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Justiz im Krieg

Ein interdisziplinäres Forscherteam untersucht das Wirken der rheinischen Justiz während des Zweiten Weltkriegs


In der Nachkriegsforschung wurde das Thema „Justiz im Nationalsozialismus“ schon von mehreren Generationen von Juristen und Historikern untersucht, dennoch sind einzelne Teilbereiche kaum erforscht. Dazu gehört auch das Wirken der Justiz in den Kriegsjahren: Unter der Leitung des Kölner Rechtshistorikers Hans-Peter Haferkamp und der Historiker Margit Szöllösi-Janze (Ludwig-Maximilians-Universität München) und Hans-Peter Ullmann (Universität zu Köln) wurde daher 2004 ein interdisziplinärer Forschungsverbund gegründet, der die Justiz im Raum Köln-Bonn-Aachen während des Zweiten Weltkriegs näher erforscht.

 

„Eine der Besonderheiten des Forschungsverbundes ist die Zusammenarbeit der Justiz mit der Wissenschaft“, verdeutlicht Professor Haferkamp, Direktor des Instituts für Neuere Privatrechtsgeschichte, Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte der Universität zu Köln. Insbesondere die Kooperation von Historikern und Juristen könne sehr erfolgreich sein. „Während Rechtshistoriker die rechtliche und rechtspolitische Analyse durchführen, können Historiker den zeitgeschichtlichen Rahmen erklären.“

2004 entstand das erste Forschungsprojekt „Justiz im Krieg“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Rhein- Energie-Stiftung, der Fritz Thyssen Stiftung, der Gerda Henkel Stiftung und der Rechtsanwaltskammer Köln gefördert wurde. „Wir haben uns bewusst für die Kriegsjahre als zeitlichen Rahmen entschieden“, erklärt Professor Haferkamp. „Das Projekt konnte an aktuelle Forschungen zum Zweiten Weltkrieg in den Geschichtswissenschaften anknüpfen und betrat zugleich für die Justizgeschichte völliges Neuland“. Ziel war, verschiedene Aspekte der Justiz im Oberlandesgerichtsbezirks Köln zwischen 1939 und 1945 in sieben Teilprojekten zu untersuchen.

Bei haftungsrechtlichen Verfahren großzügig im Sinne des Geschädigten

Haftungsrechtliche Verfahren vor dem Landgericht Bonn sind Thema eines der Teilprojekte. Mit ihnen beschäftigt sich der Rechtswissenschaftler Dominik A. Thompson. Alltägliche Unfälle waren Gegenstand solcher Urteile, die auf den ersten Blick nicht außergewöhnlich scheinen. Dies ändert sich jedoch, wenn man sie im Kontext des Krieges und der gesellschaftlichen Lage betrachtet. Denn oft war die Handlung des Schädigers dem Staat zuzurechnen. Bei der Beurteilung waren die Bonner Richter oft großzügig im Sinne des Geschädigten. Von Interesse ist auch die Erklärung zur Steigerung der Schmerzensgeldsummen während der Kriegszeit. Das Oberlandesgericht Nürnberg sprach Mitte 1941 einem Betroffenen 50.000 Reichsmark zu, was in der zeitgenössischen Fachliteratur als Beispiel für einen inflationären Umgang kritisiert wurde.

 Während von der zeitgenössischen Rechtswissenschaft auf den Einfluss der Haftpflichtversicherung und die unterschiedliche Rechtsprechung zur Berechnung der Schmerzensgeldhöhe als potentielle Gründe verwiesen wurde, kommt Thompson zu einem anderen Schluss. Die Summensteigerung sei vor allem auf die verdeckte Inflation zurückzuführen. 1936 wurden die Warenpreise eingefroren und der tatsächliche Warenwert lag damit viel höher. Das Schmerzensgeld war als abstrakter Wert daran aber nicht gebunden und konnte so die Lücke zwischen nominellem und realem Wert verringern.

Der Scheidungstatbestand der „Zerrüttung“ wurde im katholischen Köln zunächst boykottiert

Jonas Küssner untersucht familienrechtliche Entscheidungen des Landgerichts Köln zwischen 1933 und 1945. Eine Norm, die die traditionell konservativen Richter des katholischen Kölns boykottierten, war der 1938 eingeführte Scheidungstatbestand der Zerrüttung. Danach konnte eine Ehe geschieden werden, wenn die Eheleute seit mindestens drei Jahren dauerhaft getrennt lebten. Dieser liberale und schon zur Weimarer Zeit viel diskutierte Tatbestand wurde vom NS-Staat eingeführt, um neue Ehen und damit mehr Nachwuchs im Sinne der neuen Bevölkerungspolitik zu ermöglichen.

Küssner ermittelte, dass das Landgericht Köln diese Norm nur in jedem zehnten Scheidungsverfahren anwendete und damit die Scheidungsquote auch nach 1938 gleich blieb. Insbesondere verhinderten die Kölner Richter Scheidungen von Ehen ehefeindlich eingestellter Ehemänner und Ehefrauen, die sich keine Eheverfehlung zuschulden kommen ließen. Möglich war das durch die uneinheitliche und einzelfallbezogene Rechtsprechung des Reichsgerichts, die den anderen Gerichten einen weiten Spielraum bot. Es waren jedoch die einzigen eherechtlichen Vorschriften, die vom Landgericht unterlaufen wurden. Bei sonstigen Scheidungsverfahren, die etwa aufgrund von politischen, Erbkrankheits- oder Rassefragen entschieden werden mussten, urteilten die Richter aus der Domstadt nicht anders als ihre Kollegen.

Der Klingelpütz während der NS-Zeit

Ein weiterer untersuchter Bereich ist die Entwicklung des Vollzugsalltags in der Straf- und Untersuchungshaftanstalt Köln- Klingelpütz zur NS-Zeit. Wie in allen Bereichen der Justiz sollte auch beim Strafvollzug das Personal schnellstmöglich durch zuverlässige „Elemente“ ersetzt werden, um damit eine politisch konforme Leitung zu ermöglichen. Dies wurde in Köln trotz Beschwerden seitens der Generalstaatsanwaltschaft erst Anfang der vierziger Jahre durchgeführt.

Größere Gefahr ging für die Haftinsassen von der Verschlechterung äußerer Bedingungen, wie der Bombardierung der Stadt und der immer knapper werdenden Lebensmittelversorgung aus, erklärt der Autor der Untersuchung, Stefan Thiesen. Die letzten beiden Kriegsjahre, als die Justizverwaltung die Anstalt verlassen musste und letztere von der Gestapo genutzt wurde, waren von Terror und Gewalt geprägt. Fast täglich wurden hunderte Menschen misshandelt und hingerichtet. Der Klingelpütz wurde für die Kölner Nachkriegsgesellschaft zum Synonym des NS-Terrors. Die genauen Opferzahlen sind mangels zeitgenössischer Dokumente jedoch nicht bekannt.

Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin an der NS-Arbeiterfront

Wie Vergehen gegen die Arbeitsdisziplin an der NS-„Arbeitsfront“ strafrechtlich verfolgt wurden, zeigt die Arbeit von Michael Löffelsender. Allein 1942 wurden reichsweit etwa 15.000 Frauen, Männer und Jugendliche wegen eines Verstoßes gegen die Arbeitsdisziplin von Strafgerichten verurteilt. Hierdurch sollte der Schutz der „Heimatfront“ unterstützt werden, notfalls durch Strafandrohung und Repression. Obwohl die Strafandrohung nur als ultima ratio geplant war, stiegen die Verurteilungen zum Kriegsende sowohl bei den Jugend- als auch Amtsgerichten. Bei den sogenannten „Arbeitsverweigerern“ und „Arbeitsbummelanten“ wurde in der Regel das Arbeitshaus als kurzzeitige Gefängnisstrafe verhängt, um sie danach wieder in die „Volksgemeinschaft“ integrieren zu können.

Künftige Forschungen über die Frühzeit der Bundesrepublik

Die Ergebnisse des ersten Forschungsprojekts wurden im Mai 2010 auf dem vierten Symposium „Justiz und Krieg – Der Oberlandesgerichtsbezirk Köln 1939–1945“ vorgestellt. 2012 erschienen die Beiträge in einem Sammelband. „Die öffentliche Präsentation und Diskussion ist dem Forschungsverband sehr wichtig“, erklärt Haferkamp. Das Symposium „Justiz und Krieg“ bildete den wissenschaftlichen Rahmen für die Enthüllung einer Gedenktafel anlässlich des 30. Jahrestags der Eröffnung des Kölner Gerichtsverfahrens gegen Kurt Lischka, Organisator der Deportation der französischen Juden nach Auschwitz. Dies war einer der Gründe, das nächste Forschungsprojekt unter dem Titel „Justiz im Systemwechsel“ auf die Frühzeit der Bundesrepublik auszuweiten.

Die Rolle der rheinischen Justiz im Systemwechsel soll analysiert und ihr Beitrag zur strukturellen und mentalen Verarbeitung des Krieges untersucht werden. Auch diesmal wird das in vier Teilprojekte aufgeteilte Forschungsvorhaben von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mitfinanziert. Untersucht werden sollen unter anderen die Kriegsfolgenbewältigung in der Rechtsprechung am Beispiel der Judikatur des Landgerichts Bonn und die zivilrechtliche Judikatur des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Köln (1948–1950), ein Revisionsgericht in Zivil- und Strafsachen, das einzigartig war in den westlich besetzten Zonen und ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Reichsgericht und dem heutigen Bundesgerichtshof.

Andrej Umansky