Nach Giorgio Agamben, Noam Chomsky und Bruno Latour kommt auch in diesem Jahr hochkarätiger Besuch an die Uni: Judith Butler, Ikone der Gender-Forschung und vielfach ausgezeichnete Professorin für Rhetorik, Vergleichende Literaturwissenschaft und Kritische Theorie an der University of California, Berkeley, hat den Ruf auf die renommierte Albertus Magnus Gast-Professur (AMP) angenommen. Weltweit zählt Butler zu den einflussreichsten Geisteswissenschaftlerinnen. Ein Gespräch mit Professor Dr. Andreas Speer über Geschlechterrollen, Politik und Wissenschaft sowie Butlers spezielle Themen für Köln.
Herr Professor Speer, Judith Butler kommt nach Köln. Was können wir erwarten?
Mit Judith Butler werden wir eine sehr interessante und engagierte Wissenschaftlerin zu Gast haben, die mit ihrem kritischen Geist schon seit drei Jahrzehnten beharrlich wichtige Fragen und Themen anspricht. Für viele Studierende, Forscherinnen und Forscher ist sie eine regelrechte Ikone, vor allen Dingen im Bereich der Gender Studies. Sie ist aber mit ihren Themen weit darüber hinaus verankert. In den letzten Jahren hat sie sich vor allem der politischen Theorie und der gesellschaftlichen Theorie zugewandt und dort nachhaltig Stellung bezogen. An alle diese Bereiche wird sie mit ihren Vorlesungen und Seminaren in Köln anknüpfen.
Wie ist die Idee entstanden, dieses Jahr Judith Butler als AMP nach Köln zu holen?
Die Idee stand schon länger im Raum und wurde von verschiedenen Seiten an mich in meiner Funktion als Rektoratsbeauftragter für die AMP herangetragen. Wir freuen uns sehr, dass in diesem Jahr terminlich alles zusammenpasst und Frau Butler zusagen konnte. Indem sie ihre wissenschaftlichen Positionen mit gesellschaftlicher Verantwortung und Öffentlichkeit verbindet, verkörpert sie das Anliegen der AMP, Wissenschaft in den öffentlichen Raum zu tragen, par excellence. Und zum Glück genießt die AMP inzwischen offenbar ein so hohes Ansehen, dass man als Gastgeber gar keine große Überzeugungsarbeit mehr leisten muss. Unsere Gastprofessur reiht sich ein in die Liste derjenigen Einladungen, die man im Laufe einer akademischen Karriere besonders gerne annimmt. Das freut mich sehr.
Welche Themen hat Butler speziell für Köln im Gepäck? Wird sie auch auf die aktuelle politische Lage, zum Beispiel im Hinblick auf die Kölner Silvesternacht, Bezug nehmen?
Ihre Vorlesungen wird Butler speziell für uns konzipieren. Es ist daher gut denkbar, dass sie auch auf die gegenwärtige Situation in Deutschland Bezug nehmen wird, zum Beispiel auf unseren Umgang mit Fremden und in diesem Kontext auch auf die verschiedenen Auffassungen von Geschlechterrollen, die in Gesellschaften zu Spannungen führen können. Die Fragen, die uns zurzeit umtreiben, spielen ja in Butlers Forschung seit jeher eine wichtige Rolle: Was führt uns dazu, die Andere oder den Anderen zu respektieren? Warum billigen wir Menschen Schutz zu und warum entziehen wir ihn auch wieder? Ihre beiden Vorlesungen in Köln – „Ethik und Politik der Gewaltlosigkeit“ sowie „Verletzlichkeit und Widerstand neu denken“ passen sehr gut in diesen Zusammenhang. Vieles hat sich bei Butler zwar aus der Gender-Theorie heraus entwickelt, doch sind diese Fragen zugleich vor dem Hintergrund eines viel breiteren Horizonts zu sehen, der in die verschiedensten Bereiche hineinwirkt. Geschlecht ist da ein besonders markantes, aber längst nicht das einzige Beispiel dafür, wie innerhalb von Gesellschaften und Herrschaftssystemen Friktionen entstehen, konstruiert und durchgesetzt werden.
Glauben Sie, dass Judith Butlers Vorlesungen und Seminare für Zündstoff sorgen werden?
Universität ist Debatte, Universität ist Diskussion. Eine lebendige Kontroverse ist genau unser Ziel. Judith Butlers Vorlesungen werden sicherlich vielerlei Anknüpfungspunkte bieten. Wir erleben in diesen Wochen, in denen gerade in Europa revisionistische Kräfte in Wahlen bedenkliche Erfolge feiern, dass wir für viele Dinge, die wir für selbstverständlich genommen haben, offenbar wieder kämpfen müssen – sei es unser Verständnis von Demokratie und politischer Partizipation, sei es die Europa-Idee. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie Gesellschaften eine Zukunft gewinnen können und nicht Gefahr laufen, immer mehr von einer Spirale der Gewalt beherrscht zu werden. Ähnliche Themen treiben auch Butler um, wenn auch mit Blick auf andere Kontexte wie zum Beispiel ihre Heimat USA oder den Israel-Palästina-Konflikt.
Welchen Beitrag zu diesen aktuellen politischen Fragen kann Wissenschaft tatsächlich leisten?
Universitäten dürfen hinsichtlich der Relevanz ihrer Arbeit durchaus selbstbewusst sein. Ein nicht zu unterschätzender Beitrag, den wir für das Verständnis gesellschaftlicher Prozesse leisten, ist der des sachlichen Argumentierens, des gründlichen Nachdenkens, des Sich-Zeit-Nehmens für die Komplexität eines Problems. Nur so können wir deutlich machen, dass es keine einfachen Lösungen gibt, wie Populisten sie versprechen. Denn viele unserer drängenden Probleme und Fragen sind komplex, also können auch die Antworten nicht einfach sein.
Sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler politisch offen Stellung beziehen? Hinsichtlich ihrer Äußerungen zu Israel und Palästina ist Judith Butler mehrfach heftig kritisiert worden.
Solange innerhalb einer Schrift oder eines Vortrags deutlich wird, wann es sich um eine allgemeine, analytische Darlegung eines Problems handelt und wann um einen persönlichen Standpunkt, stellt das für mich überhaupt kein Problem dar. Wir Wissenschaftler sind Staatsbürger wie alle anderen auch. Und dass Wissenschaftler in einem Elfenbeinturm leben, ist eine falsche Vorstellung. Die Debatten, die wir mit Veranstaltungen wie der AMP anstoßen, machen das immer wieder deutlich.
Judith Butler gilt als eine Art Popstar der Wissenschaft. Unzählige Artikel, Interviews, Filme über sie sind entstanden. Ist das ein typisch amerikanisches Phänomen? Oder liegt es in ihren Themen und ihrer Persönlichkeit begründet?
Bisher ist die Reaktion auf Butlers Kommen tatsächlich der größte Hype nach Noam Chomsky. Ich finde es großartig, dass nicht nur Fußballspieler oder Rockstars Leute begeistern, sondern auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das war es doch, was schon die antiken Philosophen vermitteln wollten: Denken ist cool! Butler bietet hier für viele Menschen Bezugspunkte. Bei der diesjährigen AMP arbeiten wir zudem nicht nur mit der a.r.t.e.s. Graduate School, sondern auch ganz gezielt mit dem interfakultären Zentrum GeStiK, den Gender Studies in Köln, zusammen. Aber nicht nur in diesem Bereich, auch in den Literaturwissenschaften ist das Interesse der Studierenden und Forschenden groß. Viele wollen die Autorin jener Texte, die sie vielleicht schon seit Jahren rezipieren, auch einmal live kennenlernen. Ich habe aus der Kommunikation mit Butler den Eindruck einer zurückhaltenden Persönlichkeit gewonnen, die eher erstaunt ist über die Funktion, die sie einnimmt. Wenn man wie sie in der Öffentlichkeit steht, hat man eine enorme Verantwortung. Mit dieser geht sie sehr überzeugend um. Dadurch wird sie zu einer großartigen Identifikationsfigur.
Judith Butler an der Uni Köln - Stimmen zur Veranstaltung am 20.06.2016