Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität zu Köln hat gezeigt, dass die heutige Bevölkerung des Iran ethnisch teilweise sehr heterogen ist und dass viele Gruppen auch intern eine hohe genetische Vielfalt aufweisen. Deren Quellen reichen offensichtlich weit in die Vergangenheit zurück. Das Team unter Beteiligung der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Michael Nothnagel vom Cologne Center for Genomics (CCG) nahm dazu erstmals eine landesweite genetische Charakterisierung der iranischen Bevölkerung vor. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift „PLOS Genetics“ unter dem Titel „Distinct genetic variation and heterogeneity of the Iranian population“ erschienen.
Die Kölner Forscher kooperierten in diesem Projekt mit der Arbeitsgruppe um Professor Dr. Hossein Najmabadi vom Genetics Research Center (GRC) an der University of Social Welfare and Rehabilitation Science in Teheran (Iran) und weiteren Universitäten im Iran. Professorin Dr. Barbara Helwing von der University of Sydney (Australien) brachte ihr Fachwissen über die Geschichte des Landes ein.
Die Forscherinnen und Forscher analysierten die genetischen Daten von 1.021 freiwilligen Studienteilnehmern und -teilnehmerinnen aus dem gesamten Land, deren Eltern und Großeltern sich als Mitglieder einer von elf ausgewählten ethnischen Gruppen im Iran identifizierten. Darunter waren größere Gruppen wie Iranische Perser und Aserbaidschaner, aber auch kleinere, wie Araber, Belutschen, Gilaki und Kurden. Das Team fand heraus, dass beispielsweise Perser und Kurden zwar eine hohe gruppeninterne genetische Varianz aufweisen – größer als beispielsweise die der Deutschen – der gesamte Genpool jedoch über die vergangenen mindestens 5.000, vermutlich aber eher 10.000 Jahre relativ konstant geblieben ist. Zum Vergleich: In Deutschland trägt die Bevölkerung nur noch ca. 10 bis 20 Prozent der genetischen Ausstattung der Jäger- und Sammlerpopulation in sich, die vor 10.000 Jahren West- und Mitteleuropa bevölkerte. Auch sind sich beispielsweise Briten und Norditaliener genetisch ähnlicher als manche ethnischen Gruppen im Iran. „Das war überraschend“, sagt Professor Nothnagel. „Bisher war die Wissenschaft vielfach davon ausgegangen, dass die iranische Bevölkerung genetisch eher homogen ist.“
Die Teams glichen die aus den Proben gewonnenen Daten darüber hinaus mit bereits veröffentlichten Daten zu anderen lebenden menschlichen Populationen ab. Außerdem verglichen sie sie mit knapp 800 archäologischen Proben von Individuen, die vor Tausenden von Jahren in der Region und darüber hinaus gelebt hatten.
Michael Nothnagel erörtert: „Die genetischen Informationen aus dem Iran sind besonders wertvoll, weil sie erstmals bevölkerungsrepräsentative, genomweite Daten für eine große Population in einer wichtigen Region der Welt zur Verfügung stellen.“ Auf der Grundlage der gewonnenen Datensätze können auch Folgeuntersuchungen zu seltenen und häufigen genetischen Erkrankungen oder zu Migrationsbewegungen geplant oder durchgeführt werden.
Der Iran liegt seit der Auswanderung des modernen Menschen aus Afrika an einer wichtigen Migrationsroute und spielte in den letzten Jahrtausenden eine bedeutende kulturelle und politische Rolle in West- und Zentralasien. Trotz seiner Größe, seiner geografischen Lage und seines kulturellen Einflusses wurden dort bislang jedoch kaum populationsbasierte Genomstudien durchgeführt.
Über Jahrtausende hinweg wanderten immer wieder unterschiedliche Gruppen ein: Sprecher indoeuropäischer Sprachen, arabische Gruppen und später Sprecher von Turksprachen aus Zentralasien. Daher besteht die Bevölkerung des heutigen Iran aus zahlreichen ethnischen, religiösen und linguistischen Gruppen, die sich zu unterschiedlichen Graden miteinander vermischt haben.
Iranische Kurden weisen zum Beispiel starke genetische Überschneidungen mit Persern, Luren und anderen Gruppen auf – was auf einen gemeinsamen Hintergrund und wenig Vermischung über die Jahrtausende hindeutet. Die Bewohner der Inseln im Persischen Golf hingegen haben sich immer wieder mit Einwanderern von außerhalb des Irans gemischt. „Dieses Ergebnis stimmt mit historischen Berichten über den Seehandel in den letzten Jahrtausenden überein“, sagt Michael Nothnagel. „Manche Gruppen übernahmen auch die Sprachen der neuen Einwanderer, was auf Koexistenz, nicht Verdrängung hinweist.“ Durch die Kombination archäologischer Funde mit modernsten technischen Möglichkeiten der Genombestimmung hat die Studie diese historischen und prähistorischen Migrations- und Besiedlungsmuster systematisch nachvollzogen.
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Publikation:
https://doi.org/10.1371/journal.pgen.1008385