skip to content

Moral lohnt sich

Professor Bernd Irlenbusch untersucht, wie sich Betrug in der Wirtschaft verhindern lässt

Mann steckt sich ein Bündel von 50-Euro-Scheinen in die Hemdtasche

Moralisches Verhalten in der Wirtschaft – manchem mag das nach den Nachrichten über den „Dieselgate“, den VW-Abgasskandal, wie ein Widerspruch in sich klingen. Wo Millionen auf dem Spiel stehen, lohnt sich da nicht die kleine moralische Fahrlässigkeit? Professor Dr. Bernd Irlenbusch vom Lehrstuhl für Corporate Development und Business Ethics verneint das. Denn unmoralisches Verhalten schaffe langfristig Wettbewerbsnachteile. In der von der DFG finanzierten Forschergruppe Design and Behavior erforscht er, was zu unmoralischem Verhalten führt. „Im Moment ist ein Umschwung des Pendels zu beobachten. Unternehmen scheinen zu erkennen, dass sie mit moralischen Standards besser fahren“, meint Irlenbusch. 

Als Martin Winterkorn im November 2014 vom Posten des Vorstandsvorsitzenden der VW AG zurücktreten musste, war noch nicht abzusehen, welcher Schaden entstanden war. Jetzt, ein Jahr nach Beginn des Abgasskandals, ist das Ende der Schadenersatzforderungen oder staatlichen Strafen noch nicht erreicht und der Imageschaden ist enorm. Wie konnte es dazu kommen, dass in großen Unternehmen, die über viele Instanzen der internen Kontrolle verfügen, Manipulationen dieser Art nicht auffallen, nicht verhindert oder geahndet werden? 

Professor Dr. Bernd Irlenbusch erforscht die Bedeutung der Ethik für wirtschaftliche Unternehmungen, er meint: „Langfristig ist es besser, wenn man sich an gewisse moralische Standards hält.“ Das hat zwei Gründe: Man steht einerseits beim Kunden, den Mitarbeitern und anderen Stakeholdern besser da, wenn man als moralisch gilt. Man verkauft sozusagen ein moralischeres Produkt und es gibt viele Kunden, die darauf achten, dass moralische Mindeststandards eingehalten werden. Das ist der Reputationseffekt. Der wirkt nicht nur gegenüber Kunden sondern auch gegenüber Mitarbeitern. Auch die sind inzwischen sehr sensibel geworden, für ein Unternehmen zu arbeiten, das moralischen Standards genügt. Andererseits werden die Gesetze immer schärfer, die zum Teil hohe Strafen einfordern. 

„Obwohl allgemeine Aussagen hier schwer zu treffen sind, lässt es diese Kombination aus Reputationsverlust und der Androhung von Strafen zweifelhaft erscheinen, ob man wirklich von unmoralischem Verhalten langfristige Vorteile hat“, so der Wissenschaftler. 

Der Fall Volkswagen

Irlenbusch nennt das Beispiel Volkswagen AG: „VW hatte das hohe Ziel, weltweit der Automobilhersteller Nr. 1 zu werden. Das wurde auch an die Mitarbeiter weitergegeben. Ziele und monetäre Anreize bestimmen Verhalten. Wenn aber Ziele unrealistisch oder sehr schwer zu erreichen, aber mit monetären Anreizen verknüpft sind, dann will man trotzdem das Ziel erreichen.“ Im Rahmen dieses Ziels wurde den Ingenieuren die Aufgabe gegeben, einen Motor zu entwickeln, der kostengünstig war und wenig Emissionen hatte, damit er auf dem amerikanischen Markt verkauft werden darf. Doch die Ingenieure stellten während ihrer Entwicklungen fest: Mit den Kostenvorgaben ist es unmöglich einen Motor zu produzieren, der die vorgegeben Emissionswerte einhält. Was war zu tun, wie konnte man das Ziel trotzdem erreichen? Der Ausweg über die manipulierende Software sicherte aus Perspektive des Unternehmens die Zielerreichung – doch zu dem Preis, dass man sich nicht mehr auf dem sicheren Boden der Legalität befand. „Schwer zu erreichende Ziele können dazu führen, dass Mitarbeiter sich nicht mehr anders zu helfen wissen, als unmoralisch zu handeln“, resümiert Irlenbusch. „Ziele und Boni spielen eine große Rolle bei unmoralischem Verhalten.“ 

Hinab auf der Rutsche der Unmoral

Das Beschönigen von Verbrauchs- und Abgaswerten hat bei allen Autofirmen eine lange Tradition. Das wurde mit besonderen Bedingungen beim Messen, wie dünne Reifen oder besondere Schmiermittel, gewährleistet. „Wenn man aus dieser Tradition kommt“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler, „dann erscheint es wie ein moralischer Graubereich, Software zu benutzen, um die Abgaswerte zu manipulieren. Das ist nur noch ein zusätzliches Mittel um es schöner darzustellen als es ist.“ Die Forscher nennen das Phänomen den Slippery Slope, die schiefe moralische Ebene. Mit kleinen Schritten rutscht man immer mehr ins Unmoralische. Das Fatale daran ist, dass man diese kleinen Schritte bei sich selbst und auch bei anderen schwer wahrnimmt: „Es ist ja nur ein wenig anders als das Verhalten, das ich gestern an den Tag gelegt habe. Und wenn es gestern okay war, dann ist das fast gleiche Verhalten heute doch wohl auch okay. Dieses Verhalten wird dann wiederum als moralischer Standard genommen, und man rutscht in kleinen Schritten immer tiefer herunter mit den moralischen Vorstellungen. Insgesamt ist man dann im Laufe der Zeit unbemerkt einen großen Schritt zu weit gegangen.“ 


Das moralische Konto

Ein weiterer Effekt, der unmoralisches Verhalten hervorruft, ist das sogenannte Moral Licensing. „Wenn Menschen denken, dass sie besonders moralisch sind, dann tendieren sie dazu zu glauben, dass sie sich auch mal etwas herausnehmen und etwas unmoralisch sein dürfen. Wenn man mit seinem moralischen Konto stark im Plus ist, dann darf man auch mal etwas abheben.“ Das könnte bei VW auch eine Rolle gespielt haben, glaubt Irlenbusch. „Im Nachhaltigkeitsbericht von 2015 beschreibt VW, was sie alles Gutes für die Umwelt tun. Das stimmt auch, sie haben sehr viel Wert auf Umweltschutz gelegt und haben immer versucht, weniger Emissionen zu produzieren.“ Der Konzern setzte sich das Ziel, bis 2018 der umweltfreundlichste Autokonzern der Welt zu sein. „Wenn man so verinnerlicht hat ‚Wir sind sehr gut im Umweltschutz‘, dann ist es auch plausibel, wenn die Ingenieure gedacht haben: ‚Wir sind so gut im Umweltschutz, da können wir uns jetzt in dieser Notlage auch mal etwas rausnehmen‘.“ 

Es gibt noch mehr Effekte. Zum Beispiel die Strategic Ignorance, die unter dem Motto „Manchmal will man Dinge gar nicht so genau wissen“ läuft. „Wenn ein Chef zum Beispiel sagt: ‚Ihr müsst das irgendwie hinkriegen. Ich möchte gar nicht genau wissen, wie ihr das macht. Hauptsache, ihr schafft es‘.“ Der Vorgesetzte fühlt sich nicht mehr verantwortlich, weil er offiziell nichts Genaues weiß; trotzdem hat er den Auftrag gegeben. Die Mitarbeiter hingegen haben einen Auftrag erhalten. „Das ist ein Wegdiffundieren der Verantwortung zwischen den Hierarchieebenen. Keiner fühlt sich mehr verantwortlich“, so der Forscher. 


Eimal Diktator mit Feigenblatt sein

Die Kölner Wissenschaftler untersuchen, unter welchen Bedingungen es Menschen gelingt, sich eher moralisch zu verhalten. Durch diese Analyse sollen systematische Rahmenbedingungen identifiziert werden, in denen es leichter fällt. Dafür konzipieren die Verhaltensökonomen Experimente, die typisches menschliches Verhalten simulieren. „Gerade untersuchen wir den Einfluss von Feigenblättern“, beschreibt Irlenbusch seine aktuellen Studien augenzwinkernd. Er und seine Kollegen nutzen im Experiment das sogenannte Diktatorspiel, in dem eine von zwei Personen der Diktator mimt. Der Diktator darf zehn Euro verteilen – entweder fünf Euro für jeden oder neun für sich selbst und einen Euro für den anderen. Das Spiel ist anonym. Das Ergebnis ist erst einmal erstaunlich: Zwei von drei Teilnehmern entscheiden sich für die faire Variante. 

„Wir haben nun untersucht, inwieweit Entschuldigungen – die Feigenblätter – das Verhalten der Menschen bestimmen. Um dem Diktator ein solches Feigenblatt zur Verfügung zu stellen, legten die Experimentatoren ihm eine Münze in die Kabine: auf der einen Seite stand 5:5, auf der anderen 9:1. Diese Münze konnte er zur Entscheidungsfindung werfen, musste aber nicht. „Sehr viele Teilnehmer haben danach gesagt, sie hätten die Münzen benutzt. Wir stellten fest, dass fast alle, die die Münze benutzt hatten, 9:1 gewählt haben. Aus statistischen Gründen kann ren. „Gerade untersuchen wir den Einfluss von Feigenblättern“, beschreibt Irlenbusch seine aktuellen Studien augenzwinkernd. Er und seine Kollegen nutzen im Experiment das sogenannte Diktatorspiel, in dem eine von zwei Personen der Diktator mimt. Der Diktator darf zehn Euro verteilen – entweder fünf Euro für jeden oder neun für sich selbst und einen Euro für den anderen. Das Spiel ist anonym. Das Ergebnis ist erst einmal erstaunlich: Zwei von drei Teilnehmern entscheiden sich für die faire Variante. „Wir haben nun untersucht, inwieweit Entschuldigungen – die Feigenblätter – das Verhalten der Menschen bestimmen. Um dem Diktator ein solches Feigenblatt zur Verfügung zu stellen, legten die Experimentatoren ihm eine Münze in die Kabine: auf der einen Seite stand 5:5, auf der anderen 9:1. Diese Münze konnte er zur Entscheidungsfindung werfen, musste aber nicht. „Sehr viele Teilnehmer haben danach gesagt, sie hätten die Münzen benutzt. Wir stellten fest, dass fast alle, die die Münze benutzt hatten, 9:1 gewählt haben. Aus statistischen Gründen kann dies nicht der Wahrheit entsprechen. Da müssten ungefähr gleich viele Entscheidungen für die eine oder die andere Wahl getroffen worden sein.“ 

Die Diktatoren benutzten also das Feigenblatt, um das Ergebnis zu manipulieren. dies nicht der Wahrheit entsprechen. Da müssten ungefähr gleich viele Entscheidungen für die eine oder die andere Wahl getroffen worden sein.“ Die Diktatoren benutzten also das Feigenblatt, um das Ergebnis zu manipulieren. „Die Möglichkeit, die Verantwortung für eine Entscheidung an jemand anderen oder etwas anderes zu delegieren, führt häufig zu unfairem Verhalten“, schließt Irlenbusch. 

Unternehmenskultur ändern

Wenn sie die Mechanismen kennen, sollten sich Manager überlegen, wie sie sie verhindern können. Beispiel Slippery Slope: Um das schrittweise Absinken zu verhindern, empfiehlt sich die Anwendung sehr strikter moralischer Regeln, bei denen schon kleine moralische Verstöße geahndet werden, so Irlenbusch. Beim Moral Licensing hingegen sei die Haltung „Wir sind sehr gut“ eher schädlich. „Ich denke die Haltung ‚Wir können noch besser werden‘ würde das Abheben vom moralischen Konto verringern.“ Überhaupt komme viel auf die Unternehmenskultur an, die auch viele soziale Normen umfasst. „Diese Verhaltensnormen sind oft verhaltensbestimmender als die eigenen moralischen Normen.“ 

Die Forschung über solche soziale Normen und wie man sie im Unternehmen verändert, stecke noch in den Kinderschuhen, so Irlenbusch. Aber eines sei wesentlich: „Man sollte sich bemühen, den Mitarbeitern klar zu machen: Wenn etwas Unmoralisches im Unternehmen passiert, dann ist das fast immer schädlich für das Unternehmen. Wenn die Mitarbeiter das verinnerlichen, besteht die Hoffnung, dass soziale Normen die Überhand gewinnen, die im Einklang mit den eigenen moralischen Normen stehen.“