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Gespieltes Leid

Angehende Medizinerinnen erlernen kommunikative Fähigkeiten anhand simulierter Krankenfälle

Ärztin hält die Hand eines Patienten

Medizinisches Fachwissen reicht nicht aus, um ein guter Arzt oder eine gute Ärztin zu sein. Kommunikative Fähigkeiten sind entscheidend – besonders wenn es darum geht, Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Diagnosen zu konfrontieren. Dies lernen angehende Medizinerinnen und Mediziner an der Uni Köln anhand simulierter Krankenfälle.

»Ich wünschte, ich hätte andere Nachrichten für Sie und die Therapie Ihrer Krebserkrankung wäre weiterhin sinnvoll und nützlich«, sagt ein junger Mann zu einer Frau, die in einem Krankenhausbett liegt. Es entsteht eine lang anmutende Pause auf die schlechte Nachricht. »Was geht gerade in Ihnen vor?«, hakt er nach.

In dieser Situation geht es zum Glück nicht um Leben und Tod: Die Frau ist Schauspielerin, der junge Mann ein angehender Arzt in der letzten Phase seiner Medizinerausbildung. Die Universität zu Köln arbeitet seit mittlerweile neun Jahren mit Schauspielern und Schauspielerinnen zusammen, die unterschiedliche Krankheitsbilder simulieren und verschiedene Reaktionen auf eine Diagnose zeigen. Das soll die angehenden Ärztinnen und Ärzte nach langen Jahren des Paukens von Fachwissen auf ihren Berufsalltag vorbereiten. Denn neben Diagnostik und Behandlung wird auch das Überbringen schlechter Nachrichten ein wichtiger Teil ihres Berufs sein.

Kurz vor dem Praktischen Jahr (PJ) verbringen die Studierenden der Humanmedizin im sogenannten PJ-StArT-Block eine Woche auf einer Simulationsstation am Kölner Interprofessionellen Skills Lab & Simulationszentrum (KISS-Lab). Hier liegt zwischen zwei Behandlungszimmern immer ein Beobachtungsraum. Durch einen halbdurchlässigen Spiegel können Kursleiter und Mitstudierende das Geschehen beobachten, über einen Kopfhörer auch den Ton hören.

PJ-StArT-Block
STArT steht für Schlüsselkompetenz-Training und -Anwendung in realitätsnahen Tagesabläufen. Das Programm entstand aus dem vom Rektorat geförderten Projekt zur Innovation in der Lehre, dem so genannten EISBÄR (Entwicklung und Integration von Schlüsselkompetenzen des Berufsbildes von Ärztinnen und Ärzten). Seit Oktober 2011 wird das Projekt aus den Sondermitteln des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung NRW (heute: Ministerium für Kultur und Wissenschaft) zur Qualitätsverbesserung von Studium und Lehre weiterfinanziert.  

»Ärzte zögern in der Regel, gezielt nach den emotionalen Konsequenzen einer Erkrankung zu fragen«, sagt Dr. Guido Schneider in Bezug auf die eben beobachtete Situation und das Nachhaken des Studenten. Der Anästhesist an der Uniklinik Köln ist nicht nur Notfall-, sondern auch Palliativmediziner. Seine Erfahrung ist, dass die Vermittlung schlechter Nachrichten bei allen Beteiligten Gefühle auslöst. Auch wenn die »schlechte Nachricht« dadurch nicht besser wird, könne man sie aber menschlich und kompetent überbringen. »Max Frisch hat das mal schön auf den Punkt gebracht: ›Man sollte die Wahrheit dem anderen wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschlüpfen kann – nicht wie ein nasses Tuch um den Kopf schlagen.‹ Das wollen wir den Studierenden mit auf den Weg geben«, sagt Schneider.

Organisiert wird der Kurs vom gelernten Theaterpädagogen Christian Thrien, der selbst früher Simulationspatient war. Er ist überzeugt, dass die Kommunikation zwischen Arzt und Patient gelernt werden muss. In einer komplexen Situation zwischen Diagnostik und Behandlung ist es oft nicht einfach, dieses Wissen anzuwenden. »Da müssen Ärztinnen und Ärzte umfangreiches Wissen über Krankheitsbilder und Therapien, aber auch soziale Faktoren, rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen und anderes mehr mit einer Fülle von Informationen über einen konkreten Patienten in Bezug setzen. Das braucht Übung, bevor es ernst wird«, sagt er.

Dazu kommt, dass Patienten unterschiedliche Temperamente haben. In einem Fall simulieren zwei Schauspieler eine allergische Reaktion auf das Schmerzmittel Novalgin und »erleiden« einen anaphylaktischen Schock. Nun müssen die Studierenden mit ihnen darüber sprechen, was passiert ist. Die Schauspieler simulieren zwei mögliche Patientenreaktionen: Der eine ist aufgebracht, wütend und verständnislos, wie es zu dem Zwischenfall kommen konnte. Der andere hingegen ist völlig verunsichert und ängstlich.

Einfühlsam kommunizieren

Auch im Umgang mit Patienten im Endstadium einer Krankheit müssen sich die zukünftigen Mediziner auf ein breites Spektrum an Reaktionen gefasst machen. Wie fühlt es sich an, einem Menschen zu sagen, dass nicht mehr mit Besserung zu rechnen ist und er sich auf das Ende gefasst machen sollte? Diese Erfahrung macht dieses Jahr Manuel*. Er wird gleich durch die Tür treten, hinter der Frau Taler auf ihn wartet.

Die Patientin ist etwa fünfzig Jahre alt und sitzt seit heute im Rollstuhl. Eigentlich ist sie wegen eines Lungenkrebs in Behandlung – doch auf einmal konnte sie ihre Beine nicht mehr spüren. Bevor Manuel eintritt, erhält er noch die aktualisierte Diagnose. Der Tumor der Frau ist trotz Behandlung weiter gewachsen, Metastasen in der Wirbelsäule belasten das Rückenmark und verursachen die Gefühllosigkeit in den Beinen. Da die erhoffte Verbesserung durch die Chemotherapie ausgeblieben ist, muss der angehende Mediziner der Frau erklären, dass die Tumortherapie nicht mehr sinnvoll ist und nun das Behandlungsziel ausschließlich auf Linderung abzielen wird. Keine leichte Aufgabe. Entsprechend spürbar ist die Anspannung im angrenzenden Beobachtungsraum.

Sobald Manuel das Behandlungszimmer betritt, verstummen die Gespräche. »Guten Tag, Frau Taler, wie geht es Ihnen heute?«, fragt er beim Betreten des Zimmers – und erntet dafür ein: »Wie soll es mir schon gehen? Ich kann nicht mehr laufen.« Nach dem holprigen Start läuft es aber besser für den Studenten.

Dabei hilft ihm das sogenannte SPIKESSchema für das Überbringen schlechter Nachrichten. Nach diesem Schema soll zunächst eine angenehme, ungestörte Gesprächssituation geschaffen werden. Danach wird die Patientenwahrnehmung der Erkrankung abgefragt. Anschließend geht es um den Informationswunsch: Was will der Patient überhaupt erfahren? Wie groß sind seine medizinischen Kenntnisse? Zuhören, Gefühle wahrnehmen und zulassen, dem Patienten Raum geben. Das Schema schließt mit der Zusammenfassung und der Strategie: Sind alle Nachrichten richtig angekommen, gibt es noch Fragen? Dieses Vorgehen ist nicht auf die Medizin beschränkt, sondern lässt sich generell anwenden, wenn es darum geht, schlechte Nachrichten zu überbringen.

SPIKES-Schema
Setting: Die Situation muss stimmig, die Atmosphäre ungestört sein »Perception«: Patienten ermutigen eigenen Kenntnisstand wiederzugeben Invitation: Fragen, was Patienten überhaupt erfahren möchten Knowledge

Nach gut 15 Minuten ist Manuel fertig. Die Patientin hat für den Moment keine weiteren Fragen und er verlässt den Raum. Nach einer kurzen Erholungspause geht es mit einer Feedbackrunde weiter. An dieser nimmt auch die »Patientin« teil, die auf einmal wieder laufen kann – zum Glück ist ja alles nur gespielt. Das Gespräch wurde aufgezeichnet und kann von allen, inklusive des »Arztes«, noch einmal geschaut werden. Zunächst soll Manuel beschreiben, wie er die Situation empfunden hat. Er ist ganz und gar nicht zufrieden mit seinem Auftritt: »Ich hatte kein gutes Gefühl und den Eindruck die Patientin emotional nicht zu erreichen.« Doch Patientin, Kursleiter und Studierende können ihn beruhigen. Aus ihrer Sicht hat Manuel einfühlsam und souverän agiert, auch wenn man seine Nervosität am Anfang gespürt habe. »Besonders wenn es auf das Lebensende zugeht, ist klare, empathische Kommunikation wichtig. Das kann Sicherheit in unsicheren Zeiten vermitteln «, sagt Kursleiter Guido Schneider.

Unerwartete Situationen meistern

Nicht immer können die Studierenden schon mit einer Diagnose in das Behandlungszimmer gehen. Sie lernen auch, eine Diagnose zu stellen und einfühlsam zu erklären. Herr Schirrmacher ist mit Bauchschmerzen in der Notaufnahme. Diesmal betritt Bastian* das Behandlungszimmer – und sammelt erste Minuspunkte, weil er vergisst sich vorzustellen. Die Kommilitonen beobachten Bastian durchaus mit strengem Blick. Er erfragt Vorerkrankungen, seit wann die Schmerzen vorhanden sind und wo es besonders weh tut. Danach tastet er den Bauch ab und sammelt dabei Pluspunkte beim langjährigen Schauspielpatienten. Denn Bastian arbeitet sich vorsichtig von nicht schmerzenden Punkten vor zu der Stelle, wo es besonders weh tut. Schnell hat Bastian einen Verdacht: Es muss wohl der Wurmfortsatz des Blinddarms sein, der die Schmerzen verursacht. Er sagt dem Patienten, dass zunächst weitere Diagnostik nötig sei und verlässt das Zimmer. Damit ist Bastians Job erledigt und eine Kommilitonin übernimmt.

Auf dem Flur werden Sophie* auch schon die »Testergebnisse « in die Hand gegeben. Die Studentin erklärt dem Patienten, er habe eine Blinddarmentzündung und müsse operiert werden. So weit, so gut, doch an dieser Stelle haben die Organisatoren einen Stolperstein gelegt. Der Patient ist mit seinen zwei Kindern gerade erst nach Köln gezogen, hat keine Verwandtschaft in der Nähe und noch keinen Anschluss gefunden. Was also soll mit den Kindern passieren, die noch in der Schule sind? Kurz ist Sophie überrumpelt, doch schnell findet sie eine Lösung: Der Sozialdienst des Krankenhauses kann sich um die Versorgung der Kinder kümmern, während der Patient operiert wird. Für heute haben es die angehenden Mediziner geschafft, doch schon am nächsten Tag warten neue Herausforderungen. So unterschiedlich wie Menschen sind, können auch ihre Reaktionen ausfallen. Das Training mit den Simulationspatienten ist eine gute Übung, die die neue Medizinergeneration auf gute Kommunikation vorbereitet – in schönen und in schwierigen Situationen.

* Namen wurden geändert