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Wärme erzeugt Reibung

Auswirkung von Großprojekten auf die kenianische Bevölkerung

Im kenianischen Rift Valley vollzieht sich eine weitreichende Transformation. Große Infrastrukturprojekte wie Geothermiekraftwerke verändern vor allem den ländlichen Raum. Kölner und Bonner Forscher*innen untersuchen, was das für die lokale Bevölkerung und ihre Zukunft bedeutet.

Von Jan Voelkel

Kenia hat sich viel vorgenommen. Unter der »Vision 2030«, einem Entwicklungsprogramm des ostafrikanischen Landes, möchte die Regierung das Bruttoinlandsprodukt jährlich um 10 Prozent steigern und eine »weltweit wettbewerbsfähige und wohlhabende Nation mit hoher Lebensqualität werden«. Von Reformen im öffentlichen Sektor über verbesserte Bildung, Wachstum der Landwirtschaft bis hin zu florierendem Tourismus – die Zukunft für die Bevölkerung, deren Altersdurchschnitt gerade einmal zwanzig Jahre beträgt, soll einiges bereithalten.

Die Vorstellungen davon, was Zukunft heißt und wie sie aussehen kann, können dabei sehr vielfältig sein. Forscher*innen des Sonderforschungsbereiches 228 »Future Rural Africa«, einem Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen verschiedenster Disziplinen, untersuchen gemeinsam, wie die Zukunft auf dem afrikanischen Kontinent imaginiert, aber auch realisiert wird. Vor allem in ländlichen Regionen vollziehen sich enorme Veränderungen. Periphere Gegenden werden erschlossen, um etwa neue Ressourcen nutzbar zu machen. Kenia ist eines der zentralen Forschungsgebiete, weil dort Transformationsprozesse sehr engräumig aufeinandertreffen.

In Kenia konzentriert sich die Regierung auf die Förderung des Wirtschaftswachstums durch Industrialisierung und große Infrastrukturprojekte. Besonders die Geothermie spielt dabei eine zentrale Rolle. Bei dieser Form der Energiegewinnung wird die im Erdinnern gespeicherte Wärme genutzt. Am Grabenbruch, wo der afrikanische Kontinent auseinanderdriftet, gibt es relativ oberflächennahe Magmablasen, die sehr hohe Wärmepotentiale haben. In Kenia ist das Geothermiepotential daher groß und gilt als eine so genannte basislastfähige Energieform: Strom kann rund um die Uhr und unabhängig von der Witterung erzeugt werden.

»Das ist das, was man bei uns in Deutschland immer händeringend sucht«, sagt Sozialanthropologe Dr. Clemens Greiner, der im SFB gemeinsam mit seiner Bonner Kollegin Professorin Dr. Britta Klagge das Projekt »Energy Futures« leitet. Sie erforschen, was die großen Infrastrukturprojekte im Rift Valley für die lokale Bevölkerung bedeuten, welche Konsequenzen die Transformationen für die Menschen vor Ort haben und wie sie vermittelt werden.

»Das Potential für Geothermie in der Region, in der wir gezielt arbeiten – die Baringo-Region in Nordkenia – wird auf 3000 Megawatt geschätzt «, so Greiner. »Sollte dieses Potential vollumfänglich realisiert werden, entspräche das ungefähr der Leistung von drei Atomkraftwerken und ist schon gewaltig.« Aktuell befindet sich die Region allerdings in der Erschließungsphase und es werden noch keine Anlagen betrieben. Der kenianische Staat plant in seiner Vision 2030 das Land flächendeckend zu elektrifizieren, und Geothermie soll das Rückgrat dieser Strategie sein. Rund 30 Prozent des Stroms in Kenia wird derzeit aus Geothermie gewonnen, Tendenz steigend.

Infrastruktur kann Fluch und Segen zugleich sein

Die Förderung der Geothermie hat in der Baringo-Region, die für kenianische Verhältnisse sehr arm ist, enorme Auswirkungen – sowohl auf das Hier und Jetzt als auch auf die Zukunftsperspektiven. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist die Viehnutzung. »Das Fleisch wird derzeit aber nicht dort verarbeitet, sondern zur Weiterverarbeitung aus der Region transportiert«, so Greiner. »Mit direkt genutzter geothermischer Energie könnte man vor Ort Schlachthäuser relativ kosteneffizient betreiben. Der Dampf, der bei der geothermischen Energiegewinnung entsteht, kann außerdem in der Lederverarbeitung genutzt werden.«

Der kenianische Staat plant, das Land bis 2030 flächendeckend zu elektrifizieren. Geothermie spielt dabei eine zentrale Rolle.

All das verspricht Jobs und Geld, das in der Region bleibt. Zudem wird die gesamte Infrastruktur des Landesteils von der Geothermie geprägt, etwa durch Straßenbau. Es wurden bereits 100 Kilometer Schotterstraße errichtet. Das mag nicht viel erscheinen, muss aber vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es in der Region zuvor so gut wie keine Straßen gab. Strecken von 30 Kilometern, für die man vorher noch gut zwei Stunden brauchte, fährt man heute in einer halben. Waren können schneller in die Region hinein- oder heraustransportiert werden, Städte oder Krankenhäuser sind leichter zu erreichen. »Allerdings haben Straßen nicht nur Vor-, sondern für die lokale Bevölkerung auch Nachteile«, so Greiner. »Denn so kommt auch das Militär leichter in die Region, die zuvor undurchdringlicher war.«

Baringo ist spätestens seit den 1980er Jahren immer wieder Hotspot für gewaltsame interethnische Konflikte um Land und Ressourcen. Viele Haushalte sind daher bewaffnet. Um Herr der Lage zu werden, führt das Militär regelmäßig Entwaffnungskampagnen durch, die allerdings mitunter selbst gewaltsam ausgehen. Ganze Gruppen werden verhaftet und Tiere beschlagnahmt, um die Besitzer dazu zu bewegen, ihre Waffen auszuhändigen. Dass der Straßenbau entsprechend nicht nur positiv besetzt ist, liegt auf der Hand. Es kommt immer wieder zu Straßenblockaden der lokalen Bevölkerung.

Aufklärungsarbeit soll Konflikte vermeiden

Die Geothermal Development Company (GDC) – das für die Geothermie zuständige staatliche Unternehmen – nimmt die Unmutsbekundungen ernst. »Es werden Verhandlungsteams mit Mitarbeitern geschickt, die selbst aus der Region kommen. Oft haben sie einen Schul- oder Universitätsabschluss. Bildung wird dort sehr wertgeschätzt, so dass die Teams in der Bevölkerung gerade im Vergleich zu politischen oder wirtschaftlichen Eliten ein gewisses Standing haben. Sie reden mit den Menschen vor Ort und versuchen, sie ins Boot zu holen«, erklärt Greiner das Vorgehen.

Neu gebaute lokale Wasserstellen versorgen Menschen und Tiere mit gefiltertem Frischwasser

Neben den Vor- und Nachteilen, die der Straßenbau mit sich bringt, kann die Erschließung der Geothermie auch territoriale Konflikte beeinflussen und befeuern. Kenia ist ein Land, das stark durch ethnische Fraktionierung gekennzeichnet ist. Die Counties – lokale Gebietseinheiten – entsprechen oft ethnischen Gruppenzugehörigkeiten. Seit einer Gebietsreform 2010/11 haben die Counties mehr politische und ökonomische Macht zugesprochen bekommen.

Unter anderem besteht potentiell Anspruch auf Gewinnbeteiligung am regionalen Ressourcenabbau. »Ob eine Geothermie-Einheit in meinem oder einem Nachbar-County ist, macht da einen großen Unterschied und ist für lokalpolitische Planungen natürlich sehr relevant«, so Greiner. Da die Gebietsreformen mit rund zehn Jahren recht jung sind, ist die Lage noch volatil. Um Konflikte zu vermeiden, konzentrieren sich die Exploration und der Infrastrukturausbau derzeit auf Regionen, in denen die Gebietshoheit unumstritten ist.

Ein weiterer entscheidender Punkt, durch den die Geothermie die Region prägt und verändert, ist die Wasserversorgung. Denn die Bohrungen benötigen enorme Wassermengen. Riesige Becken mit einem Fassungsvermögen von 9 Millionen Litern – der Größe von mehr als drei olympischen Schwimmbecken – werden aus dem Baringo-See gespeist und versorgen die Bohrstellen. Die lokalen Gemeinschaften haben in diesem Zusammenhang ausgehandelt, dass zwanzig neue, lokale Wasserstellen gebaut werden, durch die Menschen und Tiere mit gefiltertem Wasser versorgt werden können. Im Baringo-Fall wurde so eine sehr trockene Region ein stückweit bewohnbarer gemacht. Für die Menschen hat sich die private Wasserversorgung verbessert und Viehzüchter können ihre Tiere deutlich einfacher versorgen.

Ob sich die Zukunftsvisionen erfüllen, wird davon abhängen, wie erfolgreich das Land Strategien zur Landnutzung entwickelt und umsetzt. Dabei muss es gelingen, die Menschen vor Ort mitzunehmen, Ressourcen und Profite gerecht zu verteilen und Risiken abzuschätzen. Greiner hofft: »Wenn man das gut und nachhaltig gestaltet und weiterhin Strukturen schafft, von denen die Leute zukünftig vor Ort profitieren, dann kann das zu einer Win-Win-Situation werden.«
 

SFB 228 FUTURE RURAL AFRICA
Im Sonderforschungsbereich untersuchen Forscher*innen der Universitäten Köln und Bonn sowie des Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) und des German Institute of Development and Sustainability (IDOS), wie Zukunft im ländlichen Afrika gestaltet wird. Der Fokus liegt auf Landnutzungswandel und sozial-ökologischen Transformationsprozessen in ländlichen Gebieten Ost- und Süd- Afrikas.

Der SFB/TR 228 besteht aus 14 wissenschaftlichen Teilprojekten, die sich jeweils mit spezifischen Aspekten der sozial-ökologischen Transformation befassen. Er vereint Expertise aus den Natur- sowie aus den Sozial- und Geisteswissenschaften. Im Zentrum steht die Frage, wie sich beim Wandel im ländlichen Afrika die teilweise gegenläufigen, vielfach verwobenen Prozesse von verstärkter Landnutzung durch den Menschen und der Ausweitung von Naturschutzgebieten auswirken.