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Ein Stein erzählt Geschichte

Prof. Silviane Scharl, Institut für Ur- und Frühgeschichte, über ihre Begeisterung für Steine

Schon als Kind begeisterten mich alle Arten von Steinen. Entsprechend groß war meine Sammlung an Stücken, die besondere Farben, mineralische Adern oder auffällige Oberflächen aufwiesen. Bei einem Spaziergang entdeckte ich eines Tages in einem Maulwurfshügel ein ganz besonderes Exemplar – es war etwa 10×10 Zentimeter groß und auffällig rosa gefärbt. Zudem wies der Stein eine seltsame Oberfläche auf: er sah speckig glänzend aus und fühlte sich fast »weich« an.

Erst Jahre später verstand ich, was ich da eigentlich gefunden hatte. Ich komme aus einer Region, die durch jurazeitliche Geologie geprägt ist. In den Jurakalken eingelagert finden sich Feuersteine, oder Hornsteine. Die Menschen der Steinzeit verwendeten sie, um ihre Werkzeuge herzustellen. Speziell in der Mittelsteinzeit – die Zeit der letzten Jäger und Sammler von circa 9600 bis 5500 vor Christus – entwickelten unsere Vorfahren die Technik des sogenannten »Temperns«: Sie erhitzten Feuerstein auf mehrere hundert Grad um die Spalteigenschaften zu verbessern und damit die Werkzeugherstellung zu erleichtern. Dieses Erhitzen führt beim Jurahornstein zu einer markanten Rosafärbung und einem speckigen Glanz.

Als ich anfing Archäologie zu studieren, hörte ich zum ersten Mal von diesen getemperten Steinen. Ich stellte fest, dass das komplette Tal, aus dem ich komme, voll ist mit mittelsteinzeitlichen Fundstellen. Die letzten Jäger und Sammler hatten hier offenbar gute Lebensbedingungen vorgefunden.

Der Stein hatte mir plötzlich eine ganz neue Perspektive auf meine vermeintlich altbekannte Heimat eröffnet: Die Besiedlung reichte nicht nur zurück ins Mittelalter, bis zur ersten urkundlichen Nennung, sondern viele Jahrtausende weiter. Diese Erkenntnis und mein Archäologiestudium haben in mir das Bewusstsein geweckt, dass unsere individuelle Existenz nur ein Wimpernschlag in der langen Menschheitsgeschichte ist. Gerade deswegen sollten wir uns und unsere Wünsche vielleicht nicht immer so wichtig nehmen und zukünftigen Generationen einen Planeten hinterlassen, auf dem es sich auch in den kommenden Jahrtausenden leben lässt.