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Expedition ins unbekannte Tibesti

Stefan Kröpelin führt wissenschaftliche Erkundung des Sahara-Vulkans Emi Koussi im Tschad durch

Fels- und Wüstenlandschaft des Tibesti

Foto: Adam Polczyk

Dr. Kröpelin durchschreitet die Wüste

Die Kölner Tibesti-Expedition ist wieder aus dem Tschad zurück. In einer der einsamsten Gegenden der Welt, auf dem höchsten Berg der Sahara, ist es Stefan Kröpelin gelungen, Sedimentproben zu nehmen. Von ihrer Basis in der Wüstenoase Bardai aus erforschten Wissenschaftler die Vulkane des „Trou au Natron“ und des „Emi Koussi“ im Tschad. Die Proben sollen den Wissenschaftlern klimageschichtliche Daten innerhalb des SFB 806 „Our Way to Europe“ liefern, der den Weg und die Umwelt des Homo sapiens von seinen Ursprüngen in Afrika bis nach Europa nachzeichnet. Die Expedition rückt das wissenschaftlich weitgehend unerforschte Tibesti wieder ins Licht der Wissenschaft. 

Der Mann steht auf dem höchsten Berg der Sahara, mitten in der größten Wüste der Welt und freut sich. Stefan Kröpelin hat sich ein lang gehegtes Forschungsanliegen erfüllt: „Schon als ich als Student vom Tibesti, diesem kaum erforschten Gebirge, gehört hatte, wollte ich dahin. Aber es ging nicht, es war aufgrund der Sicherheitslage unzugänglich“, erzählt der Wüstenforscher. Seit 45 Jahren ist er nun in der Sahara unterwegs – 45 Jahre hat es gebraucht, um seinen Forschungsdrang zu erfüllen. Jetzt ist er hier und wuselt agil durch die Felsenlandschaft am Emi Koussi, nimmt Proben und macht Fotos. Drei Wochen hat der Weg hierhin gedauert: Köln, Paris, N’Djamena, die Wüstenoase Bardai. Dort begann die Expedition.

Seit drei Tagen zieht die Kamelkarawane nun durch die Felsenwüste den Berg hinauf. Elf Tiere, sechs Forscher und acht einheimische Begleiter streben mühsam dem Kraterrand des 3445 Meter hohen Vulkans entgegen. Es herrschen bis 40 Grad Celsius und der Himmel über der Wüste zeigt sich in seinem schmutzigsten Wüstengrau. Heiße Wüstenwinde haben den Staub der Sahara bis in hohe Luftschichten getragen, die Sonne brennt wie durch einen dicken Dunst. 

Mal ist Kröpelin an der Spitze des Zuges, mal fotografiert er die Landschaft und ihre Einzelheiten. Dann muss er sich beeilen, die Kollegen wieder einzuholen. Es ist seit Jahrzehnten die erste wissenschaftliche Expedition, die hier forscht, alles muss aufgenommen werden. 

AUF DEN SPUREN DER FRÜHEN MENSCHEN 

Das Tibesti – das ist eines der einsamsten Gebirge der Welt. 1000 Kilometer Luftlinie und 1700 Fahrkilometer von N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad entfernt, erhebt sich die vulkanische Kraterlandschaft rau und ungezähmt in die Höhe. Über 100.000 Quadratkilometer erstreckt sich das Gebirge – dreimal so groß wie die Schweiz. 50 Kilometer müssen die Expeditionsmitglieder bis zum Krater laufen. Rot und beige ist der Fels um sie hier, der Felsboden von Riefen durchzogen. 

Die Expedition folgt einem Wadi, das sich an der Bergflanke emporzieht, bizarre Felsformationen säumen den Weg, bilden Türme und Kastelle aus rotem Vulkangestein. Morgen wollen die Forscher und ihre einheimischen Führer vom Volk der Tubu den Kraterrand des Emi Koussi erreicht haben. Kröpelin will im Inneren des tiefsten Kraters Proben nehmen, Sedimente ehemaliger Seen, die die Senken ausfüllten. Bis jetzt hat noch kein Wissenschaftler die Diatomite in diesem Krater, Ablagerungen von Kieselalgen, untersucht. Sie sollen Hinweise auf das frühere Klima der Sahara geben. „An den Ablagerungen kann man schon mit bloßem Auge Schichtungen erkennen. Da sind fossile Pflanzenreste und Schneckengehäuse drin“, erklärt der Wissenschaftler. 

TEAM AUS EXPERTEN 

Die Mitglieder der Expedition decken verschiedene Fachgebiete ab. Frank Darius ist Botaniker und hat mit dem Geologen schon in der Ost- und in der Westsahara zusammengearbeitet. Seit vielen Jahren forscht er in Ägypten und Libyen. Er ist Experte für extreme Lebensräume. „Dort wo es besonders trocken und schwierig für die Pflanzen wird“, sagt er. 

Die Pflanzen, die der Botaniker zusammen mit seinem Kollegen Ahmed Saadallah aus Kairo findet, sind Relikte aus den verschiedensten Epochen. Die Flora der Feuchtzeiten und Trockenzeiten der Sahara hat hier in den Schluchten überdauert. Wichtig ist dem Wissenschaftler das Ökosystem, das er beobachten kann. Was wächst mit wem zusammen oder nicht? Dabei ist auch der Zoologe Saadallah gefragt, dessen Hauptaugenmerk auf der Vogelwelt des Tibesti liegt. Jan Kuper von der Uni Köln und Peter Schönfeld aus Bonn sind zwei jüngere Archäologen. 

Ihr Augenmerk gilt den Besiedlungsspuren, die es hier zuhauf gibt, wenn man den kundigen Blick hat: Tonscherben, hier und da Steinabschläge aus der Altsteinzeit. Charakteristische Steinabschläge des sogenannten Levallois-Konzeptes lassen darauf schließen. Bis vor 115.000 Jahren dauert das. Doch auch eine spätere Besiedlung des Gebirges ist belegt. Spätestens in der heutigen Warmzeit, vor etwa 11.000 Jahren, kamen die nächsten Siedler. Sie waren es, die die faszinierenden Felsbilder hinterließen: Wildtiere wie Giraffen, Elefanten, Strauße, dann auch Haustiere: Rinder, Pferde, später auch das Kamel. 

RELIKTE AUS JAHRTAUSENDEN 

In der Mitte des Aufstieges wird es für die Archäologen plötzlich besonders spannend. Ein Tierpfad kreuzt den Weg – aber keiner von Wildtieren. „Rinder“, meint Stefan Kröpelin. Kleine Trittmulden im harten vulkanischen Ignimbrit-Gestein weisen auf Hufe hin. Hunderte, Tausende von Jahren müssen hier Rinderherden die Bergflanken hinauf und hinab getrieben worden sein. Dort wo es steil hoch geht finden die Forscher Stufen im Fels. Sind sie natürlichen Ursprungs? Oder haben Menschen sie eingeschlagen? „Wenn das ein Rinderpfad ist, dann waren es die Hirten“, schließt Kröpelin. 

Mitten in der Gruppe kämpft sich Adam Polczyk den Berg empor. Er hat eine zusätzliche Last zu tragen: die Kameraausrüstung. Der 34-jährige Kameramann ist studierter Geograph und Archäologe. Er soll die Unternehmung und ihre ersten Ergebnisse mit Video- und Fotokamera dokumentieren. Polczyk ist zum ersten Mal in einer Wüste. „Und dann gleich am einsamsten Ort der Sahara“, stellt er befriedigt fest und grinst. Rings umher gibt es nur Stille, die knorrige Landschaft und den Himmel darüber. „Man hat den Eindruck, man sei im Nichts.“ 

DAS „TROU AU NATRON“ 

Weiter geht es den Berg hinauf. Kröpelin ist für die Kommunikation mit dem Hauptführer Mahedi zuständig. „Mit ihm haben wir großes Glück“, sagt Kröpelin. „Das ist ein sehr angenehmer, gebildeter Mann aus einer Kamelzüchterfamilie vom Fuß des Emi Kousssi, der außer den beiden Tubu-Sprachen Tedaga und Dazaga auch Arabisch und Französisch spricht.“ Für jeden Expeditionsteilnehmer sind knapp drei Liter Wasser pro Tag eingeplant – eine enge Kalkulation, doch mehr können die Kamele nicht transportieren. Ohne sie ginge hier nichts. Mit trittsicherem Gang transportieren sie willig die großen Lasten über den mit faustgroßen Steinen bedeckten Hang des Emi Koussi. Sie sind gutmütig und folgsam. 

Ganz anders als die Esel, die die Gruppe auf dem ersten Abschnitt der Expedition vor zwei Wochen begleiteten. Auf dem Weg ins „Trou au Natron“, dem „Salzloch“ von 5 Kilometern Durchmesser im Nordwesten des Tibesti. 850 Meter fiel dort die Caldera steil nach unten ab. Die Treiber hatten Mühe, die Grautiere zum Abstieg zu bewegen, und das schwierigste Stück mussten die Forscher die Ausrüstung selbst tragen. 

Eine Meter dicke Schicht aus Natronsalzen bedeckte den Grund des dortigen Vulkankraters. „Ein Hinweis auf jüngere Salzausfällungen“, so Kröpelin. „Aber die Diatomite, die wir viel weiter oben am Hang gefunden haben, belegen, dass es hier früher tiefe Süßwasserseen gab.“ Überhaupt war es hier zu Zeiten viel feuchter. Bis vor 5000 Jahren tummelten sich Giraffen und Nashörner in den Ebenen und Tälern, die Menschen hielten sich Rinder. Nun liegt eine extreme Dürre auf dem Land. Immer wieder hat die Expedition in den letzten Wochen die verlassenen Dörfer und Steinbauten der letzten Bewohner passiert, die wegen der anhaltenden Trockenheit aufgegeben wurden. 

DIE STILLE DER WÜSTE 

Es ist gegen sechs Uhr abends als Kröpelin das Lager am Emi Koussi aufschlagen lässt. Ein warmes Essen und heißer Tee bauen die Expeditionsteilnehmer wieder auf – nachts wird es bis zu minus sieben Grad kalt. 2254 Meter Höhe zeigt das GPS an. Weshalb tun sich die Männer die Mühen an? „Echte weiße Flecken auf der Landkarte gibt es natürlich nicht mehr, aber Satellitenfotos zeigen weder die Ablagerungen einstiger Flüsse und Seen noch prähistorische Fundplätze oder Höhlenmalereien“s, sagt Kröpelin als die Männer auf Bastmatten um das kleine Feuer sitzen. „Da muss man immer noch selber nachschauen.“ 

Die Nacht kommt schnell in diesen südlichen Gefilden, steil senkt sich die Sonne zum Horizont. Jeder sucht sich eine Stelle, wo er seinen Schlafsack ausbreiten kann. Dabei meiden sie die Nähe von Klüften und Rissen im Gestein, denn dort verstecken sich Skorpione und Schlangen. Erst gestern hat der einheimische Führer Mahedi eine Hornviper erschlagen, eine der giftigsten Schlangen der Welt. Gegen ihren Biss gibt es hier draußen kein Gegengift. Wer gebissen wird, stirbt. So wie die kleine Tochter Mahedis. 

Mit der Nacht zieht die große Stille der Wüste in das Camp ein. Man hört das leiseste Geräusch. „Es ist so still, man hört seine Knochen“, flüstert Kröpelin. Nachts wachen die Männer erstaunt auf. Es regnet. Feine Wassertropfen benässen die verstaubten Gesichter. 

IM KRATER

Am nächsten Tag stehen die Wissenschaftler kurz vor Mittag endlich auf dem Rand des Kraters. Es folgt ein Abstieg, der manchen schwindelig macht: Zwischen Felsblöcken schlängelnd, auf einem Pfad, den nur der Führer erkennt, steigen, trippeln und klettern die Expeditionsmitglieder herab. Nun folgt ein weiterer Tagesmarsch bis zum Era Kohor. 300 Meter geht es dort noch einmal steil hinab. Auf halber Höhe finden die Wissenschaftler, was Kröpelin vermutet hatte: Diatomite. Allerdings stehen die Kieselgurablagerungen diesmal nicht als einzelne Sedimentklötze wie im Trou au Natron. Kröpelin und Kuper müssen die Proben aus mehreren versetzten Abtragungsresten auf den Flanken des Kraters heraussägen und zusammenfügen. 

Die Fundorte werden per GPS festgehalten und die Proben nummeriert und in Kisten verpackt. Damit hat die Expedition ihren Auftrag erfüllt. Am nächsten Tag geht es zurück: durch die Wüste, aus dem Krater, im wilden Tibesti.

CHANCE FÜR DIE KÖLNER SAHARAFORSCHUNG 

Vier Wochen später und 10.000 Kilometer entfernt sitzt Stefan Kröpelin in seinem Büro und ist zufrieden mit den Ergebnissen der Expedition. Der deutsche Wissenschaftler ist dankbar, dass er von der tschadischen Regierung, den offiziellen Vertretern vor Ort und den Bewohnern des Tibesti vom Volk der Tubu bei seiner Arbeit tatkräftig unterstützt wurde. Von N’Djamena gab es sogar einen Gratisflug nach Bardai mit einer Militärmaschine, die der Präsident zur Verfügung stellte. Die Kosten für ein viertes Fahrzeug und die Hotels in N’Djamena wurden ebenfalls übernommen. 

Es sind gewachsene Beziehungen und Freundschaften von Stefan Kröpelin, die Vertrauen in der Zusammenarbeit schaffen. Wie vor allem zu Dr. Baba Mallaye, dem Direktor des tschadischen Welterbe-Komitees, der sich als guter Freund erwiesen hat. Kröpelin möchte die intensive Unterstützung durch die Tschader auch dazu nutzen, um für die Aufnahme des Tibesti in die Welterbeliste der UNESCO zu werben: „Das ist eine einmalige Kraterlandschaft mitten im Nirgendwo, die geologisch, archäologisch, ökologisch und ethnologisch von herausragender Bedeutung ist“, so der Wüstenforscher. 

Wissenschaftlich ist das Wüstengebirge ein Schatz für den Kölner Forscher: „Der Tschad ist momentan der einzige stabile Staat in der Region. Nur die Uni Köln betreibt noch Sahara- Forschung in Deutschland, ja, in der Welt“, sagt der Forscher. Für diese Chance will er kämpfen. Vielleicht kann in Bardai sogar eine Forschungsstation eingerichtet werden. 

Einen Sieg hat der Wüstenforscher jedenfalls schon errungen: „Das wichtigste ist, dass es alle heil überstanden haben.“ Oder fast. Bei einem Abschiedsessen in N’Djamena hat es Kröpelin dann doch erwischt – Lebensmittelvergiftung. Den Heimflug hat er über Air France-Spucktüten gebeugt verbracht. Er muss lachen. „Das ist der Preis, den ich gerne für die gelungene Forschungsmission bezahlt habe.“