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Wenn, dann ...

Die Wahl des nächsten US-Präsidenten wird entscheiden, welchen Weg das Land einschlägt. Die Redaktion hat nachgefragt, wie unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diesen Weg bei einem Wahlsieg Trumps und bei einem Wahlsieg Bidens einschätzen. Und was sie «trotz allem» an den USA lieben, schätzen oder mögen. Es antworten Dr. Barbara Lüthi, Professorin Dr. Anke Ortlepp und PD Dr. Olaf Stieglitz von der Abteilung Nordamerikanische Geschichte des Historischen Instituts.

Antworten von Dr. Barbara Lüthi

Wenn Trump die Wahl gewinnt, dann…
...wird der systemische Rassismus und die «white supremacy»  nicht nur weiterbestehen, sondern mit der rhetorischen und institutionellen Unterstützung von Donald Trump in aller Öffentlichkeit noch stärker legitimiert werden. Das wird auch vermehrt gewalthafte Auswirkungen haben. Während systemischer Rassismus die Verbreitung von rassischer Diskriminierung fördert, verweist weiße Suprematie auf den Nexus der Macht, der dieses System schützt und umsetzt.

Zwar gibt es jedes Mal einen Aufschrei und intensive Diskussionen, wenn das rassistische Wertesystem exponiert wird (wie in den unzähligen Fällen der Polizeigewalt gegen schwarze Menschen). Doch die USA hat den systemischen Rassismus aus historischer Sicht nie wirklich überwunden: Als die Sklaverei im 19. Jahrhundert abgeschafft wurde, wurde umgehend das «peonage system» (eine Form der Schuldknechtschaft) und Masseninhaftierungen («prison industrial complex») eingeführt. Die Bürgerrechte, die nun auch schwarze Amerikaner genossen, wurden sofort wieder eingeschränkt. Das Land schaffte im 20. Jahrhundert «de jure»-Segregation ab, aber erhielt «de facto» die Segregation in Schulen, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt aufrecht. Und kaum wurden Affirmative Action-Programme zugunsten weniger privilegierter Menschen eingeführt, wurden diese zugleich kritisiert und (auch) unter Trump für nichtig erklärt.

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Photo: pexels.com

Trump hat mit unzähligen seiner Aussagen und Handlungen deutlich gemacht, dass physische, strukturelle, sexuelle und andere Formen der Gewalt gegen Minoritäten für ihn ein legitimes Mittel darstellen. Dadurch erhalten offene und versteckte Gewaltformen – gerade auch gegenüber Frauen und people of color – öffentliche Akzeptanz. Der Journalist Jared Yates Sexton und weitere Journalisten sprechen in Trumps Fall von einer «toxic masculinity»: «He is the epitome of a bullying but frail brand of masculinity – Er ist der Inbegriff einer schikanösen und zugleich labilen Art von Männlichkeit». Sie drückt sich aus in seinem machistischen Habitus, seiner Einteilung der Welt in «Gewinner und Verlierer» und einem Mangel an Empathie für alle außer sich selbst. Ein Mann, der seiner Empörung über politische Statements von schwarzen Footballspielern, aber nicht über Neonazis oder Polizeigewalt Ausdruck verleiht.

Auch innen- und außenpolitisch wird Trump seinen bereits eingeschlagenen Pfad weiterverfolgen: Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen, Nicht-Einhaltung der «Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty» (von seinem Parteigenossen Ronald Reagan in den 1980er Jahren verhandelt), der Rückzug von den «Open Skies»-Abkommen zur Rüstungskontrolle und der Rückzug aus den Pariser Klimaabkommen. Das alles spiegelt seine Wissenschaftsfeindlichkeit und den blinden Glauben in die Unfehlbarkeit der Märkte und wirtschaftlichen Eliten wieder.

Vor allem braucht es eine Bereitschaft und Zugeständnis der weißen Bevölkerung, ihre systeminhärenten Privilegien anzuerkennen

Dr. Barbara Lüthi, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Nordamerikanische Geschichte

Wenn Biden die Wahl gewinnt, dann...
...wird er zunächst mit den Dämonen der Gegenwart und dem erdrückenden Erbe von Trump beschäftigt sein. Erstens hat Trump bereits mehrfach – angesichts zunehmender Ungunst für seine Wahl – klare Drohungen ausgesprochen: dass eine Wahl, die ihn nicht zum Sieger ernennt, per Definition eine gefälschte Wahl wäre und dass sein Team alle Rechtsmittel anwenden soll, um die Wahl zugunsten von Biden als ungültig zu erklären. Mit seiner angedrohten Weigerung, einen friedlichen Transfer der Macht zu garantieren, drückt Trump indirekt aus, dass die Menschen ihn entweder wiederwählen oder seinen Machterhalt «mit anderen Mitteln» dulden sollen.

Sein Aufruf an seine Anhänger, die Wahllokale zu überwachen, hat seitens der Demokraten und Stimmrechtsbeobachter die Befürchtung ausgelöst, dass es zu Störungsversuchen bei den Wahlen vor allem in den «key states» kommen wird, in denen die Mehrheit mal an die Republikaner, mal an die Demokratien geht. Folglich könnte es Monate dauern, bis die Wahl von Biden von den Gegnern überhaupt akzeptiert würde.

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Photo: pexels.com

Wäre diese Hürde erst einmal überwunden, wäre Biden zweitens mit mehreren sich überlagernden Krisen konfrontiert: Kurzfristig mit den Folgen der (von Trump weitgehend vernachlässigten) COVID-Pandemie, die auch eine «rassifizierte» Dimension aufzeigt. Denn Schwarze sind von COVID-19 deutlich mehr betroffen als alle anderen Bevölkerungsgruppen im Land. Ebenso sind sie stärker von der Wirtschaftskrise betroffen, da mittlerweile ca. 40 Prozent der Geringverdienenden  bereits ihre Arbeit verloren haben.   

Drittens gibt es eine wichtige politische Dimension, die sich seit Trumps Wahl und gegenwärtig in seinem rassistischen Wahlkampf widerspiegelt: Während auch die vorhergehenden Präsidenten (inklusive Obama) die Situation der Schwarzen kaum verbessern konnten, hat Trump Rassismus öffentlich wieder salonfähig gemacht.

Daraus folgt, dass Biden und sein Team – wie alle Politiker*innen und Bürger*innen im Land – auf mehreren Ebenen gefordert wären. Vor allem braucht es eine Bereitschaft und Zugeständnis der weißen Bevölkerung, ihre systeminhärenten Privilegien anzuerkennen, infrage zu stellen und über mögliche Strategien der materiellen Umverteilung – etwa im Sinne von Arbeits- oder Bildungsprogrammen für benachteiligten Bevölkerungsgruppen – nachzudenken und diese einzuleiten.

Je mehr sich die problematischen Seiten von Trumps Regierung zeigen, desto intensiver formieren sich soziale Bewegungen und politische wie auch künstlerische Initiativen, die mit Vorschlägen gegen Sexismus, Rassismus und andere Diskriminierungen aufkommen.

Dr. Barbara Lüthi

Ich mag die USA und finde sie interessant weil...
... die Geschichte der USA gerade von ihrer ethnischen und religiösen Diversität lebt – auch wenn gegenwärtig Fragen von race, whiteness und (reale wie auch drohende) Gewaltanwendungen die Medien im Vorfeld der Wahl dominieren. Das Land hat eine enorm reiche und spannende Migrationsgeschichte und ist ein Anziehungspunkt auch für viele Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt. Damit schaffen die USA es immer wieder, eine Vielfalt an regionalen Unterschieden sowie Menschen mit den unterschiedlichsten nationalen und religiösen Hintergründen einzugliedern.

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Photo: pexels.com

Auch für die Gegenwart gilt: Je mehr sich die problematischen Seiten von Trumps Regierung zeigen, desto intensiver formieren sich soziale Bewegungen und politische wie auch künstlerische Initiativen, die mit Vorschlägen gegen Sexismus, Rassismus und andere Diskriminierungen aufkommen. «Black Lives Matter» ist gegenwärtig nur der sichtbarste Ausdruck davon. Historisch gesehen haben viele wichtige gesellschaftskritischen Emanzipationsbewegungen in den USA – wie die Civil Rights Movement und Black Power, die Frauen- und LGBT-Bewegung –  früh eine kreative Entfaltung und eine globale Adaption erlebt.

Politik ist somit nicht nur auf Trump, seine Entourage oder die politischen Parteien zu beschränken, sondern kann auch dort gefunden werden, wo Menschen elitäre Praktiken und Hierarchien über Proteste, Kampagnen und andere alternative Wege aufzubrechen und zu hinterfragen versuchen. Sich mit diesen sozialen Bewegungen und deren Ideen und Praktiken immer wieder auseinanderzusetzen, finde ich als Historikerin gewinnbringend – auch für aktuelle gesellschaftliche Fragen.

Über die Autorin

Dr. Barbara Lüthi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Nordamerikanische Geschichte des Historischen Instituts. Sie promovierte an der Universität Basel zur «Medizin und Immigration in den USA (1880 - 1920)» und erforscht unter anderem die Geschichte Migration und der Bürgerrechtsbewegungen in den U.S.A.

Antworten von PD Dr. Olaf Stieglitz

Wenn Trump die Wahl gewinnt, dann…
…bedeutet dies nicht zuletzt den Triumph eines Typus Mann, den die Sozial- und Kulturwissenschaften seit einiger Zeit mit dem Etikett „toxisch“ versehen haben, eine weiße, rassistische, sexistische, aggressive Männlichkeit des „Das-muss-man-doch-noch-sagen-dürfens“ und des „Sich-nehmens-was-einem-zusteht“. Man hatte gehofft, eine solche Männlichkeit sei in den letzten Dekaden zunehmend dysfunktional geworden, dass heutzutage auch Kompetenzen wie Teamgeist, Empathie oder Lernbereitschaft das Bild eines veränderten männlichen Rollenverständnisses prägten.

Ein Wahlsieg Donald Trumps hätte zur Konsequenz, dass all diejenigen, die sich eine weniger ‚toxische‘, weniger hierarchische, weniger gewalttätige Gesellschafts- und Geschlechterordnung erhoffen, ihre ohnehin schon großen Anstrengungen noch intensivieren müssten.

PD Dr. Olaf Stieglitz, Nordamerikanische Geschichte

Doch die #MeToo-Bewegung (dankenswerterweise) und Politiker vom Schlage eines Donald Trump – der in seiner Art keineswegs allein ist – haben uns gezeigt, dass eine solche Form hegemonial-männlicher Identitätspolitik nach wie vor für viele attraktiv ist. Männern, die sich vermeintlich „abgehängt“ oder „aussortiert“ fühlen, verspricht sie doch andauernde Stabilität und Macht in Zeiten beschleunigten Wandels. Ein Wahlsieg Donald Trumps hätte zur Konsequenz, dass all diejenigen, die sich eine weniger „toxische“, weniger hierarchische, weniger gewalttätige Gesellschafts- und Geschlechterordnung erhoffen, ihre ohnehin schon großen Anstrengungen noch intensivieren müssten.

Die eigentlichen politischen Zukunftsaufgaben liegen weit jenseits der Abwahl Donald Trumps – struktureller Rassismus und Sexismus, Waffengewalt, Klimawandel, Gesundheitssystem und vieles mehr.

PD Dr. Olaf Stieglitz

Wenn Biden die Wahl gewinnt, dann…
…ist wieder ein „alter weißer Mann“ US-Präsident, dann ist nicht nur wieder ein demografischer Trend ignoriert, sondern auch ein politisches Momentum vertan worden. Man wünschte sich, die Demokratische Partei hätte mehr Mut bewiesen und ein programmatisches, zukunftsorientiertes Signal gesetzt. Leider verlässt man sich aus Furcht vor einer Niederlage und den Sozialismusvorwürfen der Republikanischen Partei auf das wenig inspirierende Duo Biden / Harris.

expand: Black Lifes Matter - Proteste in New York
Photo: pexels.com

Die eigentlichen politischen Zukunftsaufgaben liegen weit jenseits der Abwahl Donald Trumps – struktureller Rassismus und Sexismus, Waffengewalt, Klimawandel, Gesundheitssystem und vieles mehr. Letztendlich wäre es an der Zeit, über grundlegende politische Reformen nachzudenken, wozu in einer Präsidentschaft Joe Bidens jedoch kaum Anstöße zu erwarten sind.



Ich mag die USA und finde sie interessant weil…
…sie hierzulande (und auch anderswo) immer wieder so emotionsgeladene Debatten auslösen, die mindestens so viel über „unsere“ Gesellschaft und Kultur verraten wie über die der USA. Es ist ein bizarrer Mix aus Bewunderung und Orientierungswillen einerseits, gepaart mit gleichzeitiger Verachtung, Schadenfreude – gegenwärtig sogar Mitleid – andererseits. All das häufig zugespitzt auf die Rolle und die Person „des Präsidenten“, in dem sich diese Wahrnehmungen, Hoffnungen, Sorgen bündeln. Als Historiker und Kulturwissenschaftler „spiele“ ich mit dieser emotionalen Zuspitzung, um letztlich ein komplexeres, ambivalentes Bild der Vereinigten Staaten zu zeichnen, das weniger das politische Zentrum in Washington mit seinem Rhythmus der Wahlen in den Blick nimmt, sondern die Ränder von Gesellschaft und Kultur, an denen über die Bedeutung von „Amerika“ gerungen wird.

Über den Autor

PD Dr. Olaf Stieglitz lehrt in der Abteilung für Nordamerikanische Geschichte des Historischen Instituts. Er promovierte an der Universität Hamburg in Mittlerer und Neuerer Geschichte. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt unter anderem die Geschichte der Männlichkeit.

Antworten von Professorin Dr. Anke Ortlepp

Wenn Trump die Wahl gewinnt, dann…
... wird sich das Auseinanderdriften der amerikanischen Gesellschaft fortsetzen. Trump ist ein Spalter, kein Präsident, der die Menschen zusammenbringt. Er hat vor allem die Verfolgung seiner eigenen Interessen im Sinn. Dabei geht es um sein Ego und seinen Machterhalt. Wie es seinen Mitmenschen in Krisenzeiten geht, interessiert ihn nicht. Das zeigt sein Agieren während der Corona-Pandemie. Seine Regierung hat es versäumt, das Vorgehen und die Gesundheit der Amerikaner*innen an erste Stelle zu setzen. Deshalb sind bereits Hunderttausende gestorben.

Trump ist ein Spalter, kein Präsident, der die Menschen zusammenbringt.

Professorin Dr. Anke Ortlepp

Diese Politik wird sich fortsetzen. Trump wird auch seine internationale Politik des Unilateralismus fortsetzen und die Verbündeten seines Landes weiterhin vor den Kopf stoßen, um die Interessen seines Landes durchzusetzen und vor allem das Wirtschaftswachstum im Land anzukurbeln. Eine Wiederwahl wird zudem das politische System an seine Grenzen bringen. Trump hat die Macht der Exekutive im System der Gewaltenteilung stark ausgebaut und verhält sich zunehmend autokratisch. Ich sehe die Demokratie in den USA ernsthaft in Gefahr.

Wenn Biden die Wahl gewinnt, dann...
... wird über Nacht nicht alles anders. Aber ein Präsident Biden würde einen anderen, versöhnlichen Ton anschlagen als Regierungschef einer gespaltenen Nation. Empathie war schon immer seine Stärke. Die wird er einsetzen können, um auch die Menschen für sich und seine Agenda zu gewinnen, die ihn nicht wählen werden. Biden wird auch sicherlich einen anderen Regierungsstil wählen als Trump. Als ehemaliger Vizepräsident und langjähriger Senator bringt er Arbeitserfahrung in Exekutive und Legislative mit und wird sicher sehr darum bemüht sein, die Zusammenarbeit zwischen Weißem Haus und Congress wieder zu stärken. Dabei wird er auch auf die Republikaner zu gehen.

Biden wird auf Dialog setzen, im heimischen Politikbetrieb, mit seinen Mitbürger*innen, aber auch internationalen Verbündeten.

Professorin Dr. Anke Ortlepp, Nordamerikanische Geschichte

Im Vergleich: Trump hat seit mehr als einem Jahr nicht mehr mit Nancy Pelosi, der Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, gesprochen. Biden wird auf Dialog setzen, im heimischen Politikbetrieb, mit seinen Mitbürger*innen, aber auch internationalen Verbündeten. Vor allem wird er schnell andere Akzente in der Bekämpfung der Corona-Pandemie setzen. Und sich - wie er es ja bereits während des Wahlkampfs tut - deeskalierend in Debatten um Rassismus und Polizeigewalt einmischen.

Ich liebe die USA, weil...
... ich in den zehn Jahren, die ich insgesamt in diesem Land gelebt habe, wunderbare Menschen kennengelernt habe. Ich bin zudem ein großer Fan amerikanischer Kulturlandschaften und wünsche mir sehr, bald wieder in die USA reisen zu können.

Über die Autorin

Anke Ortlepp ist Professorin für Nordamerikanische Geschichte am Historischen Institut der Universität zu Köln. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die amerikanische Kulturgeschichte, Geschichte von Reisen und Tourismus, Gender-Geschichte, Urbanismus, Raum und Geschichte, History of Things sowie Material Culture Studies.