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Was wir in Zukunft essen

Pflanzen so ertragreich wie möglich machen: Damit wollen Forscherinnen und Forscher den Hunger in der Welt bekämpfen. Doch der Klimawandel stellt hohe Ansprüche an die Organismen. Ein Ansatz sind von der Industrie vernachlässigte Nutzpflanzen. 

Aussenansicht des CEPLAS-Gebäudes durch Glasfront mit Pflanzenlabor

Die in Indien verbreitete Straucherbse liefert viel Eiweiß und Ballaststoffe, die stärkehaltige Yamswurzel ist in zahlreichen Ländern Afrikas ein Grundnahrungsmittel und das Knollengewächs Maniok ist in Nigeria, Brasilien und Indonesien weit verbreitet. Straucherbse, Yamswurzel und Maniok sind drei Beispiele sogenannter Orphan Crops, also »verwaister oder vernachlässigter Pflanzen«, die bisher in den Industrieländern kaum bekannt sind. Es gibt mehr als 100 dieser lokalen Nutzpflanzen, bei denen ein großes Potential besteht, durch Züchtung Sorten mit höherem Ertrag und Nährwert zu entwickeln. Diese Sorten können in Zukunft einen Beitrag zur Lösung des globalen Hungerproblems leisten.

Das wäre dringend notwendig: Bis zum Jahr 2050 wird laut einer UN-Prognose die Weltbevölkerung von heute rund 7,6 auf 9,7 Milliarden Menschen anwachsen. Dieses Wachstum ist geographisch sehr ungleich verteilt. So könnten bis 2050 in Nigeria mehr Menschen leben als in den USA. Damit würde Nigeria – nach Indien und China – zum drittgrößten Land der Welt avancieren. Allein sechs Länder (China, Indien, Indonesien, Nigeria, Pakistan und die USA) erwarten zur Mitte des 21. Jahrhunderts eine Bevölkerung von über 300 Millionen Menschen. In allen Weltregionen einen verlässlichen Zugang zu ausreichend Nahrung zu gewährleisten – mit dieser Herausforderung befasst sich das neu gegründete Kompetenzfeld »Food Security« an der Uni Köln.
 

Food Security
ist das jüngste Kompetenzfeld der Universität zu Köln. Es verfolgt das Ziel, den Wissenstransfer zwischen den Disziplinen zu fördern und das Bewusstsein für globale Ernährungsfragen in den gesellschaftspolitischen Fokus zu rücken.

 

Keine einfachen Lösungen

In den kommenden 30 Jahren muss sich die weltweite landwirtschaftliche Produktion verdoppeln – darin sind sich führende Experten einig. Eine Aufgabe, die fast unmöglich erscheint: »Schon heute beansprucht jeder Mensch im Durchschnitt ein Viertel eines Fußballfeldes als Agrarfläche. In Zukunft stehen aber bei steigender Bevölkerungszahl weniger Ackerflächen zur Verfügung. Wir brauchen also eine Steigerung der Erträge«, sagt Professor Dr. Stanislav Kopriva, Sprecher des Kompetenzfeldes »Food Security« und Co-Sprecher des Exzellenzclusters für Pflanzenforschung CEPLAS. Im Schnitt werden heute zudem 200 Kilogramm Stickstoff als Dünger pro Hektar Ackerfläche ausgebracht. »Das ist teuer, belastet das Grundwasser und ist klimaschädlich«, mahnt der Biologe.

Versorgungssysteme hängen jedoch nicht allein von ertragreichen Sorten, guten Böden und ausreichend Wasser ab – sondern auch von lokalen Konflikten, rechtlichen Rahmenbedingungen und der Einbindung von Wirtschaftszweigen in globale Wertschöpfungsketten, um nur einige Faktoren zu nennen. Dem Welternährungsbericht 2016 zufolge nimmt die Zahl mangelernährter Menschen zu. Gerade in Afrika südlich der Sahara und in Asien habe sich die Versorgungslage verschlechtert. »Besonders betroffen sind Regionen, in denen bewaffnete Konflikte herrschen oder Konflikte mit Dürren oder Überflutungen einhergehen«, stellen die Experten der Welternährungsorganisation (FAO) fest.

Die Forschung muss Lösungen finden, die über die reine Ertragssteigerung hinausgehen. Die beteiligten Expertinnen und Experten am Kölner Kompetenzfeld »Food Security« verstehen Ernährungssicherheit daher als Aufgabe, die nur interdisziplinär gemeistert werden kann. CEPLAS bildet den Kern des Kompetenzfeldes, aber neben Biologen sind auch Sozialwissenschaftler, Juristen, Afrikanisten, Geographen und Philosophen beteiligt. In der öffentlichen Vorlesungsreihe »Food and Nutrition Security« berichten zudem Vertreterinnen und Vertreter von Entwicklungsorganisationen und Saatgutherstellern von ihren praktischen Erfahrungen.

Im September 2018 plant das neue Kompetenzfeld eine große Konferenz mit dem Titel »Food for  Future«. Dabei stehen drei Themen im Vordergrund: Funktionelle Lebensmittel, also Nahrungsmittel mit positivem Effekt auf die Gesundheit, die Erschließung neuer Nahrungsquellen– etwa Insekten – und die Optimierung von Orphan Crops. Besonders die Orphan Crops stellen eine wichtige Verbindung zwischen dem neuen Kompetenzfeld und der Forschung am renommierten Exzellenzcluster her.
 

CEPLAS
ist das gemeinsame Exzellenzcluster der Universitäten Düsseldorf und Köln, des Kölner Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüchtungsforschung und des Forschungszentrums Jülich.


Weizen, Reis und Mais, die mittlerweile zu Hochleistungssorten herangezüchtet wurden, können alleine das globale Ernährungsproblem nicht lösen, davon ist Stanislav Kopriva überzeugt: »Unsere Forschung sollte sich auch den Pflanzen widmen, die Menschen in Indien, Nigeria und Kenia essen.« Am Exzellenzcluster CEPLAS wird hauptsächlich an der Modellpflanze Arabidopsisthaliana (Acker-Schmalwand) geforscht. »Wenn unsere Entwicklungen da funktionieren, funktionieren sie mit relativ wenigen Eingriffen an den Orphan Crops später sogar noch besser«, sagt Kopriva.

Ohne Pflanzenforschung geht es nicht

Die CEPLAS Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen nicht nur Ertrag und Nährstoffgehalt, sondern auch die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen gegen Krankheiten, Trockenheit und Schädlinge deutlich verbessern. Dazu verfolgen sie unterschiedliche Strategien.
 

Imagefilm:  
Exzellenzcluster für Pflanzenforschung CEPLAS


Ein Ansatz zielt darauf ab, die Photosyntheseleistung von Pflanzen zu steigern. Photosynthese ist wahrscheinlich der zentralste und wichtigste Prozess auf der Erde, bei dem Pflanzen aus Wasser, Kohlenstoffdioxid und Lichtenergie den Zucker Glukose und Sauerstoff produzieren. Der Sauerstoff, den wir einatmen, stammt also zu 100 Prozent aus der Photosynthese von Algen, Bakterienund Pflanzen. Einige Pflanzen verfügen bereits über eine effektivere Version der Photosynthese, die sogenannte »C4 Photosynthese«. Sie sind besonders gut an trockene Lebensbedingungen angepasst. Die Forscherinnen und Forscher von CEPLAS analysieren deshalb, welche Gene dafür verantwortlich sind. Die Forschungsergebnisse möchten sie zukünftig auf solche wichtigen Nutzpflanzen übertragen, die bislang die weniger effektive »C3 Photosynthese« betreiben.

Neben der Photosyntheseleistung untersucht das CEPLAS-Team auch, wie sich Pflanzen mit ein- oder mehrjährigem Lebenszyklus voneinander unterscheiden. Mehrjährige Pflanzen können durch ihre bereits ausgebildeten Wurzeln im Frühjahr schneller Biomasse  produzieren. Gelingt es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aus bisher einjährigen Pflanzen mehrjährige Varianten zu züchten, könnten die Organismen viel besser auf nährstoffärmeren Böden gedeihen. Zudem würden sie mit ihrem ausgedehnten, verzweigten Wurzelsystem den Boden besser vor Erosion schützen. Um das hinzubekommen, entschlüsseln die Forscher und Forscherinnen im ersten Schritt die Genome der ein- und mehrjährigen Pflanzen, um das Erbgut anschließend durch Züchtung übertragen zu können.

Wie Pflanzen mit den Mikroben im Boden zusammen spielen, ist ein weiterer Aspekt, dem sich die CEPLAS Arbeitsgruppen widmen. Einige Wechselwirkungen zwischen den Pflanzen und bestimmten Bakterien und Pilzen können sich positiv auf die Produktivität der Pflanze auswirken. So brauchen Pflanzen beispielsweise den Nährstoff Sulfat, um zu wachsen und gute Erträge zu liefern. Nun können bestimmte Bakterien organisch gebundenen Schwefel in das so wichtige Sulfat umwandeln, sodass Pflanzen es aufnehmen können. Doch wie genau diese Wechselwirkungen im Boden funktionieren, daran müssen die Kölner Pflanzenspezialisten noch weiter forschen.
 

Lokale Anpassungsstrategien

In der Vergangenheit haben sich viele Bemühungen um Ernährungssicherheit darauf konzentriert, in Ländern Afrikas, Asiens und Mittelamerikas industrielle Produktionsweisen einzuführen. Das sollte die Erträge steigern und die Landwirtschaft langfristig modernisieren. Die Erfolge waren jedoch gemischt. Heute konzentrieren sich viele Ansätze wieder auf die Rolle von Kleinbauern, die nunmehr als lokale Experten anerkannt werden.  Der Grundgedanke, die Kleinbauern beim Austesten und Umsetzen eigener Ideen zu unterstützen, setzt sich zunehmend in Forschung und Entwicklungszusammenarbeit durch.

Dr. Sabine Dorlöchter-Sulser arbeitet in der Afrika-Abteilung des Hilfswerks MISEREOR. Von ihren Erfahrungen berichtete sie Studierenden der Uni Köln im Rahmen der Vortragsreihe »Food and Nutrition Security« im November 2017. Sie betonte, dass Kleinbauern schon immer mit unberechenbaren Bedingungen zurechtkommen und flexibel darauf reagieren mussten. »Um Ernährungssicherheit herzustellen, müssen wir von den Anpassungsstrategien der Bauern ausgehen«, sagt Dorlöchter-Sulser.

Lokale Lebenswelten verstehen und neue Anbaumethoden sinnvoll einsetzen – das sind entscheidende Faktoren zur Herstellung von Ernährungssicherheit. Stanislav Kopriva ist zuversichtlich, dass das Kompetenzfeld »Food Security« an der Universität zu Köln in Zukunft nicht nur Expertise zusammenbringen, sondern ganz neue Lösungsansätze entwickeln wird: »Wir haben so viele engagierte Partner – auch in afrikanischen Ländern. Kooperation funktioniert nur, wenn alle Beteiligten auch wirklich für die Sache brennen. Und das ist bei uns definitiv der Fall.«