skip to content

„Words and images – My Tools to fight Injustice“

Ein Besuch bei Ruth Gruber, Kölns ältester Alumna, in New York

 

Ein großes Zimmer mit einem herrlichen Blick auf die Bäume des Central Park im Indian Summer, von der Straße hört man ab und zu die Taxis hupen, ansonsten ist es still.

Überall Bücher, in riesigen, deckenhohen Bücherregalen, auf Tischen, Kommoden, Stühlen, Fensterbänken, gerade oder schräg stehend, dichtgedrängt wie Ziegelsteine auf dem Boden gestapelt und dann wieder in noblem Abstand voneinander nach Projekten sortiert mit Durchgängen für die, die hier lebt und schreibt, die emphatisch von ihren Büchern als Schutzgöttern ihres Lebens spricht und nüchtern davon, dass Wörter und Bilder ein Leben und Schreiben lang ihre Waffen gegen die Ungerechtigkeit waren. Wir sind zuhause bei Ruth Gruber in New York, mit 103 Jahren Kölns älteste Alumna. Es ist das Ende einer Delegationsreise der Uni Köln nach Kanada und in die USA.

1932 kam Ruth Gruber, als Kind jüdisch-russischer Einwanderer in New York 1911 geboren, nach einem Studium an der New York University und der University of Wisconsin-Madison, nach Köln und promovierte in nur einem Jahr mit einem Stipendium der Universität zu Köln über Virginia Woolf an der Philosophischen Fakultät. Mit 21 Jahren war sie damit die jüngste Promovendin der Welt.

Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer habe ihr persönlich im Rathaus zur Promotion gratuliert, erzählt sie uns. Die Unterhaltung beginnt ein wenig schleppend, unterstützt von einer Privatsekretärin, die Fragen manchmal wiederholt. Ruth Gruber spricht leise, mit vielen Pausen, in denen sie nach Erinnerungen ihrer Kölner Zeit sucht, sichtlich erfreut über den unerwarteten Besuch nach mehr als acht Jahrzehnten. Gegen den Widerstand ihrer Eltern hatte sie damals die Einladung zu dem Stipendium nach Köln angenommen.

Sechs Millionen Arbeitslose, mit Brüning, von Papen, von Schleicher, drei Kanzler in einem Jahr, im Juli 1932 wurden die Nazis bereits zur stärksten Partei, die Demokratie stand in Deutschland am Abgrund. Ruth Gruber schildert uns die Kölner Monate dennoch als „best time of her life“, und wenn man die Bilder aus ihrer Jugendzeit im Internet betrachtet, so wird man das glauben. Portraits einer schönen und mutigen Frau, in denen man nachträglich erkennen kann, was in einer vergangenen Zeit die Zukunft eines Menschen bestimmt hat. Es muss ein Glück für sie gewesen sein, über Virginia Woolf zu schreiben und dabei deren Radikalität im Leben und Schreiben nachzuspüren. Ruth Gruber war damals ihrer Zeit weit voraus, vierzig Jahre später sollte die feministische Literaturwissenschaft Virginia Woolfs Bedeutung erst richtig würdigen.

Zugleich war sie ganz Zeitgenossin, der sich die faschistischen und kommunistischen Auseinandersetzungen auf den Straßen Deutschlands 1932 ins Gedächtnis einbrannten. Nach ihrer Rückkehr in die USA 1933 wurde aus der Literaturwissenschaftlerin eine engagierte Journalistin, die vor der nationalsozialistischen Herrschaft warnte und 1935 für den Herald Tribune eine Serie über das Schicksal von Frauen unter faschistischer und kommunistischer Herrschaft schrieb.

Im Auftrag Roosevelts war sie 1944 für den Rücktransport von tausend jüdischen Flüchtlingen und verwundeten amerikanischen Soldaten von Italien nach Amerika verantwortlich. Der US-Transporter wurde von der deutschen Marine verfolgt, mit Schiffen und U-Booten, es war eine dramatische Flucht, die Ruth Gruber später in ihrem berühmtesten Buch Haven (erschienen 1983, verfilmt 2001 mit Natasha Richardson als Ruth Gruber) noch einmal aus den Interviews der Flüchtlinge rekonstruierte.

Dem Schicksal von Vertriebenen in aller Welt und der Emanzipation der Frau gilt bis heute Ruth Grubers ganzes Engagement, zahlreiche Bücher, Zeitungsfeatures und Auszeichnungen zeugen davon, den Kölner Besuchern aber erzählt sie immer wieder von ihrer Kölner Faszination, von Virginia Woolf, von den persönlichen Kontakten, die sich aus ihrer Dissertation ergaben, von ihrer Erschütterung über Virginia Woolfs Freitod als Preis der Mündigkeit, die Frauen damals noch nicht zugestanden wurde.

Sichtlich bewegt nimmt sie aus unseren Händen neben der Universitätsplakette und einem Faksimile ihrer Promotionsurkunde eine Urkunde entgegen, die sie zum Ehrenmitglied des Vereins KölnAlumni – Freunde und Förderer der Universität zu Köln ernennt, und macht sich sofort über eine geeignete Rahmung und die Hängung der Urkunde in ihrem Arbeitszimmer Gedanken. Am Ende unseres Gesprächs schmiedet sie Partypläne für den 30. September, ihren 103. Geburtstag. Fröhlich fordert sie uns auf, bei unserem nächsten Besuch in New York wieder zu ihr zu kommen.