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Wenn die innere Uhr aus dem Takt gerät

Nachtarbeit birgt gesundheitliche Risiken. Richtige Ernärung kann sie reduzieren.

Nachtarbeit bringt unseren Körper durcheinander. Das kann zu gesundheitlichen Problemen wie Übergewicht und Diabetes Typ 2 führen. Neue Forschung zeigt, dass das richtige Essverhalten das Risiko reduzieren kann.

Von Eva Schissler

Kranke müssen rund um die Uhr betreut werden und Feuer brechen nicht nur am Tage aus. Für Beschäftigte in der Krankenversorgung, Feuerwehr oder Polizei bedeutet das: Schichtbetrieb. Nachtarbeit ist in vielen Bereichen verbreitet, und dass sie auf Dauer krank machen kann, ist seit langem bekannt.

Unser Körper verfügt über eine innere Uhr, die den Schlaf-Wach-Zyklus und verschiedene andere biologische Prozesse steuert. Dieses System, auch als circadianer Rhythmus bekannt, ist ungefähr auf die 24 Stunden des Tages geeicht. Beim Menschen erhalten die Ganglienzellen, spezialisierte Nervenzellen in den Augen, über das Umgebungslicht Hinweise auf die Tageszeit und liefern damit der inneren Uhr Informationen. Bei schummerigem Abendlicht stellt der Körper auf Ruhe um: Der Stoffwechsel wird heruntergefahren, der Botenstoff Melatonin wird ausgeschüttet und macht uns müde.

Auch wenn wir die Nacht zum Tag machen – überlisten können wir die innere Uhr nicht. Sie weiß dennoch, wann Nacht oder Tag in unserem Körper ist. Wenn wir etwa in eine andere Zeitzone verreisen, stimmt der Tag-Nacht-Zyklus in unserer Umgebung nicht mehr mit dem inneren Tag-Nacht-Rhythmus überein, es kommt zu einer circadianen Fehlausrichtung zwischen Innen und Außen. Erst nach Tagen oder sogar Wochen kann sich die innere Uhr wieder an den neuen äußeren Tag-Nacht-Zyklus anpassen.


Wenn die Uhren asynchron laufen

Bei über längere Zeit betriebener Nachtarbeit kann sich der Körper ebenfalls nicht so einfach umstellen. Er leidet, wodurch langfristig das Risiko für bestimmte Krebsarten und für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt. Manche Menschen entwickeln auch dauerhafte Schlafstörungen. Dr. Sarah Chellappa erforscht, wie Gesundheitsrisiken, die mit einem gestörten Schlaf-Wach-Zyklus zusammenhängen, minimiert werden können. Vor allem interessieren die Chronobiologin dabei metabolische Erkrankungen wie Diabetes Typ 2. Im Team von Professor Dr. Frank Scheer hat sie am Brigham and Women’s Hospital, einem Lehrkrankenhaus der Harvard Medical School, im Bereich der medizinischen Chronobiologie gearbeitet.
 

Medizinische Chronobiologie – Dieser Forschungszweig untersucht die zeitliche Organisation von physiologischen Prozessen und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit. Dazu gehören Zellteilung, Herzschlag, Atmung und Schlaf. Auch Medikamente können abhängig vom Zeitpunkt ihrer Einnahme unterschiedlich wirken.


Derzeit forscht sie mit einem Alexander von Humboldt- Forschungsstipendium an der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin der Kölner Universitätsmedizin. In einer aktuellen Studie, an der auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beteiligt war, untersuchte das Team einen besonderen Aspekt: Welchen Einfluss hat der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme bei Menschen, die regelmäßig Nachtschichten arbeiten, auf das Risiko metabolischer Störungen?

Die Nacht zum Tag machen: heute problemlos möglich, auf Dauer allerdings schädlich für den Körper

Um das zu verstehen, müssen die Wissenschaftler:innen eine weitere Komplikation berücksichtigen: Der Hell-Dunkel-Zyklus ist nicht der einzige Zeitgeber für unsere innere Uhr. Neben dem zentralen circadianen Rhythmus unterliegen die Zellen unserer Organe dezentralen (oder peripheren) circadianen Rhythmen, die eigene Informationen – zum Beispiel über die Nahrungszufuhr – sammeln und an unser Gehirn zurückmelden. »Unser Körper ist verwirrt, wenn er widersprüchliche Informationen erhält. Wenn die zentrale innere Uhr und die peripheren Uhren nicht übereinstimmen, entsteht eine Fehlausrichtung. Wir nennen das ›circadian misalignment‹«, sagt Chellappa.
 

Zentraler circadianer Rhythmus – Der sogenannte Suprachiasmatische Nucleus (Nucleus suprachiasmaticus, SCN) im Hypothalamus unseres Gehirns ist die Schaltzentrale der inneren Uhr, die alle biologischen Prozesse im Körper zeitlich koordiniert. Dieses Steuerzentrum besteht aus circa 20,000 Nervenzellen. Der SCN ist der wichtigste, aber nicht der einzige Koordinator des Schlaf-Wach- Rhythmus: Alle peripheren inneren Uhren »erstatten ihm Bericht«. Melden sie das gleiche zurück, was die Zentrale misst, ist die innere Uhr im Einklang.


Bislang war bekannt, dass bei Menschen, die nachts arbeiten, besonders häufig die zentrale und die dezentralen inneren Uhren asynchron laufen. Nachtarbeit hat darüber hinaus einen negativen Einfluss auf den Stoffwechsel und begünstigt Glukoseintoleranz. Der Blutzucker, dessen Spiegel besonders durch kohlehydratreiche Mahlzeiten hochgepeitscht wird, kann dann nicht schnell genug durch Insulin abgebaut werden. Es entsteht eine Vorstufe von Diabetes Typ 2. Die genaue Ursache für die circadiane Fehlausrichtung und die Stoffwechselprobleme war bislang unklar. Das Forschungsteam hatte jedoch eine Vermutung: der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme könnte entscheidend sein.
 

Verwirrter Stoffwechsel

Um das zu belegen, ließen die Forscher:innen am Brigham and Women’s Hospital in den USA 19 gesunde junge Probandinnen und Probanden in einem 14-tägigen Experiment simulierte Nachtarbeit durchlaufen: Die Teilnehmenden blieben 32 Stunden lang in einer schwach beleuchteten Umgebung wach. Sie durften sich nicht hinlegen und nahmen stündlich identische Snacks zu sich. Dabei erhielten sie keinerlei Hinweise zur Tageszeit. Dies ermöglichte es, sowohl zentral gesteuerte circadiane Rhythmen (Körpertemperatur) als auch dezentral gesteuerte circadiane Rhythmen (Glukosepegel im Blut) zu beobachten. Danach führten die Teilnehmenden simulierte Nachtarbeit durch, wobei sie einem von zwei Essensplänen folgten: Eine Gruppe aß während der Nacht – ein für Nachtschichtarbeitende typisches Verhalten. Die andere Gruppe aß nur tagsüber und passte so ihren Essensplan an den ungefähren 24-Stunden-Zyklus der zentralen inneren Uhr an. Anschließend werteten die Wissenschaftler:innen über 40 Stunden die Nachwirkungen der Mahlzeitenpläne auf die circadianen Rhythmen der Probanden aus.

Essen und trinken während der Nachtschicht? Gesünder wäre es, die Nahrungsaufnahme auf den Tag zu verschieben

»Die Messung der Körperkerntemperatur der Teilnehmenden zeigte, dass tatsächlich das nächtliche Essen für die Verschiebung zwischen der zentralen circadianen Uhr und dem circadianen Glukoserhythmus verantwortlich war«, sagt Scheer. Der Glukoserhythmus wird etwa durch Signale der Bauchspeicheldrüse gesteuert, die nun gefühlt »nachts« aktiv war. Bei den Teilnehmenden, die trotz Nachtarbeit nur tagsüber Mahlzeiten zu sich nahmen, blieben die beiden Rhythmen in Einklang.


Die Proband:innen, die nachts aßen, wiesen zudem erhöhte Blutzuckerwerte auf, während diejenigen, die tagsüber aßen, keine signifikanten Veränderungen zeigten. Nur bei der ersten Gruppe verringerte sich die Funktion der Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Betazellen produzieren das Insulin, das Glukose in das Körpergewebe schleust. Durch eine verringerte Funktion dieser Zellen entsteht über längere Zeit Glukoseintoleranz.

Auch unter realen Bedingungen verlegen Menschen, die nachts arbeiten, oft die Essensaufnahme in die Nacht – gerne kohlehydratreich, denn das macht ordentlich satt. »Die Glukoseintoleranz, an der diese Menschen oft leiden, wird wahrscheinlich durch das Essen zur ›falschen‹ circadianen Zeit verursacht«, erklärt Chellappa. Die inneren Uhren der Leber oder der Bauchspeicheldrüse registrieren die Nahrungsaufnahme und deuten dies als Signal für Tag und Aktivität – ganz im Gegenteil zu dem, was die zentrale innere Uhr wahrnimmt.

Evolutionär stellt das sicher, dass sich die peripheren Rhythmen an die Verfügbarkeit von Nahrung anpassen können. Doch die Evolution sah nicht den Lebensstil des 20. und 21. Jahrhunderts voraus, der bei manchen Menschen zu einer dauerhaften Fehlausrichtung zwischen zentraler und peripheren inneren Uhren führt. Diese Fehlausrichtung kann allerdings behoben werden, denn wie beim Jetlag pendelt sich das System mit der Zeit wieder ein – sofern keine widersprüchlichen Signale mehr geliefert werden.
 

Leben und arbeiten im All: Stress für den Schlaf-Wach-Rhythmus

Nicht nur bei Menschen, die Nachtschichten arbeiten, leidet die innere Uhr. Auch in der Luft- und Raumfahrt sind Störungen – oder Disruption – des circadianen Systems ein ernstes Problem. »In der Luftfahrt führt der rasche Zeitzonenwechsel zu Jetlag, was sich negativ auf Wohlbefinden, Schlaf, Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Flugpersonals auswirkt«, sagt Professor Dr. Daniel Aeschbach vom DLR, der an der Studie beteiligt war.

Auf der Internationalen Raumstation ISS geht die Sonne alle 90 Minuten auf und wieder unter: eine große Belastung für die Besatzung

Aufgrund ihrer Laufbahn um die Erde geht die Sonne auf der Internationalen Raumstation ISS alle 90 Minuten auf. Um der circadianen Disruption entgegenzuwirken, versuchen Astronautinnen und Astronauten daher nach einem künstlichen 24-Studen-Tag zu leben. »Dazu nutzen sie neuartige Lichtquellen und Dunkelheit. Trotzdem gibt es auch in der Raumfahrt immer wieder Situationen, in denen gegen die innere Uhr gearbeitet werden muss, insbesondere wenn bestimmte Manöver wie Andocken oder Reparaturarbeiten zu vorgegeben Zeitpunkten ausgeführt werden müssen«, sagt der DLR-Forscher. Ein besseres Verständnis, wie man circadianen Fehlausrichtungen mit möglichst einfachen Mitteln entgegenwirken kann, ist daher auch für die Luft- und Raumfahrt sehr wertvoll.


Nachtarbeit gesünder gestalten

Die Forschungsgruppe hat einen wichtigen Baustein gefunden, um zumindest ein Risiko der Nachtarbeit in Zukunft zu reduzieren. Doch sie wollen noch nicht so weit gehen, daraus konkrete Empfehlungen oder gar Arbeitsschutzregeln abzuleiten. »Da wir unter strikten Laborbedingungen gearbeitet haben, ist es schwierig, unsere Ergebnisse direkt auf die Essenspläne von Schichtarbeitern und anderen ›nächtlichen Essern‹ zu übertragen«, resümiert Frank Scheer von der Harvard-Universität. »Zukünftige Forschung wird zeigen, welche Ergebnisse praktische Interventionen bei Nachtarbeitern bringen, die ihre Mahlzeiten am Tag einnehmen, ohne dass dies ihren Schlaf stört.«.

Unklar ist auch, inwieweit Frauen und Männer unterschiedlich betroffen sind. Frühere Forschung hat bereits Unterschiede in Körperfunktionen, die der inneren Uhr unterliegen, zwischen den Geschlechtern gezeigt. Ob dies auch bei der Fehlausrichtung zwischen Glukoserhythmus und zentraler innerer Uhr der Fall ist, sollen künftige Studien mit größeren Stichproben klären. In der Zwischenzeit kann jeder und jede Einzelne die nächtlich konsumierten Kalorien- und Kohlenhydratmengen überdenken.