Mobil in der Steinzeit
Unsere frühen Vorfahren waren viel unterwegs, denn sie lebten von der Jagd. Kölner Archäologen dokumentieren, wie viel Energie traditionelle Jäger bei der Jagd verbrauchen und welche Wege sie nehmen. Unterwegs mit San-Jägern am Rande der Wüste Namib.
Von Robert Hahn
Früh morgens sind die drei Jäger der San aufgebrochen, mit ihnen Professorin Dr. Eleftheria Paliou, Dr. Tilman Lenssen-Erz und Oliver Vogels M.A. von der Kölner Universität. Die einheimischen Jäger bewegen sich flink über das steinige Gelände der Doro !nawas Berge am Rande der Namibwüste. Sie suchen nach den frischen Tierspuren, die sie am Vortag entdeckt und den Wissenschaftlern gezeigt hatten – Springböcke, die von der Frischwasserquelle zu ihren Weidegründen gewandert sind.
In der trockenen Landschaft der Namib sind die Tiere oft standorttreu, sie könnten heute noch dort sein. Bei Tagestemperaturen von teils deutlich über 40 Grad Celsius ist das insbesondere für die deutschen Archäologen von der Forschungsstelle Afrika und die Archäologin vom CoDArchLab (Cologne Digital Archaeology Laboratory) eine Herausforderung. Tilman Lenssen- Erz und Oliver Vogels bedienen die Technik, die seit dem Start der Jagdexpedition Daten aufnimmt: Die San tragen Sportleruhren am Handgelenk, die mittels GPS den Weg aufzeichnen und die Herzfrequenz der Jäger protokollieren. »Die ist für uns ganz wichtig«, sagt Lenssen-Erz. »Kombiniert mit der Distanz und den Steigungen, die aufgezeichnet werden, ergibt sich daraus der tatsächliche Kalorienverbrauch.«
Welche Wege nehmen die Jäger?
Die Wissenschaftler sind nicht an den Springböcken interessiert, sondern an dem Jagdverhalten der San, die heutzutage ohne Feuerwaffen in etwa so jagen, wie Jäger der Steinzeit wahrscheinlich gejagt haben. Tsamkxao Ciqae, /Ui Kxunta, Thui Thao, Jan Tsumib und Calph Daqm Tsamkxao sind echte Spezialisten auf dem Gebiet, ihr Wissen um das Lesen von Spuren beruht auf der Erfahrung vieler Generationen. Deshalb hat das Kölner Team auch bei früheren Projekten schon mit ihnen zusammengearbeitet. »Wir möchten gerne mehr lernen, was die Mobilität von Jägern betrifft, die mit den Mitteln von Steinzeitjägern arbeiten «, sagt Oliver Vogels. »Was kann man da noch von dem Jagdverhalten heutiger Jäger lernen? Was lässt sich davon auf die Vergangenheit extrapolieren und wie?
Der Fokus dieses Projekts liegt auf der Mobilität.« Dafür studieren die Wissenschaftler die Techniken, die die Tracker – oder Spurensucher – der San verwenden, um zu den Tieren zu kommen und sich anzuschleichen: Welche Muster treten dabei immer wieder zu Tage? Wie bewegen sich die Jäger im Gelände? Ihr Forschungsprojekt »Indigenes Wissen und Archäoinformatik« wird durch das Programm »Off the beaten track« der VolkswagenStiftung gefördert.
Steinzeitkapitalismus: Hoher Gewinn, niedrige Kosten
Es gibt Berechnungsverfahren, um Wege von Läufern im Gelände zu berechnen. Welcher Weg kostet am wenigsten Energie? Welcher ist am wenigsten anstrengend? In der Archäologie ist die least-cost-path-Analyse eine gut eingeführte Methode, die mit einem hypothetischen Kalorien- und damit Energieverbrauch rechnet. Durch Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten aus den Sportwissenschaften sollen diese Berechnungen deutlich präzisiert werden. »Kalorien sind die Kosten, die bei der Jagd der Kalorien, die von Jägern wieder durch einen Jagderfolg reingeholt werden müssen«, erklärt Lenssen-Erz. »Es muss sich also lohnen, eine gewisse Menge an Kalorien zu verbrennen, um durch den Jagderfolg wieder Kalorien hereinzubekommen. Deswegen dieses ökonomische Denken.«
Das Gebiet der Doro !nawas Berge ist den San fremd, sie jagen hier erst seit wenigen Tagen. Die Tierwelt jedoch entspricht ganz ihren heimischen Jagdgründen in der zentralen Kalahari um die entlegene Ortschaft Tsumkwe herum. So haben die Tracker die Spuren vom Vortag schnell wiedergefunden und führen die Wissenschaftler zielstrebig zur Beute hin. Während der gesamten Wanderung sammeln die Archäologen weitere Daten: Windgeschwindigkeit, Windrichtung und Windstärke werden mit Ultraschall gemessen, denn die Tiere wittern die Menschen über hunderte von Metern. Auch die Temperatur wird aufgenommen und natürlich alle ihre Beobachtungen: die Oberfläche des Terrains, die Wildwechsel und die Entscheidungsprozesse der San.
Der Bock ist im Bilde
Nach Stunden erspähen die Tracker einen Bock, der sich in gut 200 Metern Entfernung im Schatten eines Dornenstrauchs niedergelassen hat. Die Jäger bedeuten den Archäologen jetzt, ganz still zu sein: »Psst, siehst du den Springbock da vorne unter dem Baum?« »In der Regel ist es so, dass wir Archäologen noch nicht mal den Baum richtig sehen können«, gibt Oliver Vogels unumwunden zu. »Das Tier sehen wir schon gar nicht. Die Jäger sind so sehr darauf trainiert, Schatten in Schatten zu sehen – das können wir nicht.« In einer Reihe, dicht hintereinander im Gänsemarsch, geht die kleine Jagdgruppe weiter, möglichst still. So sieht das Tier von vorne nur einen Menschen, und die Jäger dahinter können auch noch reagieren, wenn sie gesehen werden.
Der zweite Jäger in der Reihe duckt sich und schleicht sich in einem großen Bogen um das Wild gegen den Wind an. Minuten vergehen, dann ist er auf Schussnähe zum Bock – 50 Meter. Er zielt und drückt ab – klick! Mit seiner Kamera macht er gleichzeitig ein Foto vom Tier und zeichnet die GPS-Daten auf. Das Tier schreckt auf, es hat die Jäger bemerkt, die Jagd ist vorbei. Auch der Standort des Tieres beim »Schuss« wird gespeichert, dann geht es zurück. »Wir haben dadurch jetzt alle Parameter einer realistischen Jagd – nur, dass wir nicht mit dem Pfeil schießen mussten, was in dieser Gegend auch gar nicht erlaubt ist«, sagt Lenssen-Erz.
Archäologische Fundstätten im Blick
Nicht zuletzt soll das Forschungsprojekt helfen, Licht in eine alte Frage der Archäologie zu bringen: Warum sind die Fundstätten dort, wo sie sind? Welche Bedeutung hat die Wahl eines Siedlungsortes oder des Ortes einer Felsmalerei? Viele der Fundstellen in den Doro !nawas Bergen scheinen mit der Jagd zusammen zu hängen. In der modernen Archäologie hat man verschiedene Formeln und mathematische Modelle entwickelt, die erklären, wie man archäologische Fundstellen in einen Bewegungskontext bringen kann: Topographie, Distanz, Wegezeiten und Sichtbarkeit werden oft als wichtige Faktoren angesehen, welche die menschliche Mobilität beeinflussen. »Die von uns verwendeten Modelle sind jedoch nur eine Abstraktion der Realität«, sagt Eleftheria Paliou. »Welche Faktoren sind für die Modellierung der Bewegung bei der Jagd mit traditionellen Mitteln wichtig? Und wie können wir solche Modelle am besten kalibrieren? Das würden wir gerne wissen.«
Die San-Jäger kümmert das Modell wenig. Auf dem Rückweg ins Camp passiert etwas, was der least-cost-path-Analyse widerspricht: Die San fixieren einen Punkt im Gelände, der auf dem Weg zum Camp liegt. Dann steuern sie direkt darauf zu – hoch und runter, quer über Steinfelder und Hindernisse, und kümmern sich nicht um den Energieverbrauch. Lenssen-Erz: »Damit Das auf drei Jahre angelegte Projekt »Indigenes Wissen und Archäoinformatik«, das 2019 begann, will ein besseres Verständnis der Mobilität von Jägern und Sammlern in einer unbewohnten archäologischen Landschaft im westlichen Zentralnamibia gewinnen. Es nutzt die seltene Gelegenheit, die Bewegungen indigener Fährtensucher bei der Jagd mit traditionellen Mitteln – zu Fuß und ohne Schusswaffen, optische Hilfsmittel oder Jagdhunde – in einer an archäologischen Zeugnissen reichen Landschaft nachzuvollziehen.
Die vor Ort gesammelten Daten werden verwendet, um einzigartige Einblicke in die Wegfindungsprozesse sowie die physischen Einschränkungen der menschlichen Mobilität während der Jagd zu erhalten. Diese Erkenntnisse werden genutzt, um Berechnungsmodelle für die Mobilität von Jägern und Sammlern in offenen Landschaften zu erstellen, die besser auf die Archäologie und insbesondere der Jäger-Sammler-Forschung zugeschnitten sind.
Da die Wissenschaftler persönliche Daten der San erheben, mussten sie auch besondere Anforderungen erfüllen: Die Art der Forschungen, der Datenerhebung und -behandlung, aber natürlich auch die Einverständniserklärung der San zur Nutzung von Bildern, Daten und Audioprotokollen mussten der Medizinischen Fakultät vorgelegt werden, um ein Ethikzertifikat zu erhalten. Das besteht auf strengen Regeln, die auf der deutschen Datenschutzgrundverordnung gründen. wollen sie verhindern, dass sie sich nach dem Jagderfolg noch verlaufen. In einer fremden Landschaft verhält man sich eben ganz anders als in einer, wo man jeden Zweig und Strauch kennt.«
Das Wissen der Vorfahren nutzen
Tilman Lenssen-Erz arbeitet bereits seit Jahren mit den San-Trackern zusammen. »Für die San ist es eine gute Art des Broterwerbs, weil sie eine Sache machen, die sie gerne tun und in der sie sehr gut sind: jagen gehen«, sagt der Archäologe. »Auch über das Fährtenlesen sagen sie, dass sie es gerne machen. Das ist eine Passion für sie. Das ist das Selbstbild, das Lebensgefühl.« Vogels ergänzt: »Und in den Gemeinschaften der San hat sich herumgesprochen, dass das Wissen der Vorfahren nicht irrelevant geworden ist.«
Das auf drei Jahre angelegte Projekt »Indigenes Wissen und Archäoinformatik«, das 2019 begann, will ein besseres Verständnis der Mobilität von Jägern und Sammlern in einer unbewohnten archäologischen Landschaft im westlichen Zentralnamibia gewinnen. Es nutzt die seltene Gelegenheit, die Bewegungen indigener Fährtensucher bei der Jagd mit traditionellen Mitteln – zu Fuß und ohne Schusswaffen, optische Hilfsmittel oder Jagdhunde – in einer an archäologischen Zeugnissen reichen Landschaft nachzuvollziehen. Die vor Ort gesammelten Daten werden verwendet, um einzigartige Einblicke in die Wegfindungsprozesse sowie die physischen Einschränkungen der menschlichen Mobilität während der Jagd zu erhalten. Diese Erkenntnisse werden genutzt, um Berechnungsmodelle für die Mobilität von Jägern und Sammlern in offenen Landschaften zu erstellen, die besser auf die Archäologie und insbesondere der Jäger-Sammler-Forschung zugeschnitten sind. Da die Wissenschaftler persönliche Daten der San erheben, mussten sie auch besondere Anforderungen erfüllen: Die Art der Forschungen, der Datenerhebung und -behandlung, aber natürlich auch die Einverständniserklärung der San zur Nutzung von Bildern, Daten und Audioprotokollen mussten der Medizinischen Fakultät vorgelegt werden, um ein Ethikzertifikat zu erhalten. Das besteht auf strengen Regeln, die auf der deutschen Datenschutzgrundverordnung gründen.