Eine der Hauptbeschäftigungen, der wir Menschen in unserem Alltag nachgehen, ist das Beurteilen von anderen Personen, Gruppen und Objekten, denen wir begegnen. Dabei entscheiden wir häufig auf Grundlage von ganz wenigen Informationen, ob uns eine andere Person sympathisch ist oder ob wir zum Beispiel ein Haus schön finden oder nicht. Das schnelle Einteilen der Dinge um uns herum in Positives und Negatives fällt uns so leicht, dass man davon ausgehen kann, dass dies in der Evolutionsgeschichte des Menschen schon immer eine wichtige Eigenschaft war.
Wenn wir uns einen Eindruck von anderen Menschen bilden, kommt dem »ersten Eindruck« eine besondere Wichtigkeit zu. Dieser entsteht nicht selten, sogar schon bevor wir einer Person überhaupt begegnen, in Form von Fremdurteilen. Wenn uns zum Beispiel eine Freundin vor einem langweiligen Dozenten warnt oder uns ein Freund von einer tollen Frau berichtet, die wir unbedingt kennenlernen müssen. Zum ersten Eindruck zählen neben Fremdurteilen auch Vorurteile, die wir über eine Person ausschließlich etwa aufgrund des Studienfachs, des Geschlechts oder der Herkunft ziehen.
Wenn es darum geht, andere Menschen zu beurteilen, lechzen wir geradezu nach Informationen. Dabei gilt: Je weniger Informationen verfügbar sind, desto stärker stützen wir unseren Eindruck auch auf wenig Aussagekräftiges. Hier zeigt sich auch schon ein Grund, warum der erste Eindruck ein besonderer ist: Da er sich häufig auf wenig relevante Infos stützt, ist er auch häufig falsch.
Eine zweite Besonderheit des ersten Eindrucks, die sich auch aus der Informationsarmut ergibt, ist seine Extremität: Da der erste Eindruck auf wenigen Informationen beruht, ist er häufiger »extrem«. Um dieses statistische Argument zu veranschaulichen: Stellen Sie sich einmal einen Herrn namens Peter vor, der in 50 Prozent aller Situationen in seinem Leben pünktlich ist und in den restlichen 50 Prozent unpünktlich. Nachdem Sie sich 100-mal mit Peter getroffen haben, werden Sie einen ziemlich präzisen Eindruck von Peters Pünktlichkeit haben. Sollten Sie diese schätzen, lägen Sie wahrscheinlich nahe an den 50 Prozent. Wenn Sie sich jedoch erst ein paar Mal mit ihm getroffen haben, kann es gut sein, dass Peter aus Zufall bei zwei von zwei Treffen entweder pünktlich oder unpünktlich war, was Sie zu dem Schluss verleiten könnte, Peter sei immer pünktlich bzw. unpünktlich.
Die dritte Besonderheit des ersten Eindrucks ist seine Kraft und seine Beharrlichkeit, die verschiedene Gründe haben. Erstens entscheiden wir häufig aufgrund des ersten Eindrucks schon, dass wir eine Person gar nicht oder nicht nochmals treffen möchten. Als Konsequenz wird vor allem ein negativer erster Eindruck häufig nicht revidiert, selbst wenn er falsch ist. Stellen Sie sich vor, eine Freundin berichtet Ihnen von einem frauenfeindlichen Kommilitonen namens Paul, welcher sehr unangenehm sei. Wenn Sie diesen Kommilitonen nun meiden, wird Ihr erster Eindruck zwangsläufig zum bleibenden Eindruck. Aber nicht nur Vermeidungsverhalten speist die Kraft des ersten Eindrucks, denn dieser beeinflusst auch unsere Interpretation neuer Information. Stellen Sie sich vor, sie begegnen nun zwangsläufig dem Kommilitonen Paul und haben die Erwartung, er sei frauenfeindlich. Wenn Sie sich mit Paul unterhalten, kann es sein, dass sie aufgrund Ihrer Erwartung Pauls Aussagen und sein Verhalten auch eher als frauenfeindlich interpretieren. Der erste Eindruck beeinflusst also unter Umständen unsere Interpretation neuer Informationen und bestätigt sich somit selbst.
Sind wir also Sklaven unserer ersten Eindrücke? Die klare Antwort lautet: Nein. Zwar hat der erste Eindruck eine besondere Kraft, aber dennoch gelingt es uns regelmäßig, ihn zu revidieren. Vor allem dann, wenn wir unseren Mitmenschen offen und mutig begegnen, sind wir in der Lage, sie neu und immer differenzierter zu beurteilen.