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Laufen lernen

Roboterentwicklung: Kölner Zoologe erforscht das Laufverhalten von vielbeinigen Tieren

Wie schaffen wir es, unfallfrei eine Treppe hinabzusteigen? Durch Erfahrung und Intuition. Darüber verfügen Roboter nicht. Sie so zu konstruieren, dass sie stabil und energiesparend auf verschiedenen Untergründen laufen können, ist gar nicht so einfach. Um den Robotern von morgen das Laufen beizubringen, erforscht ein Kölner Zoologe das Laufverhalten von Kakerlaken, Spinnen und anderen vielbeinigen Tieren.

Krabbeln, Schlängeln, Schwimmen, Trappeln: Tiere bewegen sich auf verschiedene, manchmal kuriose Weisen fort. Die meisten nutzen dazu Beine, wenngleich unterschiedlich viele: Die Bandbreite reicht von einem Beinpaar (Mensch, Vogel), über vier Beinpaare (Spinne) bis hin zu vielen dutzend Beinchen (Tausendfüßer). Kurzum: Die Lösungen der Natur für die Überwindung räumlicher Distanzen sind beeindruckend. Aber wie kommen wir konkret mit den Beinen von A nach B, welche Prinzipien stecken hinter dieser Art der Fortbewegung? Wie komplex der Vorgang eigentlich ist, der bei den meisten Tieren und Menschen eher intuitiv abläuft, zeigt die schwierige Entwicklung von Laufrobotern.

Die Laufdynamik hängt von der Anzahl der Beine ab

Obwohl Autos viel schneller sind als die meisten Tiere, haben unsere Beine klare Vorteile gegenüber Rädern – vor allem in unwegsamem Gelände und auf rutschigen Untergründen, aber auch in stark strukturierten Umgebungen, wie sie unsere Wohn- und Lebensbereiche darstellen. Bei der Entwicklung mobiler Roboter geht der Trend deshalb weg vom Rad und hin zum Bein. Nicht nur vom Menschen können sich diese Roboter dabei eine Menge abgucken – auch Schaben, Spinnen und Tausendfüßer zeigen erstaunliche Techniken, die für die Forschung interessant sind.

Dr. Tom Weihmann vom Institut für Zoologie der Universität zu Köln, Abteilung Tierphysiologie, hat eine Modellstudie über die veränderte Laufdynamik von Lebewesen in Abhängigkeit von der Zahl ihrer Antriebsbeine veröffentlicht. Dazu modellierte er verschiedene Schrittmuster unter Einfluss von Geschwindigkeit und Beinzahl – Zweibeiner, Vierbeiner, Sechsfüßer, Achtfüßer sowie Tiere mit bis zu zehn Beinpaaren. Die Publikation baut auf einer früheren Einzelstudie zu Schaben der Art Nauphoeta cinerea auf. Darin wies er nach, dass die sechsbeinigen Kakerlaken bei schnellen Geschwindigkeiten und auf verschieden rutschigen Untergründen ihr Schrittmuster anpassen.

Weihmanns Erkenntnisse liefern spannende Einblicke in physiologische Grundlagen von Bewegung und Laufstabilität: Das Insekt optimiert die Koordination seiner drei Beinpaare so, dass es schnell vorwärtskommt und gleichzeitig nicht ausrutscht. Um das zu erreichen, wechseln Kakerlaken bei höherer Geschwindigkeit in eine Form der von Islandpferden bekannten Gangart "Tölt". Dadurch können Auf- und Abbewegungen des Körpers stark reduziert und die Bewegungen gegen seitliche Störungen stabilisiert werden. Seitliche Störungen, zum Beispiel verursacht durch Wegrutschen eines oder mehrerer Füße, können die schnelle Lokomotion von Insekten besonders stark beeinträchtigen.

Auf das Gelände kommt es an

Das schnelle Laufen wird sowohl bei Menschen als auch bei Tieren dynamisch stabilisiert. Dabei greifen Sensorik, Anatomie der Laufbeine, Muskelphysiologie und neuronale Kontrolle so geschickt ineinander, dass auch komplexe Bewegungsabläufe funktionieren ohne dass über jede einzelne Bewegung nachgedacht werden muss. "Gerade bei schneller Bewegung sind die neuronalen Schaltkreise der Tiere viel zu langsam, um auf plötzliche Störungen reagieren zu können", sagt Weihmann.

Für die Konstruktion von Robotern bedeutet das, dass nur intelligente Baupläne mit integrierten Stabilisierungsmechanismen, die den Bewegungsapparat dynamisch stabilisieren, für unfallfreie Bewegungen sorgen können, meint der Zoologe. Die Natur ist in dieser Hinsicht nicht leicht zu imitieren: "Roboter müssen erst noch lernen, wann es effizient ist, die Gangart zu wechseln ", so Weihmann. "Dafür analysieren wir das  Zusammenspiel der Kräfte und Mechanismen beim Laufen, Rennen und den vielbeinigen Gangarten, um den Sinn dahinter zu verstehen. Daraus resultierende mathematische Modelle ermöglichen es dann, die zugrundeliegenden Prinzipien in die Bewegungsalgorithmen der Maschinen zu übertragen."

Fortbewegung als komplexes Modell

Die bisher gelungenste Umsetzung hoch entwickelter Stabilisierungsmechanismen sind beispielsweise in den Robotern Spot und SpotMini der amerikanischen Firma Boston Dynamics enthalten. Diese Roboter erreichen zwar bisher keine ausgesprochen hohen Geschwindigkeiten – im Gegensatz zu deren Roboter WildCat, der galoppieren kann – doch sie laufen sehr sicher. Obwohl diese Roboter teilweise schon erstaunlich behände sind und nutzen bisher nur wenige vierbeinige Roboter Gangartwechsel zur Optimierung von Energieverbrauch und Stabilität. Vor allem aber erreichen sie noch nicht die Vielseitigkeit, über die ihre tierischen Vorbilder verfügen.

Das liegt unter anderem an den Schwierigkeiten der Bewegung auf unbekanntem Untergrund. Wie er sich in einer konkreten Situation bewegen muss, weiß der Laufroboter nicht intuitiv. "Wenn es um den konkreten Bauplan von Laufrobotern geht, insbesondere um die Frage, wie viele Beine verbaut werden sollen, kommt auch meine neueste Studie ins Spiel: Erkenntnisse zur Koordination von Sechsbeinern können nicht unmittelbar auf Vierbeiner übertragen werden – und umgekehrt." erläutert Weihmann.

Um ein dynamisches Modell erfolgreich auf die Maschine zu übertragen, müsse das Beinzusammenspiel vielmehr in Abhängigkeit von der Anzahl der zu koordinierenden Beine exakt beschrieben sein. Das Modell bezieht neben der Beinzahl auch die Art des Energiespeichers mit ein: ob ein Organismus in der Lage ist sich federnd fortzubewegen. Die typischen Auf- und Abbewegungen des Körpers kann man zum Beispiel bei rennenden Menschen oder trabenden Schaben beobachten.

Nicht alle Tiere federn beim Laufen

Dass Fortbewegungsmuster nicht ausschließlich von der Beinzahl abhängen, wird ersichtlich, wenn man eine vierbeinige, langsame Schildkröte mit einem ebenso vierbeinigen, aber blitzschnellen Geparden vergleicht. Dafür sei unter anderem der Unterschied im Energiespeicher beider Tiere verantwortlich: Um sich möglichst energieeffizient fortzubewegen, nutzen viele Tiere wie der Gepard – aber eben nicht die Schildkröte – Strategien zur Rückgewinnung von Bewegungsenergie. Ein Teil der Energie wird hierbei während eines Schrittes in elastischen Strukturen zwischengespeichert und für den nächsten Schritt wiederverwendet. Beim Menschen sind diese elastischen Strukturen beispielsweise die Achillessehne und das Fußgewölbe.

Die Schildkröte verfolgt eine ganz andere Strategie, um energieeffizient voranzukommen; sie tut dies mithilfe sehr langsamer, aber sehr energieeffizienter Bewegungsabläufe zeigen, die denen von Tieren recht nahe kommen, haben sie meist noch einen deutlich höheren Energieverbrauch als Tiere. Auch Muskulatur. Elastische Energiespeicherung spielt dabei keine Rolle. Weihmann: "Langsame Muskelfasern verbrauchen deutlich weniger Kraftstoff als schnelle Muskelfasern. Aber nur schnelle Muskulatur erlaubt auch die Nutzung elastischer Mechanismen." Schildkröten sind also auf ihre eigene Weise sehr energieeffizient, dabei aber nicht gerade schnell.

Je mehr Beine, desto komplizierter wird es

In seiner Einzelstudie an der Schabe und in seiner Modellstudie an den verschiedenfüßigen Tieren zeigte Weihmann ein grundlegendes Prinzip auf: Eine größere Zahl an Beinen behindert die Energierückgewinnung zunehmend. Mehr Beine erfordern dabei eine deutlich stärkere zeitliche Synchronisation. Schon kleine zeitliche Abweichungen verhindern die effiziente Nutzung elastischer Energiespeichermechanismen.

Elastische Bewegungsmuster lassen sich daher nur bei Tieren mit wenigen Laufbeinpaaren beobachten. Dies ist ein wichtiger Impuls für die angewandte Wissenschaft: Energetisch effiziente Gangarten wurden bereits in einer ganzen Reihe zwei- und mehrbeiniger Roboter umgesetzt, doch gerade die Auswirkungen unterschiedlicher Beinzahlen auf den Energiehaushalt wurden bisher noch nicht untersucht. Weihmann: "Die neuen Erkenntnisse liefern eine zusätzliche Basis für eine Fülle neuer neuro-mechanischer Modellierungsansätze, was zu verbesserten Kontrollmechanismen schnell laufender, vielbeiniger Roboter beitragen kann."