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Mit Bildung und Freunden eine Runde weiter

Die Soziologen Prof. Dr. Axel Franzen und Sonja Pointner zeigen, was für den Erfolg bei der Quizshow ?Wer wird Millionär?? entscheidend ist

von Merle Hettesheimer

Der Tag im Fernsehstudio zu Indiens beliebtester Quizshow ?Wer wird Millionär?? ist der wichtigste Tag im Leben des achtzehnjährigen Jamal Malik. Denn Jamal steht kurz davor, die letzte Frage zu knacken, die ihn zum 20-Millionen-Rupien-Hauptgewinn führt. Aber wie hat er das gemacht? Der junge Mann, der in den Slums von Mumbai aufwuchs, hat weder Schulbildung noch einflussreiche Kontakte. Ganz so märchenhaft wie im Film ?Slumdog Millionaire? (Danny Boyle) geht es im wirklichen Leben normalerweise nicht zu. Trotzdem schrieb auch die deutsche Version von ?Wer wird Millionär?? traumhafte Geschichten. Timur Hahn, Anglistikstudent aus Marburg, schaffte es bei Günther Jauch bis in die Endrunde und damit zur heiß ersehnten Million. Für den 26-jährigen mittellosen Studenten war das ein unerwarteter Geldsegen. Von dem Gewinn wollte er sich erst einmal eine Bahncard 100 leisten. Timur Hahn verhalf der Telefonjoker zur richtigen Antwort bei der Frage, welches Meer nach einem mythologischen König benannt sei: Weil er die Antwort nicht wusste, zog er seinen Bruder zu Rate. Stefan Hahn, technischer Redakteur aus Wiesbaden, hatte Geschichte studiert. Das zahlte sich offenbar aus. Seit die Sendung ?Wer wird Millionär?? 1999 erstmals über die bundesdeutschen Fernseher ausgestrahlt wurde, haben bis heute acht Kandidaten der Höchstgewinn erspielt. Dabei ist die theoretische Wahrscheinlichkeit, die Million per Zufall zu gewinnen, sehr gering. Sie liegt statistisch betrachtet bei 0,2515. Dennoch steht ?Wer wird Millionär?? in dem Ruf, recht gute Gewinnchancen zu haben. Empirisch gemessen liegt die Chance auf den Höchstgewinn auch tatsächlich höher, nämlich bei 0,4 Prozent.

Intelligenz, Bildung, Motivation oder Zufall? Wovon hängt der Erfolg ab?

Man kann sich berechtigterweise die Frage stellen, ob die Gewinnchancen nur eine Sache des Zufalls sind. Denn das würde bedeuten, dass alle Kandidaten ? zumindest theoretisch betrachtet ? dieselben Chancen haben. Wenn die Chance auf den Hauptgewinn aber nicht dem Zufall unterliegt, wovon hängt es dann ab, wie weit jemand in der Sendung kommt? Über die ersten sechs Millionäre weiß man immerhin soviel: Sie haben fast alle einen akademischen Hintergrund. In der Show errangen ein Geschichtsprofessor, zwei Studenten, eine Ärztin, eine Bürokauffrau und ein Aufzugsmonteur den Höchstgewinn. Letzterer hatte ein Studium begonnen, später dann aber abgebrochen. Die Daten legen die Vermutung nahe, dass Bildung zumindest ein entscheidender Faktor sein könnte.

Die Wissenschaftler Prof. Dr. Axel Franzen und Sonja Pointner vom Forschungsinstitut für Soziologie der Universität zu Köln haben das untersucht. Sie vermuten, dass die Gewinnchancen der Teilnehmer durch zwei Faktoren entscheidend beeinflusst werden: durch den Bildungsstand (Humankapital) und die personellen Netzwerke (Sozialkapital) der Spieler. Dafür befragten sie alle Teilnehmer, die zwischen 1999 und 2007 in der Quizshow aufgetreten waren und deren aktuelle Adresse sich noch ermitteln ließ, mit einem schriftlichen Fragebogen.

Bildung beeinflusst die Leistung

In der Regel wird der Einfluss des Humankapitals auf die Produktivität eines Menschen anhand von Arbeitsmarktdaten gemessen. Je höher der Bildungsstand ? so die Annahme der Humankapitaltheorie ? desto größer ist das Leistungsvermögen einer Person und desto höher ist auch der Lohn, den die Person auf dem Arbeitsmarkt bekommt. Das Problem bei der Analyse von Arbeitsmarktsdaten ist allerdings, dass sich der Effekt von Bildung auf den Lohn nicht unabhängig von anderen Einflussgrößen messen lässt. Andere produktivitätsrelevante Merkmale wie Intelligenz, Fleiß, Ausdauer oder Motivation können ebenfalls ausschlaggebend sein, lassen sich aber oft nicht direkt messen. Studien überschätzen deshalb den Einfluss von Bildung auf die Produktivität, wenn solche Faktoren nicht mit berücksichtigt werden.

Bei der Sendung ?Wer wird Millionär?? besteht dieses Problem nicht: Die hier erhobenen Daten lassen es zu, einen unverzerrten Humankapitaleffekt zu messen. Denn Merkmale wie Fleiß, Motivation oder ein attraktives äußeres Erscheinungsbild, die im Arbeitsleben Einfluss auf die Bezahlung nehmen können, spielen in der Sendung keine Rolle. Die Kandidaten kommen nur in die Sendung und in das eigentliche Spiel, wenn sie bei den Wissenstests gut abgeschnitten und die Fragen aus den Vorrunden richtig beantwortet haben. Auch in der Show selbst hängt die korrekte Beantwortung der Fragen allein vom Wissen der Kandidaten ab.

Nach den Annahmen der Humankapitaltheorie ist daher zu erwarten, dass Kandidaten mit mehr Bildung auch höhere Gewinne erzielen. Denn je mehr ein Kandidat weiß, desto mehr Fragen kann er beantworten und desto höher ist der Gewinn. Ob Bildung dabei auf dem Bildungsweg oder autodidaktisch erworben wurde, spielt keine Rolle. Die Kölner Soziologen haben Bildung deshalb nicht nur über den erreichten Bildungsabschluss sondern auch anhand so genannter weicher Bildungskomponenten gemessen. Ausschlaggebend ist dabei zum Beispiel, wie viele Bücher ein Kandidat Zuhause im Regal stehen hat und welche Tageszeitungen und Wochenzeitschriften er liest.

Welche Rolle spielt der Telefonjoker?

Neben dem Faktor Bildung sind offenbar auch die sozialen Kontakte der Kandidaten entscheidend für den Erfolg in der Show. Sie spielen eine Rolle bei der Wahl des Telefonjokers. Neben dem fünfzig-fünfzig-Joker, bei dem zwei falsche aus den vier Antwortmöglichkeiten gelöscht werden, und dem Publikumsjoker ? hier stimmt das Publikum über die Antworten ab und eine prozentuale Häufigkeitsverteilung wird angegeben ? hat der Spieler die Wahl, eine von drei vorher ausgewählten Personen seines Bekanntenkreises telefonisch zu befragen, wenn er die Antwort nicht weiß. Spieler, die ein großes Netzwerk an Freunden und Bekannten haben, aus dem sie Ressourcen abfragen können, haben auch eine größere Auswahl an Telefonjokern und damit bessere Gewinnchancen als Kandidaten mit einem kleinen Netzwerk, vermuten die Wissenschaftler.

Entscheidend ist offenbar auch die Stärke des Kontakts. Ein Netzwerk kann aus starken und schwachen Kontakten, also aus engen Freunden und Familienmitgliedern und losen Bekanntschaften bestehen. Freunde und Familie haben dabei oft einen ähnlichen Wissensschatz wie der Spieler selbst. Bei der Wahl des Telefonjokers kann das ein Nachteil sein. Denn wenn sich das Wissen des Jokers nicht wesentlich von dem des Kandidaten unterscheidet, nützt es dem Kandidaten wohlmöglich nichts. Wählt der Spieler aber einen Telefonjoker, den er nur flüchtig kennt, könnte die Chance größer sein, dass zusätzliches Wissen generiert wird. In der Show wird Wissen aus sehr verschiedenen Gebieten abgefragt. Kandidaten sind daher möglicherweise dann besonders erfolgreich, wenn sie für Wissenszweige, in denen sie selbst nicht besonders kompetent sind, auf Telefonjoker mit komplementärem Wissen zurückgreifen können.

Je mehr Bücher, desto mehr Gewinn

Die Ergebnisse der Studie zeigen jedoch: für die Wahl eines erfolgreichen Telefonjokers war die Anzahl enger Freundschaften ausschlaggebend. Mit jeder Person, die ein Kandidat als engen Freund bezeichnete, stieg die Chance, dass der Telefonjoker die richtige Antwort wusste. Schwache Kontakte waren dagegen nicht entscheidend. Dass das Bildungsniveau des Telefonjokers in der Studie offenbar keinen Einfluss hatte, lag möglicherweise daran, dass fast alle ausgewählten Telefonjoker einen mehr oder weniger hohen Bildungsabschluss hatten und damit eine homogene Gruppe bildeten.

Auch die verschiedenen Kompetenzen von Kandidat und Jokern beeinflussten die Wahrscheinlichkeit für die richtige Antwort nicht. Der Erfolg in der Sendung hängt außerdem vom Bildungsniveau des Kandidaten ab. Universitätsabsolventen erzielten im Durchschnitt 28 Prozent mehr Gewinn als Kandidaten ohne Abitur. Mit jedem Prozent mehr an Büchern stieg der Gewinn außerdem um ein zehntel Prozent. Jeder zusätzliche Wissensbereich, in dem ein Kandidat kompetent war, erhöhte die Auszahlung sogar um weitere fünf Prozent.

Die Human- und Sozialkapitalausstattung eines Menschen wirkt sich damit eindeutig auf den Erfolg in der Sendung aus. Dabei ist es unwichtig, ob Wissen auf dem formalen Bildungsweg oder autodidaktisch erworben wird. Letztendlich entscheidet, auf wie vielen Gebieten eine Person kompetent ist. Wer in ein Netzwerk enger Beziehungen eingebunden ist, erhöht seine Gewinnchancen ebenfalls: Im Durchschnitt steigert die Möglichkeit, sich von einem Freund helfen zu lassen, die Auszahlung um 13 Prozent.

Jamal Malik hat der Telefonjoker allerdings nicht geholfen. Denn er kann seinen Bruder nicht erreichen, als er die drei Musketiere von Alexandre Dumas benennen soll. In letzter Sekunde beantwortet seine große Liebe Latika den Anruf. Sie kann die Frage zwar nicht beantworten. Aber Jamal hat die Frau wiedergefunden, nach der er sein halbes Leben gesucht hat.

 

Die Ergebnisse der Studie wurden veröffentlicht in:
Franzen, Axel und Sonja Pointner (2009): Wer wird Millionär? Eine empirische Analyse der Erfolgsdeterminanten in der gleichnamigen Quizshow. Zeitschrift für Soziologie, Jg. 38, Heft 3, Juni 2009, S. 239?256.