der Patienten in einem eigenen Gesetz festzulegen. Das neue Patientenrechtegesetz soll besonders die Information, Aufklärung und Einwilligung regeln, mehr Transparenz und Rechtssicherheit hinsichtlich der bestehenden Rechte schaffen sowie eine bessere Rechtsdurchsetzung und eine verbesserte Gesundheitsversorgung sicherstellen. Patienten sollen ihre Rechte möglichst selbst im Gesetz nachlesen können, so die Gesetzesbegründung.
Recht auf Selbstbestimmung
Elementares Recht eines jeden Menschen ist das Selbstbestimmungsrecht. Dieses Recht steht auch dem Kranken zu. Jeder ärztliche Eingriff bedarf daher der Einwilligung des Patienten. Das betrifft Heileingriffe wie auch diagnostische und präventive Maßnahmen. Eine sinnvolle Entscheidung kann der Patient aber nur dann treffen, wenn der Arzt ihn angemessen über die verschiedenen Behandlungsoptionen und deren jeweilige Risiken und Chancen aufgeklärt hat. Oberster Zweck der ärztlichen Aufklärungspflicht ist es, dem Patienten eine sinnvolle Wahrnehmung seines Selbstbestimmungsrechts zu ermöglichen.
Das Erfordernis der Einwilligung ist in den von der Verfassung garantierten Grundrechten normativ verwurzelt. Sie verpflichten zur Achtung und zum Schutz der Würde des Menschen, seiner Freiheit sowie seines Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit. „Der benevolente Paternalismus, der das Verhältnis des Patienten zum Arzt als Herrn über das Behandlungsverfahren mit dem einzigen Ziel der Heilung des Patienten jahrhundertelang geprägt hat, war in der aufgeklärten Gesellschaft, in der die Autonomie des Individuums in den Vordergrund trat, nicht länger zu billigen“, betont Professor Christian Katzenmeier, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinrecht der Universität zu Köln.
Das Recht hat diesen Wandel umgesetzt und seither stetig konkretisiert und gefestigt. „Ausgangspunkt ist die berühmte Entscheidung des Reichsgerichts, die den ärztlichen Heileingriff erstmalig als tatbestandsmäßige Körperverletzung qualifizierte. Von da an war die ärztliche ‚Heilgewalt‘ streng an die Einwilligung des Patienten geknüpft. Vom Reichsgericht noch als vertragliche oder quasivertragliche Beratungspflicht verstanden, erkannte der Bundesgerichtshof die Aufklärung des Patienten endgültig als eine vertragsunabhängige ärztliche Berufspflicht an.“
Katzenmeier ist Experte auf dem Gebiet des Medizinrechts und hat zum Thema Patientenautonomie und Patientenrechte zahlreiche Publikationen verfasst. „Patientenautonomie ist ein hohes Gut. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten wird durch die Pflicht des Arztes zur Aufklärung gewährleistet. Diese hat in ihren unterschiedlichen Facetten durch die Spruchpraxis der Gerichte in den letzten Jahrzehnten eine enorme Aufwertung erfahren“, sagt Katzenmeier. „Die Rechtsprechung ist hoch entwickelt und sehr ausdifferenziert. Manche Entscheidungen haben jedoch die Anforderungen an die behandelnden Ärzte überzogen, sodass eher eine Moderation denn eine weitere Verschärfung angezeigt ist.“
Leitbild: Mündiger Patient
Das neue Patientenrechtegesetz orientiert sich am „Leitbild des mündigen Patienten“ und rezipiert damit das bekannte Prinzip. Mit dem neuen Gesetz sollen dem Hilfesuchenden verlässliche Informationen zur Orientierung im Gesundheitswesen verschafft werden. Die Kenntnis der Rechte ist Voraussetzung dafür, dass Patienten eigenverantwortlich und selbstbestimmt im Rahmen der ärztlichen Behandlung entscheiden können. Der Gesetzgeber wollte die bislang von der Rechtsprechung herausgebildeten Regelungen bündeln und hat einen neuen Vertragstyp in das Bürgerliche Gesetzbuch implementiert. Die Regelung des Behandlungsvertrages (§§ 630 a-h BGB) ist einer der wichtigsten Punkte des neuen Gesetzes. Die Regelungen erfassen dabei nicht nur die Tätigkeit von Ärzten, sondern auch die von Angehörigen anderer Heilberufe wie Hebammen, Psycho- und Physiotherapeuten und Heilpraktikern.
Das Patientenrechtegesetz soll aber nicht nur für mehr Transparenz und Rechtssicherheit sorgen, sondern auch die Rechtsdurchsetzung wie die Gesundheitsversorgung verbessern. So ist dessen zweites Anliegen, eine Fehlervermeidungskultur zu fördern. Risikomanagement- und Fehlermeldesysteme werden im Sinne einer effektiven Qualitätssicherung gestärkt und das Beschwerdemanagement in Krankenhäusern gefördert. Außerdem sollen Verfahrensrechte bei Behandlungsfehlern gestärkt, die Patientenberatung und -beteiligung ausgebaut und Rechte gegenüber Leistungsträgern, wie den Krankenkassen, erhöht werden.
Kontroverse Diskussion in Politik und Öffentlichkeit
Bis heute ist das Gesetz jedoch umstritten. Zwar enthält es wertvolle Maßgaben, um die Patientenrechte gegenüber Krankenund Pflegekassen zu stärken und eine Fehlervermeidungskultur zu fördern. Andere Regelungen werden aber durchaus kritisch gesehen. Beispielsweise seien mehrere Bestimmungen regelungstechnisch erstaunlich schlecht, erläutert Katzenmeier. So sei im Behandlungsvertragsrecht allein schon der Begriff der „medizinischen Behandlung“ nicht genauer definiert. Manches sei inhaltlich problematisch, so etwa die grundsätzliche Festlegung des Arztes auf die „allgemein anerkannten fachlichen Standards“.
Der Rechtswissenschaftler macht überdes darauf aufmerksam, dass Rechtsnormen nur eine begrenzte Steuerungsfunktion haben. Ein partnerschaftliches Gespräch zwischen Arzt und Patient können auch sie nicht erzwingen. Im Gegenteil: „Eine Überregulierung kann der Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient schaden“, warnt Katzenmeier. Darüber hinaus bestehe die Gefahr einer Defensivmedizin, bei welcher der Arzt darauf bedacht ist, sich vor der ständig drohenden Inanspruchnahme zu schützen. Aus Furcht vor einer überzogenen Haftung werden sinnlose diagnostische Maßnahmen ergriffen und manche vielversprechenden Therapiemöglichkeiten ausgelassen. „Das ärztliche Berufsethos wird dadurch deformiert. Rechtsregeln können die gewissenhafte Entscheidung des Arztes nicht ersetzen. Ziel des Gesetzes darf daher nicht die Maximierung von Rechtspositionen der Patienten sein; es muss um eine Optimierung gehen. Patientenrechte lassen sich nicht gegen Arztinteressen ausspielen, vielmehr können sie sich nur durch die Ärzte entfalten“, betont Katzenmeier. Arzt und Patient müssen ihre Aufgaben ernst nehmen, nur so ist eine partnerschaftliche Beziehung möglich.
Anderen Kritikern geht das Patientenrechtegesetz nicht weit genug. So bringe es keine beachtenswerte Verbesserung, sondern fasse lediglich die geltende Rechtsprechung zusammen. Dies führe gerade nicht zur Erreichung der gesetzten Ziele, denn die zentralen Probleme würden nicht angegangen. Dies betreffe etwa die Regelung individueller Gesundheitsleistungen (IGeL), die Verbesserung der Sicherheit von Medizinprodukten und die Etablierung eines Härtefallfonds bei Behandlungsschäden, die sich nicht sicher auf ein ärztliches Fehlverhalten zurückführen lassen.
Die Bundesregierung verteidigt das Gesetz. Für IGeL habe man eine besondere Informationspflicht geschaffen. Bei Bewilligungsverfahren von Sozialversicherungsträgern habe man gesetzliche Entscheidungsfristen mit Sanktionsandrohung eingeführt, damit Versicherte zeitnah die ihnen zustehenden medizinischen Leistungen erhalten. Außerdem hätten diese bei Verdacht auf einen Behandlungsfehler nun einen Anspruch auf Unterstützung durch die Krankenversicherung bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, etwa durch die Erstellung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung.
Bestehende Patientenrechte reichen aus
Auch ohne ein Spezialgesetz hatte Deutschland mit den bestehenden Patientenrechten eine Spitzenstellung innerhalb der Europäischen Union inne. Katzenmeier betont: „Die von Kritikern des Patientenrechtegesetzes erhobenen weitergehenden Forderungen verkennen die Gefahr negativer Rückwirkungen auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Darüber hinaus muss klargestellt werden, dass sich ein Gesetz nicht als Maßnahme eignet, um einer Verkürzung von Patientenrechten infolge der Rationierung medizinischer Leistungen im Gesundheitssystem zu begegnen.“ Rationierung wird von der Politik stets geleugnet, faktisch findet sie im Behandlungsalltag von Kliniken und Arztpraxen aber längst statt.
Vor dem Hintergrund weiterer wirtschaftlicher Beschränkungen kann die Sicherstellung der standardgemäßen Versorgung nicht mehr allein Aufgabe der Leistungserbringer sein, sondern bedeutet immer mehr eine Herausforderung an die Entscheidungsträger im Gesundheitswesen und der Gesundheitspolitik. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, gesetzliche Vorgaben für die gerechte Verteilung der knappen Ressourcen im Gesundheitswesen zu treffen, um Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gerade auch im Interesse der Patienten zu gewährleisten.
Prof. Dr. Christian Katzenmeier / Janina Treude