Dr. Tabea Thies arbeitet als Phonetikerin in der Neurologie. Die Alumna der Philosophischen Fakultät hat es darauf abgesehen, die Parkinson-Krankheit besser zu verstehen. Dafür nimmt sie die Herausforderungen der interdisziplinären Arbeit in Kauf.
Das Gespräch führte Eva Schissler
Frau Thies, Sie kamen als Geisteswissenschaftlerin an die Uniklinik. Wie ist ein solch drastischer Fachwechsel zu erklären?
Vor zehn Jahren ist aus einer Kooperation zwischen Neurologie und Phonetik die Arbeitsgruppe »Brain Modulation and Speech Motor Control« hervorgegangen. Ich habe zu jener Zeit in Köln meinen Bachelor in Linguistik gemacht und zufällig mal einen Vortrag dieser Gruppe gehört. Da ging es um Sprechfähigkeiten von Menschen mit Essentiellem Tremor, einer neurologischen Bewegungsstörung. Das fand ich sehr spannend und anwendungsbasiert, sodass ich am Ende meine Bachelorarbeit über das Thema geschrieben habe.
So entstanden erste Verbindungen zur Neurologie. Danach habe ich während des Masters als Hilfskraft dort gearbeitet, die Verbindungen wurden immer intensiver. Irgendwann kam eine Gastwissenschaftlerin aus Schottland, die Parkinson- Daten erheben wollte. Dabei habe ich dann mitgewirkt. Am Ende konnte ich einen Teil der Daten für meine Masterarbeit verwenden. Dadurch habe ich ein halbes Jahr in der Arbeitsgruppe von Professor Michael Barbe in der Neurologie sehr intensiv zum Thema Parkinson gearbeitet. Irgendwann war ich einfach »drin«.
Nach dem Master kam die Promotion, in der ich mich mit Therapieeffekten auf die Sprechmotorik befasst habe. Ich habe an der Uni mit einem Promotionsstipendium von a.r.t.e.s., der Graduiertenschule der Philosophischen Fakultät, promoviert.
Warum befassen Sie sich ausgerechnet mit Parkinson?
Einerseits ist die Arbeitsgruppe von Michael Barbe stark auf diese Krankheit ausgerichtet. Andererseits ist Parkinson aus phonetischer Perspektive interessant. Verschiedene Sprechdomänen sind beeinträchtigt: Die Sprache kann leiser oder monotoner werden. Die Tonmodulation ist eingeschränkt, irgendwann sprechen Patient*innen ein bisschen wie Roboter. Gleichzeitig kann die Artikulation undeutlicher werden. Die Kombination dieser Faktoren ist sehr individuell, aber im Laufe der Erkrankung wird es immer schlechter. Die Frage ist auch, wie diese Symptome sich zu den motorischen Defiziten verhalten. Was ist womit assoziiert und wie kann man die Zusammenhänge verstehen?
Wo kommt die phonetische Diagnostik ins Spiel?
Der sprechmotorische Prozess – wie sich Zunge und Lippen bewegen, ob der Sprech-output noch verständlich ist – ist sehr sensitiv für Veränderungen. Das gilt für kognitive Veränderungen, die bei Demenz und Alzheimer auftreten, aber auch für motorische Erkrankungen wie Parkinson. Parkinson entwickelt sich über Jahre hinweg. Viele Menschen gehen erst zum Arzt, wenn motorische Veränderungen sichtbar werden; man läuft langsamer oder ist nicht mehr so präzise in der Bewegung. Die Forschung geht aber davon aus, dass der Prozess bereits zehn bis zwanzig Jahre vor der Diagnose beginnt. Sprachaufnahmen können sehr früh Abweichungen erkennen, obwohl man sie in alltäglichen Gesprächssituationen mit dem menschlichen Ohr noch nicht wahrnehmen kann. Wenn wir die genauen Muster erkennen, die sehr frühe Veränderungen in der Sprechmotorik aufzeigen, könnten wir die Krankheit deutlich früher diagnostizieren. Deswegen arbeiten ich und meine Kolleg*innen daran, sprachbasierte Biomarker für Parkinson zu identifizieren und von anderen neurodegenerativen Erkrankungen abzugrenzen.
Sie haben im Sommer einen Forschungspreis der Parkinson-Stiftung für diese Arbeit bekommen.
Wie kam es dazu? Wir sind auf eine Ausschreibung der Parkinson-Stiftung gestoßen und haben dann gemeinsam mit Kolleg*innen aus der Sprechtherapieforschung der Humanwissenschaftlichen Fakultät einen Antrag gestellt. Dieser therapeutische Aspekt ist in der Arbeitsgruppe »Brain Modulation and Speech Motor Control« noch nicht vertreten. Wir haben aber gar nicht mit Erfolg gerechnet, da das Projekt nicht sehr medizinisch ausgerichtet ist. Dann kam irgendwann ein Brief im Sekretariat an. Ich dachte erst, das sei ein Werbeflyer, aber dann stand da sinngemäß: »Herzlichen Glückwunsch, Ihr Antrag wurde bewilligt.« Ich habe ihn erst mal allen Kolleg*innen gezeigt und sie gefragt, ob da wirklich steht, was ich denke.
Ich habe mich vor allem gefreut, dass das Thema durch diese Zusage Wertschätzung erfährt. Sprechen ist im Alltag sehr wichtig. Wenn es nicht mehr geht, droht im Alter die soziale Isolation. Sprechdefizite sind immer ein Teil von neurodegenerativen Erkrankungen – in der Medizin weiß man das zwar, aber gleichzeitig wird viel zu wenig Sprechtherapie verschrieben. Ein weiteres Problem ist, dass Logopädie oft keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielen kann. Da braucht es einfach mehr Forschung.
Parkinson ist nicht heilbar. Kann eine Sprachanalyse also »nur« eine frühere Diagnose erzielen?
Heute können wir Parkinson zwar noch nicht heilen oder aufhalten, aber es gibt viel Forschung auf diesem Gebiet. Auch an unserem sprechbasierten Analyseverfahren arbeiten wir aktuell noch. Sobald entsprechende Wirkstoffe zur Verfügung stehen, könnten wir die Sprachanalyse in der Tat für eine frühere Diagnose einsetzen, sodass die Behandlung früher einsetzen kann.
Unser erstes Ziel ist es aber zu bestimmen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, um eine Sprechtherapie zu starten. Ab wann gibt es Veränderungen, die allgemein wahrnehmbar sind? Das wäre dann der richtige Zeitpunkt, um dem Patienten oder der Patientin Logopädie zu empfehlen. Außerdem wollen wir den motorischen Status tracken. Es gibt bei Patienten Zustände, in denen sie schlecht zugänglich und beweglich sind. Nach der Medikamenteneinnahme kann es ihnen wieder besser gehen. Über Sprache könnte man den guten oder schlechten Status zuhause verfolgen: Müssen die Medikamente angepasst werden, weil der Patient oder die Patientin ständig in einem schlechten Zustand ist? Die Sprachanalyse eröffnet also auch therapeutische Tools.
Darüber hinaus könnten wir ein solches Verfahren zur Abgrenzung gegenüber anderen neurodegenerativen Erkrankungen nutzen. Es gibt die Parkinson-Krankheit an sich, dann gibt es aber auch atypische Parkinson- Syndrome, die am Anfang ähnlich sind, sich jedoch deutlich schneller entwickeln. Und es gibt Demenzen, in die Patient*innen abbiegen können. Die Sprachanalyse könnte zukünftig zeigen: Wo kommt der Mensch her und in welche Richtung biegt er ab. Bei Ihrem Projekt kommt auch Künstliche Intelligenz zum Einsatz. Was ist das für ein Modell?
Wir stehen im Moment noch am Anfang. Wir werden im Projektverlauf Parameter entwickeln, um zu verstehen, durch welche Sprechmuster sich die Gruppen unterscheiden oder in welcher Phase der Krankheit sich der Patient oder die Patientin befindet. Die werden dann in ein größeres KI-Modell eingespeist. Zunächst soll aber das, was wir erheben, die klinische Realität widerspiegeln, wir werden die Erkenntnisse anhand klinischer Standards überprüfen. Es gibt beispielsweise Testungen, die die Grobmotorik erfassen. Der »Speech Biomarker Score«, an dem wir arbeiten, muss erst mal mit den etablierten klinischen Verfahren übereinstimmen: Bildet das, was wir messen, auch den klinischen »Goldstandard« ab, mit dem aktuell gearbeitet wird?
Im Moment sind wir noch in der Phase, in der die Ethikkommission der Medizinischen Fakultät über unseren Antrag entscheidet. Dann werden wir in Köln und Bonn, möglicherweise auch noch in anderen Zentren, die Studienteilnehmer*innen rekrutieren.
Haben Sie das Gefühl, in Ihrem Beruf angekommen zu sein oder möchten Sie in Zukunft noch etwas ganz anderes machen?
Ich wusste lange nicht, wohin mit mir. Nichts von dem, was ich bisher gemacht habe, war so geplant. Es hat sich tatsächlich alles irgendwie ergeben. Das Promotionsstipendium, die Postdoc-Gelder, der Forschungspreis. Ich denke, wenn man Spaß hat an dem, was man tut, dann überzeugt man auch andere. Ich wusste schon im Studium, dass die Sprachwissenschaft für mich nicht das eigentlich Interessante ist. Ich habe das Studium aber durchgezogen. Dabei war die Phonetik – ein ganz kleiner Bereich der Linguistik – das Einzige, was mich begeistert hat. Der Bereich, in dem ich jetzt arbeite, ist faszinierend und wenn ich kann, werde ich auf jeden Fall in der medizinischen Forschung bleiben.
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