In Krisen schadet egoistisches Verhalten allen. Wer kooperiert, wird also langfristig selbst profitieren. Doch was ist, wenn bei Alleingängen kurzfristige Vorteile winken? Kölner Forschung zeigt, unter welchen Bedingungen Kooperation gelingt.
Von Charlotte Pekel
Stellen Sie sich vor, Sie gehören einer Gruppe von vier Personen an. Jede*r bekommt zehn Euro. Sie haben verschiedene Möglichkeiten, mit dem Geld umzugehen und wissen nicht, wie die Anderen sich entscheiden. Geben alle das Geld in einen Topf, verdoppelt sich der Wert und jeder bekommt zwanzig Euro zurück. Zahlt niemand in den Topf ein, gehen alle mit zehn Euro nach Hause.
Die höchstmögliche Summe würden Sie erzielen, wenn Sie Ihren Anteil behalten und darauf vertrauen, dass alle anderen einzahlen. In dem Fall wären 30 Euro im Topf, die auf 60 verdoppelt würden. Sie erhielten zu den eigenen 10 Euro ein Viertel aus dem Topf und gingen mit 25 Euro nach Hause. Die anderen jedoch nur mit 15. Was würden Sie tun?
Mit Experimenten wie diesem erforscht der Verhaltensökonom Dr. Felix Kölle am Exzellenzcluster ECONtribute an der Universität zu Köln, was Menschen dazu bringt, zu kooperieren. »Es geht immer um die Frage: Was ist gut für mich und was ist gut für die Gruppe?«, sagt er. Im Fall oben profitiert eine Person finanziell am meisten, wenn sie nur an sich denkt und darauf vertraut, dass alle anderen kooperieren werden. Denken alle so egoistisch, gewinnt jedoch niemand etwas hinzu.
Die klassische Ökonomie geht davon aus, dass Menschen egoistisch sind. Das wohl bekannteste Menschenbild der Ökonomie ist der Homo Oeconomicus – eine Person, die ausschließlich rational und zum eigenen Vorteil handelt, um seinen Nutzen zu maximieren. Aber Felix Kölle sieht in seiner Forschung oft etwas Anderes: »Wir sind soziale Wesen, denen Gerechtigkeit am Herzen liegt.« Etwa die Hälfte der Menschen sei bereit zu kooperieren, auch wenn sie nicht wissen, ob Andere dazu bereit sind. 25 Prozent sind reine Egoisten. Wenn Andere kooperieren, sind sogar 70 Prozent der Menschen bereit dies auch zu tun. Manche Menschen (circa fünf Prozent) seien sogar reine Altruisten, die versuchen, immer zum Wohle anderer zu handeln.
Nach einem Jahr der Krisen lassen diese Erkenntnisse aufhorchen. Krieg, Klimawandel und die Coronapandemie – ihre schlimmsten Folgen resultieren aus egoistischem Verhalten. Sie können jedoch nur durch Kooperation bewältigt werden. Um den Menschen in der Ukraine, in Syrien oder dem Jemen zu helfen und bei den Kriegsparteien wirksam zu vermitteln, müssen Länder gemeinsame Sanktionen beschließen sowie militärische und humanitäre Hilfen umsetzen. In der Wirtschafts- und Energiekrise sind viele EU-Staaten auf Subventionen aus dem gemeinsamen Haushalt angewiesen. Zudem plant die EU-Kommission gemeinsame Gaseinkäufe.
Im Kampf gegen den Klimawandel muss die globale Staatengemeinschaft effektive Klimaziele festsetzen und gemeinsam CO2 einsparen. Und seit Beginn der Coronapandemie ist klar, dass eine Gesellschaft auf Solidarität angewiesen ist, um ihre Mitglieder zu schützen. Aber was bringt Menschen dazu, ohne einen unmittelbaren Vorteil für sich selbst auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten?
Es braucht Vertrauen und ein greifbares Ziel
»Kooperationsprobleme sind soziale Dilemmata «, sagt Felix Kölle. Zur Sorge, selbst nicht vom eigenen Einsatz zu profitieren, kommt die Unsicherheit, ob die anderen überhaupt kooperieren wollen. Die meisten Menschen seien »bedingte Kooperateure«, so Kölle. Sie sind generell bereit zu kooperieren, wenn andere das auch tun. In der Forschung heißt dieses Phänomen Reziprozität und lässt sich auf die Formel »Wie du mir, so ich dir« herunterbrechen. »Das ist einerseits eine positive Nachricht«, sagt Kölle. Allerdings sei diese Einstellung auch anfällig: Ist eine Person in der Gruppe nicht bereit zusammenzuarbeiten, dann wird selbst jemand, der eigentlich bereit ist zu kooperieren, irgendwann egoistisch – weil er nicht dauerhaft einen Nachteil haben will.
Reziprozität – In der Kooperationsforschung ist mit »Gegenseitigkeit« das Phänomen gemeint, dass Menschen kooperieren, wenn Andere dies auch tun. Oder umgekehrt: Wer denkt, dass seine Mitmenschen nicht kooperieren, handelt selbst egoistisch.
Damit Kooperation funktioniert, brauche es Vertrauen. Dabei hilft Kölle zufolge Kommunikation. Menschen müssten miteinander sprechen, damit sie sich auf die Kooperationsbereitschaft des Anderen verlassen können. Auch Bestrafung und Belohnung – negative und positive Anreize – könnten helfen. Wenn der WG-Mitbewohner, der sich nicht an den Putzplan hält, in die WG-Kasse einzahlen muss, sei das ein negativer Anreiz.
Ein Beispiel für einen positiven Anreiz sind Bonuszahlungen im Job. Klassischerweise zahlen Unternehmen sie für besonders hohe Profite aus. Sie können aber auch als Belohnung für gute Teamarbeit eingesetzt werden, um die Kooperation innerhalb eines Teams zu fördern und gemeinschaftlich erzielte Arbeitsergebnisse zu honorieren.
Solche Anreize wirken aber nur bedingt. »Wenn ein Leistungsbonus weit in der Zukunft liegt, kooperieren Menschen deutlich weniger, als wenn sie den Bonus unmittelbar erhalten«, fand Kölle heraus. Die Kooperationsrate sinke um die Hälfte. Um ihre Mitarbeitenden zu produktiver Teamarbeit zu bewegen, könnten Arbeitgeber*innen Boni direkt am Ende eines Projekts statt zum Ende eines Jahres zahlen.
Beim Einsatz für den Klimaschutz zählt Fairness
Was Kölle auf individueller Ebene beobachtet, lässt sich auch auf die Bewältigung globaler Krisen übertragen. Der Politikwissenschaftler Professor Dr. Michael Bechtel erforscht am Kölner Standort von ECONtribute unter anderem, unter welchen Umständen Menschen kostspielige Klimaschutzmaßnahmen unterstützen. Er untersucht hierbei die Kooperationsbereitschaft sowohl im eigenen Land als auch auf internationaler Ebene. »Die Zustimmung ist größer, wenn sich viele Länder effektiven internationalen Klimaschutzabkommen anschließen«, erklärt Bechtel.
Menschen seien eher bereit, die Kosten von Klimaschutzmaßnahmen mitzutragen, wenn andere Länder auch investieren und andernfalls sanktioniert werden können. Hierbei spiele Gerechtigkeit eine entscheidende Rolle: Die Unterstützung für Klimaabkommen sei höher, wenn die großen Klimasünder, wie die USA, China oder Indien, mehr zahlen müssen.
Ein Problem sehen beide Wissenschaftler im unterschiedlich hohen Wohlstand der Länder: »Wenn Einkommen und Fähigkeiten ungleich verteilt und Menschen unterschiedlich stark betroffen sind, erschwert das die Kooperation«, berichtet auch Felix Kölle aus seiner Forschung. Deshalb streiten sich die Mächtigen wie zuletzt im November auf der Weltklimakonferenz COP27 darüber, wie viel Einsatz fair wäre.
Neben den Voraussetzungen für internationale Abkommen untersucht Michael Bechtel, wann Menschen die Klimapolitik im eigenen Land unterstützen. Klimaschutz sei nicht nur abhängig davon, was ein Land oder einzelne Bürger*innen dafür tun, sondern davon, was alle tun. »Deshalb ist Kooperation hier so wichtig, aber auch so schwer«, sagt Bechtel.
Ein Problem des Klimaschutzes sei, dass seine Vorteile erst in Jahrzehnten oder Jahrhunderten spürbar werden, was den Anreiz für Kooperation schwächt. Die Hauptprofiteure seien noch nicht geboren. Bechtel nennt es ein Kooperationsdilemma: »Beim Klimaschutz gibt es einen starken Anreiz darauf zu hoffen, dass andere etwas tun werden, und man selbst in den Genuss der Vorteile kommt«, erklärt Bechtel. Gerade auf nationaler Ebene sei Klimaschutz mit privaten Kosten verbunden, die einem kollektiven Zweck dienen – die aber nicht jeder Bürger zahlen will oder kann.
Kooperationsdilemma – Das Phänomen ist umgangssprachlich auch als Trittbrettfahrer-Phänomen bekannt: Menschen sind geneigt, sich in einer Gruppe darauf zu verlassen, dass sich Andere für das Gemeinwohl einsetzen, und entziehen sich selbst aber den damit verbundenen Kosten.
Wer geht voran?
Damit jede*r Einzelne etwas beiträgt, könnte auch beim Klimaschutz das Prinzip der Reziprozität gelten: Wenn Sie bereit sind etwas zu tun, tue ich auch etwas. Menschen ginge es um Fairness, aber auch um Wirksamkeit von Maßnahmen. »Die Befragten in unserer Studie sind der Meinung, dass innenpolitische Klimaschutzmaßnahmen eher helfen, wenn sie in internationale Abkommen eingebunden sind«, sagt Michael Bechtel. Ob jemand höhere Preise für Fleisch und Sprit in Kauf nimmt und bereit ist, eine CO2-Steuer zu zahlen, hänge davon ab, ob andere Länder sich auf ähnliche Bedingungen einlassen.
Auf globaler Ebene brauche es Länder, die vorangehen. »Ohne China, Indien und die USA geht es nicht«, meint Bechtel. Doch hier steckt auch das Problem: Wer sich zum »Leader«, zum Anführer erklärt, mache sich verwundbar, gibt Felix Kölle zu Bedenken: Was ist, wenn die anderen nicht mitziehen? Hier seien wieder positive und negative Anreize notwendig. Bislang gebe es keine Sanktionen für Länder, die ihre Klimaschutzversprechen nicht einhalten.
Die Forschung von Michael Bechtel und Felix Kölle zeigt, dass Kooperation auf persönlicher wie auf politischer Ebene ähnlich funktioniert. Felix Kölle ist optimistisch: Menschen seien grundsätzlich bereit zu kooperieren und sich sozial zu verhalten.
Man kann viel erreichen, indem man miteinander spricht, glaubt Kölle. Der Mensch sei eine sehr kooperative Spezies im Vergleich zu anderen Lebewesen: »Wir sind häufig in der Lage, mit wildfremden Menschen zu kooperieren und etwas zu erreichen, zu dem wir allein nicht fähig gewesen wären.« Eine hoffnungsvolle Botschaft in Krisenzeiten.
ECONTRIBUTE: MARKETS & PUBLIC POLICY
ECONtribute ist der einzige von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Exzellenzcluster in den Wirtschaftswissenschaften, getragen von den Universitäten in Bonn und Köln. Der Cluster forscht zu Märkten im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Ziel ist es, Märkte besser zu verstehen und Marktversagen in Zeiten sozialer, technologischer und wirtschaftlicher Herausforderungen – wie zunehmender Ungleichheit, globalen Finanzkrisen und Digitalisierung – mit einer neuen Herangehensweise zu analysieren.