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„Steuervereinfachung ist eine schwierige Angelegenheit“

Die Steuerexpertin Johanna Hey erzählt, warum sich im Steuerrecht die gesamte Lebenswirklichkeit widerspiegelt



Für die meisten Menschen ist das Thema „Steuern“ eine trockene Materie. Dabei erfasst das Steuerrecht alle Lebensbereiche. Johanna Hey, Professorin für Steuerrecht an der Universität zu Köln, gibt Einblick in die wichtigsten Aspekte des Steuerrechts.

Den meisten Menschen graut es vor der jährlichen Steuererklärung. Woher kommt Ihr Interesse für das Steuerrecht? Auf den ersten Blick denken alle, das sei eine trockene Materie. Dabei erfasst das Steuerrecht alle Lebensbereiche. Ob Finanztransaktionsteuer zur Bewältigung der Folgen der Banken- und Finanzkrise oder Ehegattensplitting für gleichgeschlechtliche Paare – die gesamte Lebenswirklichkeit spiegelt sich im Steuerrecht wider. Es ist gleichzeitig aber auch ein hochpolitisches Recht. Kein Bundestagswahlkampf kommt ohne große Steuerthemen aus, sei es „mehr netto vom brutto“ oder die „Millionärssteuer“. Dabei wird meist äußerst schlicht argumentiert. Für umso wichtiger halte ich es, aufzudecken, was sich hinter den Schlagwörtern verbirgt.

Was sind Ihre Forschungsschwerpunkte?

Neben den direkten Steuern, Einkommens- und Unternehmenssteuern, interessiere ich mich besonders für verfassungsrechtliche Grundlagen des Steuerrechts und die Einflüsse des Europarechts. Ganz aktuell beschäftigt mich die Diskussion um die Vermögensteuer. Das Thema ist nicht nur ideologisch vermint, sondern auch verfassungsrechtlich spannend.

Sie stehen in der Rechtstradition von Klaus Tipke und Joachim Lang. Was macht die sogenannte „Kölner Steuerrechtsschule“ aus?

Die Kölner Schule steht für eine Prinzipienorientierung des Steuerrechts, für Systemkonsequenz und für gleichmäßige Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Es geht, wie in vielen anderen Rechtsgebieten um Wertungen, aber diese sind nicht beliebig. Die Akzeptanz der Besteuerung hängt zentral davon ab, dass das Steuerrecht als gerecht wahrgenommen wird. Die Steuermoral der Bürger steht und fällt – um mit Klaus Tipke zu sprechen – mit der Besteuerungsmoral des Staates.

Lässt sich mit Steuern Gerechtigkeit schaffen?

Steuern werden in großem Stil zur Verhaltenslenkung und zur Organisation von Umverteilung eingesetzt. Das Steuerrecht wird mit allen möglichen Zwecken befrachtet: von Familienförderung über Wirtschaftsförderung bis hin zu Umweltschutz. Steuerrechtler sind gegenüber Lenkungsnormen in der Regel sehr zurückhaltend. Sie sind oft ineffizient und komplizieren das Steuerrecht, weil sie letztlich sachfremd sind. Wie sollte kurz skizziert ein Steuerethos aussehen? Zentral für ein ethisches Steuerrecht ist zum einen die Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Steuern sind per definitionem ein Eingriff ohne Gegenleistung. Erträglich ist dieser Eingriff nur, wenn die Steuerlast gleichmäßig nach Leistungsfähigkeit auf alle Bürger verteilt wird. Eine Frage der Ethik ist aber auch die Höhe der Steuerlast. Zwar ist es zunächst Aufgabe der Politik, Staatsaufgaben zu definieren und damit die Höhe des benötigten Steueraufkommens. In einem freiheitlichen Rechtsstaat sind der staatlichen Tätigkeit aber Grenzen gesetzt. Steuergerechtigkeit bedeutet Gleichmaß ebenso wie Mäßigung.

Zu welchen Zwecken zahlen wir überhaupt Steuern?

Anders als Gebühren und Beiträge sind Steuern in aller Regel nicht zweckgebunden, sondern fließen in den allgemeinen Staatshaushalt. In der politischen Diskussion wird das häufig anders dargestellt. Das führt zu lustigen Slogans wie „Rasen für die Rente“, wenn die Erhöhung der Mineralölsteuer mit der Finanzierung der Rentenversicherung begründet wird. Eine rechtliche Zweckbindung gibt es dabei nicht.

Ist unser Steuerrecht zu kompliziert?

Das deutsche Steuerrecht ist in der Tat kompliziert, vor allem weil der Gesetzgeber einzelfallbezogen agiert. Die Gesetzesqualität lässt zu wünschen übrig. Oft sind die Gesetze nicht durchdacht, das macht sie unübersichtlich und damit auch kompliziert. Besonders kompliziert sind Regeln, mit denen der Gesetzgeber versucht, Missbrauchsfälle zu erfassen. Zu kompliziert und unnötig kompliziert ist das deutsche Steuerrecht dort, wo Abgrenzungsstreitigkeiten durch die Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte erzeugt werden.

Wie sieht es im Vergleich zu anderen Ländern aus?

Das Steuerecht in Deutschland ist nicht wesentlich komplizierter als in anderen entwickelten Staaten. Das liegt zum einen daran, dass komplexe Lebenssachverhalte zu regeln sind, zum anderen daran, dass auch im Ausland die Qualität der Steuergesetzgebung nicht zwingend besser ist als in Deutschland. Es wird oft darauf verwiesen, dass ein Großteil der Weltsteuerrechtsliteratur aus Deutschland stammt. Das muss nicht unbedingt ein Nachteil sein. Die deutsche Steuerrechtswissenschaft ist international anerkannt. Deutschland verfügt über eine rege steuerwissenschaftliche Diskussionskultur, über eine hoch entwickelte Steuerrechtsdogmatik.

Wo sehen Sie Möglichkeiten einer Steuervereinfachung? Ist die oft geforderte Steuererklärung auf dem Bierdeckel Ihrer Meinung nach möglich oder ein reiner Mythos?

Der Bierdeckel ist eine Chiffre. Vereinfachung ist ein sehr gewichtiges Ziel, weil ein kompliziertes Steuerrecht Dummensteuereffekte nach sich zieht. Wer gut beraten ist, zahlt bei gleicher Leistungsfähigkeit weniger. Am einfachsten ist der Verzicht auf Steuern. Man könnte zum Beispiel von der Wiedereinführung der hochkomplizierten Vermögensteuer absehen.

Steuervereinfachung ist eine schwierige Angelegenheit. Sie können nicht einfach ein paar Normen wegstreichen, und dann ist alles ganz einfach. Vereinfachung hat viel mit Vergröberung zu tun, mit Typisierung und Pauschalierung. Kompliziert ist das Steuerrecht allerdings auch wegen der ständigen Änderungen, die ganz überwiegend daran liegen, dass Regeln nicht vernünftig durchdacht sind. Hier gäbe es einiges Verbesserungspotenzial.

Konnten Sie Ihre Vorstellungen eines gerechten Steuerrechts schon an die Politik vermitteln?

Politikberatung ist ein sehr mühsames Geschäft und man sollte sich als Wissenschaftler nicht überschätzen. Der Einfluss, den man nehmen kann, ist oft ein mittelbarer. Die Wissenschaft beeinflusst die Rechtsprechung, insbesondere auch des Bundesverfassungsgerichts, dem sich dann wiederum der Gesetzgeber beugen muss. Manchmal kann man aber auch durch unmittelbare Politikberatung einwirken. Dabei sehe ich meine Aufgabe in erster Linie darin, Zusammenhänge und Regeln zu erklären. Nicht ist fataler als Politiker, die über Gegenstände abstimmen, die sie nicht verstehen.

Wird das Steuerrecht von der Politik für den Wahlkampf instrumentalisiert?

Die Politik ist da ziemlich skrupellos. Man meint, mit dem Steuerrecht praktisch jeden Bürger zu erreichen, interessanterweise oft unabhängig davon, ob er tatsächlich von einer Steuer betroffen ist. Es ist ein großer Unterschied zwischen tatsächlicher und gefühlter Steuerlast – ein interessantes steuerpsychologisch leider noch nicht hinreichend erforschtes Phänomen.

Müssen die europäischen Steuersysteme rechtlich angeglichen werden?

Das hängt sehr stark davon ab, als was man Europa wirtschaftspolitisch begreift: Als Gruppe autonomer und miteinander konkurrierender Nationalstaaten, als einheitlichen Wirtschaftsraum oder als durch den Euro zusammengespannte Schicksalsgemeinschaft. Und diese Frage ist ein stückweit unabhängig von den europäischen Verträgen, wie wir an den vertraglich ausgeschlossenen Unterstützungsleistungen für die Krisenstaaten gesehen haben. Unabhängig von diesen Grundsatzfragen wäre es eine große Vereinfachung, wenn ein europäisch agierendes Unternehmen nicht mit 27 unterschiedlichen Gewinnermittlungs- und Steuerregimen konfrontiert wäre. Harmonisierung würde die Transparenz erhöhen.

Was genau sind hierbei die Hürden?

Nicht zuletzt das gescheiterte Steuerabkommen mit der Schweiz zeigt, dass es in Europa unterschiedliche Vorstellungen von Besteuerung gibt. Wie gerecht oder gut kann ein nationales Steuerrecht noch im europäischen Kontext sein? In den Grundfragen divergieren die Gerechtigkeitsfragen gar nicht so stark. Andere Staaten sind aber pragmatischer oder sehen stärker die wirtschaftspolitischen Effekte. Das gilt für die Schweiz, die versucht, mit dem Steueraufkommen ihr Ansehen als Bankenstandort zu retten, wobei das durchaus umstritten ist. Bisher fußte das Erfolgsmodell des Bankenstandortes Schweiz ja gerade auf dem Steuergeheimnis. Aber sicherlich muss auch Deutschland im internationalen und europäischen Wettbewerb, den Sie mit Ihrer Frage ansprechen, entscheiden, ob es um Steuereinnahmen oder Arbeitsplätze geht. Die Öffnung der Volkswirtschaften stellt das Steuerrecht vor große Herausforderungen.

Sebastian Grote