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Die Zukunft der Arbeit

Kölner Rechtswissenschaftler arbeitet an Modellen für morgen

 

Unbezahltes Praktikum, Minijob und Rentenreform. Das Arbeits- und Sozialrecht ist ein Bereich, mit dem jeder in verschiedenen Lebensphasen konfrontiert wird. Unser Arbeitsmarkt muss gerade in Krisenzeiten flexibel sein. Doch prekäre Arbeitsverhältnisse können zu Altersarmut führen. Rechtswissenschaftler der Universität zu Köln arbeiten daher an verschiedenen Arbeitsmodellen für die Zukunft.

Es waren gute Nachrichten für Minijobber: Seit Anfang 2013 dürfen sie 450 Euro pro Monat steuerfrei verdienen. Das sind 50 Euro mehr als zuvor. Ob Studierende, Rentner oder Ehepartner: Die meisten der sieben Millionen Geringverdiener sind auf ihren Job angewiesen. Für sie macht sich jeder zusätzliche Euro am Ende des Monats deutlich bemerkbar. Doch die geringfügigen Beschäftigungen haben einen Haken: Minijobber sind nicht sozialversichert. Neben Arbeitslosigkeit ist die geringfügige Beschäftigung ein wesentlicher Faktor, der zu lückenhaften Erwerbsbiographien führt. Wer viele Jahre seines Arbeitslebens ohne Sozialversicherung beschäftigt war, wird vermutlich von der Rente allein nicht leben können.

Ein Weg in die falsche Richtung

Für Professor Dr. Ulrich Preis vom Institut für Deutsches und Europäisches Arbeitsund Sozialrecht ist die Erhöhung der Minijobgrenze ein Weg in die falsche Richtung: „Hier wird suggeriert, dass die geringfügig Beschäftigten eine Gehaltserhöhung bekommen. In der Tat wird hier aber das Problem der Altersarmut ausgeweitet“, begründet der Rechtswissenschaftler seine Bedenken. Er hat deshalb eine Neuordnung der geringfügigen Beschäftigung ausgearbeitet. Nach seinem Modell würde die Grenze für Steuer- und Versicherungsfreiheit auf 100 Euro herabgesenkt werden. Wer zwischen 100 und 450 Euro verdient, würde den vollen Schutz der Sozialversicherung erhalten, deren Kosten allein der Arbeitgeber trägt. Wer in der sogenannten Gleitzone noch mehr verdient, müsste sich je nach Einkommen schrittweise an den Abgaben zur Sozialversicherung beteiligen, wogegen der Arbeitgeber dann entsprechend weniger zahlen würde. Dieses Modell würde nicht nur zu einer Sozialversicherung für Geringverdiener führen, die Arbeitgeber hätten zudem einen starken Anreiz, ihre Mitarbeiter über die 450-Euro-Grenze hinaus anzustellen. Für viele Arbeitnehmer könnte sich so der Zugang zu einem Einkommen, von dem man leben kann, erleichtern.

Was für Arbeitsplätze wollen wir?

Die Frage, ob es durch solche Veränderungen zum Verlust von Arbeitsplätzen kommen würde, lässt sich nur schwer beantworten. Es hängt letztendlich immer davon ab, wie Arbeitgeber auf solche Veränderungen reagieren. Professor Preis hält die Mehrbelastung für Arbeitgeber durchaus für gerechtfertigt und nicht gravierend. Jedenfalls ist das Modell überschaubarer als die bisherige Regelung der geringfügigen Beschäftigung mit ihren vielen Sonderfällen.

Zudem würden laut Preis durch die Versicherungspflicht in Minijobs Schlupflöcher für Schwarzarbeit gestopft werden. „Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, welche Art von Arbeitsplätzen wir in Deutschland überhaupt wollen“, sagt Preis. „Ein Arbeitsplatz an sich ist nicht unbedingt ein schützenswertes Gut, wenn es etwa ein Ausbeutungsverhältnis ist, dessen Bezahlung an Sittenwidrigkeit grenzt.“ Allein durch eine Reform der Minijobs lässt sich das Problem der Altersarmut allerdings nicht beseitigen. Denn auch bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Teilzeit kann die Vergütung so niedrig sein, dass eine auskömmliche Rente nie erreicht wird. Die Reform wäre laut Preis trotzdem ein wichtiger Beitrag gegen ein insgesamt verfehlt entwickeltes System.

Alternative Rentenmodelle gehen am Problem vorbei

Politiker haben den Kampf gegen die Altersarmut längst in ihre Rhetorik aufgenommen. Immer wieder stehen alternative Rentenmodelle zur Debatte, die uns in der Zukunft vor dem Schlimmsten bewahren sollen. Die ehemalige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen etwa brachte die „Lebensleistungsrente“ ins Gespräch. Das Modell sieht vor, allen Bürgern, die mindestens 40 Jahre Rentenbeiträge gezahlt haben und zudem eine private Altersvorsorge aufweisen können, eine Grundsicherung im Alter zu gewähren. Doch im Grunde genommen geht der Vorschlag am eigentlichen Problem vorbei: „Auch dieses Rentenmodell lässt sich auf Dauer nur verwirklichen, wenn die Bezieher wirklich die vollen 40 Jahre versicherungspflichtig gearbeitet haben“, sagt Preis. Wer einen deutlichen Teil seines Arbeitslebens nur geringfügig beschäftigt war, erreicht die Bedingungen nicht.“

Ein weiteres Modell ist die von CSU-Politikern geforderte, sogenannte „Mütterrente“. Frauen bekommen heute für jedes nach 1992 geborene Kind drei Erziehungsjahre zur Rente angerechnet. Für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, gibt es dagegen nur ein Jahr. In der „Mütterrente“ würden alle Mütter auf drei Jahre pro Kind kommen und somit gleichgestellt, egal wann die Geburt war. Die Geburtenrate ist schließlich ein höchst relevanter Faktor für das Sozialversicherungssystem. Doch beide Modelle haben gemeinsam, dass sie sehr kostspielig sind. Ob und wie solche Konzepte finanzierbar sind, ist momentan noch unklar.

Betroffene haben kaum Möglichkeiten

Die Zukunft der Renten ist nur einer von vielen Bausteinen, an denen Arbeits- und Sozialrechtler in Köln forschen. Am Anfang des Arbeitslebens stehen die Berufseinsteiger, die ihrerseits schon mit arbeitsrechtlichen Fragen konfrontiert werden. Ein Praktikum etwa sollte eigentlich für beide Seiten als Chance begriffen werden. Doch in vielen Fällen entpuppt es sich als ein traditionelles Arbeitsverhältnis zu schlechten Konditionen für den Arbeitnehmer. Preis fordert hier klarere gesetzliche Regelungen: „Es sollte immer ein Ausbildungsplan bestehen, aus dem hervorgeht, was in dem Praktikum vermittelt werden soll“, schlägt der Arbeitsrechtler unter anderem vor.

Unbezahlte Praktika widersprechen sogar ganz eindeutig dem Gesetz. Demnach handelt es sich bei einem Praktikum um ein Berufsausbildungsverhältnis und dazu gehört auch ein Vergütungsanspruch. Doch viele Praktikanten wissen vermutlich gar nicht, welche Rechte ihnen zustehen. Gerade deswegen ist ein klares und auch für Laien verständliches Arbeitsrecht wichtig. Viele prekär Beschäftigten wehren sich zudem nur sehr selten. Man muss schon eine recht hohe Eigeninitiative zeigen, denn lohnen tut es sich in den meisten Fällen nicht. Wer etwa für ein sechsmonatiges Praktikum angestellt ist, geht in der Regel deswegen nicht vor das Arbeitsgericht, um einen Lohn von wenigen hundert Euro monatlich einzufordern. Das gleiche gilt für eine geringfügige Beschäftigung zum Hungerlohn. Viele Arbeitnehmer finden sich eher mit der Situation ab – oder kündigen den Job.

Das Nervenzentrum der Wirtschaftspolitik

Ein Blick auf unsere europäischen Nachbarn zeigt allerdings, dass es in Deutschland um die Berufseinsteiger noch relativ gut gestellt ist. Eine Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent ist bereits in mehreren Ländern der EU bittere Realität. Den Schlüssel zur Lösung dieser Krise sehen viele in flexibleren Arbeitsmärkten. In der Tat mag das dort sinnvoll sein, wo unproduktive und überbezahlte Arbeitsverhältnisse bestehen und jungen Menschen dagegen keine Chance haben. Doch allzu einfache Schlüsse lassen sich daraus nicht ziehen. Preis betont, dass es nicht ausreiche, an ein paar arbeitsrechtlichen Regelung zu drehen: „Es ist unplausibel, die Kündigung der Älteren zu erleichtern, um Beschäftigung für die Jungen zu schaffen. Damit senkt man nicht die Arbeitslosenquote. Man schichtet die Probleme nur um.“

Für eine langfristige Senkung der Arbeitslosenzahlen braucht man schließlich auch eine vernünftige Wirtschaftspolitik. Das Arbeits- und Sozialrecht ist sozusagen das Nervenzentrum der Wirtschaftspolitik, weil man hier die Auswirkungen direkt spürt. Natürlich flankieren arbeitsrechtliche und sozialrechtliche Regelungen den Arbeitsmarkt, doch können einzelne Schritte auch eine kontraproduktive Wirkung erzielen. Umso wichtiger ist es deshalb, dass Politiker auf die Expertise aus der Wissenschaft zurückgreifen, wenn sie die Zukunft unserer Arbeitwelt gestalten.

Spitzenschmiede für Arbeitsrechtler

Eine der größten Herausforderung für Arbeitsrechtler ist es, die Interessen sowohl von Arbeitnehmern als auch von Arbeitgebern zu berücksichtigen. Was den einen zu weit geht, geht den anderen oft nicht weit genug. „Das ganze Arbeits- und Sozialrecht ist ein Hase-und-Igel-Spiel, bei dem man versucht, Regeln zu schaffen, die dann wieder umgangen werden“, sagt Preis. „Dieses Problem werden wir nie ganz bewältigen.“ Und trotzdem ist es ein Rechtsbereich, der so alltagsrelevant ist wie kaum ein anderer. Das Arbeitsrecht steht mitten im Leben. Experten wie Preis sind daher auch regelmäßig in der Praxis gefragt, etwa bei Gerichtsentscheidungen oder der Ausarbeitung neuer Gesetze.

Der Rechtswissenschaftler leitet seit 2002 das Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht. Aufgebaut wurde das Institut von Hans Carl Nipperdey, dem ersten Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts. Zusammen mit dem Schwesterinstitut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht verfügt es über einen der stärksten Forschungsschwerpunkte bundesweit im Arbeitsrecht sowie eine deutliche europäische Komponente. Neben einer hohen Publikationsdichte zeichnet sich das Institut durch einen intensiven wissenschaftlichen Dialog auf regelmäßigen Fachtagungen wie dem Kölner Sozialrechtstag aus. Die Universität zu Köln gilt damit als Spitzenschmiede für Arbeitsrechtler

Sebastian Grote