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Homeoffice: Fluch oder Segen?

Studie: Mit Vertrauen und Ergebnisorientierung klappt es

Das Arbeiten in den eigenen vier Wänden hat Vor- ebenso wie Nachteile – das haben über zwei Jahre Pandemie bewiesen. Vieles ist im Alltag einfacher und flexibler, doch das kollegiale Miteinander leidet. Eine Kölner Studie zeigt nun: Wenn Vertrauen zwischen Führungskräften und Beschäftigten herrscht und Arbeit ergebnisorientiert bewertet wird, kann es gut klappen.

Von Robert Hahn


Im März 2020 wurden Schreibtische abgeschlossen, Topfpflanzen eingepackt und die Lichter im Büro ausgemacht: Deutschland begab sich ins Homeoffice. Wenn eine ganze Nation von einem Tag auf den anderen vom Schreibtisch im Büro zum Küchentisch daheim wechselt, ist das ein gemeinsames soziales Experiment von ungeheuren Ausmaßen. Die Medizinsoziologen Professor Dr. Holger Pfaff, Jana Neumann und Laura Seinsche vom Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR) an der Uni Köln haben 2020 und 2021 Mitarbeiter:innen in IT-Wirtschaft und Öffentlichem Dienst befragt: Wie erleben sie den drastischen Wandel ihrer Arbeitsumgebung? »Wir wussten: Jetzt ist die Zeit, in der wir die aktuelle Homeoffice-Situation erfassen müssen«, sagt Holger Pfaff. Zusammen mit seinen Mitarbeiterinnen machte er sich ans Werk. Ihr Ziel: eine Längsschnittstudie zum Thema Homeoffice und Präsenzkultur in Zeiten von COVID-19, die die Zusammenhänge von Homeoffice, Präsenzkultur und mentaler Gesundheit untersucht.

Zwei Sektoren, zwei Arbeitskulturen

Geschwindigkeit war Trumpf bei der Befragung: »Die Hoffnung war, noch während des ersten Lockdowns herauszufinden, ob sich das Thema Präsenzkultur in den Unternehmen ändert«, sagt der Medizinsoziologe. Für eine repräsentative Umfrage war da keine Zeit, deswegen griff Pfaff mit seinen Kolleginnen auf die Möglichkeiten von LinkedIn, Facebook und Instagram zurück und bat die User und Userinnen um Teilnahme an einer Umfrage. Gefragt waren Mitarbeiter:innen aus IT-Industrie und Öffentlichem Dienst, um zwei recht unterschiedliche Sektoren vergleichen zu können. Die IT-Industrie: Sie gilt als gut ausgestattet mit Kommunikationstechnik, hat eine moderne Organisationsund Führungskultur und kannte schon vor Corona in vielen Fällen das Homeoffice als Standard. Der Öffentliche Dienst: Er gilt als konservativ, statisch und schlecht ausgerüstet. »Als Sozialforscher sind wir angehalten solche Extremfälle zu untersuchen«, erklärt Pfaff. »Werden diese verschiedenen Arbeitskulturen einem Ereignis wie der Corona-Pandemie ausgesetzt und untersuchen wir die Auswirkungen dieses Ereignisses, sprechen wir in der Sozialforschung von einem natürlichen Experiment«. Nun, nach einem Jahr, haben sie die Befragung wiederholt, um Trends im Arbeitsleben zwischen Videokonferenz und Jogginghose zu ermitteln.

Die Ergebnisse der Studie zeigen ein gemischtes Bild. Pfaff zufolge gibt es Unterschiede zwischen den beiden Berufszweigen, diese seien aber nicht so stark ausgeprägt wie das Team zuvor gedacht hätte. Zuerst einmal bestätigte sich, dass Beschäftigte im Öffentlichen Dienst im Jahr 2020 über eine schlechte technische Ausstattung klagten. Weitere wichtige Themen waren für sie der Kontakt zu Kolleg:innen sowie Organisation und Führungskultur. Oft beklagten Beschäftigte in diesem Bereich das fehlende Vertrauen der Führungskräfte in ihre Mitarbeiter:innen im Homeoffice und eine bestehende Präsenzkultur. Dieses Thema trat im Bereich IT eher in den Hintergrund. Dort wünschte man sich vor allem mehr Präsenz: IT-Beschäftigte beklagten fehlenden persönlichen Kontakt an erster Stelle, bei der Befragung der Mitarbeitenden im Öffentlichen Dienst landete das Thema auf Platz zwei. Doch bei einem Thema waren sie sich einig: Die Kinderbetreuung und das Homeschooling landeten bei beiden Gruppen unter den Top-3 der Herausforderungen.

Vorteil Homeoffice: Gesundheit

Im Frühjahr 2021 wiederholten Jana Neumann und Laura Seinsche die Befragung mit einigen der Teilnehmer:innen. Die technischen Voraussetzungen im Öffentlichen Dienst hatten sich in der Zwischenzeit verbessert. Ein klares Ergebnis für beide Gruppen zeigte das Thema Gesundheit, so Pfaff: »Emotionale Erschöpfung kommt häufiger bei Menschen vor, bei denen in der Organisation ein starke Präsenzkultur gelebt wird.« Nach einem Jahr Pandemie zeigte sich, dass das so geblieben ist: Die Mehrheit der Befragten weise ein hohes Wohlbefinden in Bezug auf ihr Arbeitsleben auf, und auch beim Gesundheitszustand seien die Werte gut. So habe etwa die emotionale Erschöpfung im ITSektor signifikant abgenommen; im Öffentlichen Dienst sei sie hingegen eher gestiegen. »Das kann allerdings auch mit der Gesamtsituation von Corona und dem Lockdown im Jahr 2021 zusammenhängen, der die Menschen stark belastet hat«, sagt Laura Seinsche.

Ein negativer Trend zeige sich jedoch beim Verhalten der Mitarbeiter:innen im Krankheitsfall: Viele Befragte gaben an, dass sie sich im Homeoffice eher nicht krankmeldeten. Grund dafür ist zum Einen der wegfallende Arbeitsweg. Zum Anderen können aber auch – im Falle der Präsenz – Vorgesetzte eingreifen und kranke Mitarbeiter:innen nach Hause schicken, um der Führsorgepflicht nachzukommen. Im Homeoffice ist die soziale Kontrolle der Beschäftigten beschränkt, sodass auf ihre Eigenverantwortung gesetzt werden muss. In diesem Kontext könne die Präsenzkultur als Schutzfunktion vor »Präsentismus« im Homeoffice dienen. Die fehlende Sichtbarkeit der Beschäftigten könne dazu beitragen, dass im Krankheitsfall aus dem Homeoffice eher als in Präsenz gearbeitet wird.

Vorteil Präsenz: Problemlösung und Kreativität

Wenn sich Teams kaum noch persönlich begegnen dürfen, lassen sich Arbeitsaufträge und -ergebnisse zumeist auch in Videokonferenzen problemlos besprechen. Doch ein entscheidender Aspekt geht verloren: Sowohl auf der Führungsebene als auch unter den Beschäftigten setzt sich der IMVR-Studie zufolge die Erkenntnis durch, dass Kreativität oft nur zwischendurch, in Tür- und Angel-Gesprächen, stattfindet. Wenn diese wegfallen, können sie trotz aller zusätzlichen Werkzeuge nur unzureichend von Video-Plattformen ersetzt werden. »Diese Gespräche auf dem Flur oder nach einer Besprechung scheinen eine größere Funktion zu haben als wir bisher dachten. Wir müssen identifizieren, bei welcher Art von Arbeit man welche Kommunikation braucht«, erklärt Pfaff.

Schriftliche Kommunikation, Telefon, Videokonferenz, persönlicher Kontakt vor Ort – vier Stufen der Kommunikation in aufsteigender Komplexität. Wo braucht man den persönlichen Kontakt? Wo reicht die Videokonferenz oder das Telefon? Man muss sich ja nicht mehr bei jeder Arbeitsaufgabe persönlich treffen. Mit diesen Fragen wird sich das Team auch in Zukunft noch befassen. Die kommunikative Herausforderung zeigt sich auch in den Arbeitswünschen der Befragten, meint Laura Seinsche: »Die meisten Beschäftigten wünschen sich eine Hybridlösung. Die Sehnsucht nach den Kollegen, die Sehnsucht nach dem spontanen Austausch in der Teeküche wird immer wieder genannt, auch das spontane Problemlösen an der Kaffeemaschine. «

Für beide Berufsfelder sei auch das Thema Beruf und Familie weiterhin problematisch: Durch das Homeschooling sei eine Doppelbelastung für Eltern entstanden, die aufgefangen werden musste. Darüber hinaus verwischten die Grenzen zwischen Privatleben und Arbeitsleben. Während bei der Präsenzarbeit der Aufenthalt im Büro den Beginn und das Ende der Arbeit definiert, fällt vielen Beschäftigen die Trennung zwischen Freizeit und Arbeit im Home Office schwerer. Vor allem vor dem Hintergrund von Homeoffice und Homeschooling werde eher auf atypische oder fragmentierte Arbeitszeiten ausgewichen. Dies sei ein Risiko für die Gesundheit, denn der Feierabend oder das Wochenende werde als Erholungszeit gesehen, die dann wegfällt. Die Mehrheit der Befragten wünscht sich jedoch eine klare Trennung zwischen Arbeiten und Freizeit.

Nicht zuletzt haben die beiden Soziologinnen Anzeichen für eine Verdichtung der Arbeit gefunden: »Viele Meetings werden aneinandergereiht. Die Teilnehmer der Befragung müssen mehr Themen in kürzerer Zeit bearbeiten«, sagt Neumann. »Mehr Absprachen werden benötigt und die Kommunikation wird erschwert, da eben nicht immer alle vor Ort sind und die Absprachen zwischen Tür und Angel fehlen. Außerdem wird auch von dem Gefühl einer »ständigen Erreichbarkeit« berichtet, da man ja sowieso zu Hause ist«, so Neumann.

Ergebnisorientierung statt Anwesenheitskontrolle

Seit etwa fünf Jahren beschäftigen sich die Wissenschaftler:innen schon mit Fragen von Homeoffice- und Präsenzkultur, vor allem unter dem Aspekt der »Work-Life-Balance«. »In Deutschland findet man bei diesem Thema in Unternehmen immer wieder, dass die Mitarbeitenden Homeoffice-Angebote des Unternehmens nicht nutzen«, so Pfaff. »Sie haben schlicht Angst, dass der oder die Vorgesetzte das falsch interpretiert und denkt, dass sie nicht richtig arbeiten wollen.« Das Misstrauen seitens der Führungskräfte wurde deshalb von den Befragten als Grund genannt, wieso Homeoffice nicht schon vor der Pandemie angeboten wurde. Ergebnisorientierung ist den Forscher:innen zufolge ein Weg, dem entgegenzuwirken. Die weitgehende Normalisierung von Homeoffice im Zuge von Corona könne dazu führen, dass sich die Bewertung von Arbeit von »möglichst viel Sitzfleisch« im Büro hin zur guten Ergebnissen verschiebt – egal, wo diese erbracht wurden.

Durch die Pandemie mussten sowohl die IT-Wirtschaft als auch der Öffentlicher Dienst den Sprung ins Homeoffice wagen. Nun will das Kölner Forschungsteam herausfinden, welche Entwicklungen zeitlich begrenzt sind und welche zu langfristigen Veränderungen im Arbeitsleben führen. Deshalb ist eine abschließende Befragung nach der Pandemie geplant. Darin soll geklärt werden, welche Veränderungen auf den Druck durch die Pandemie zurückgehen und welche durch die Homeoffice-Situation entstehen. Holger Pfaff ist sich sicher: »Der persönliche Kontakt wird ein Dauerthema bleiben, ebenso die Frage des Selbstmanagements.« Homeoffice wird jedoch Teil des Arbeitslebens bleiben, davon ist der Medizinsoziologe überzeugt. Was dieser Initialzündung folgt, wird er mit seinem Team langfristig beobachten.