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Mit Hoffnung bleiben wir handlungsfähig

Kant kann uns heute noch helfen, globalen Krisen zu begegnen, sagt Philosophin Claudia Blöser.

Der Geburtstag des Philosophen Immanuel Kant jährte sich im Jahr 2024 zum 300. Mal. Zu Lebzeiten beschäftigten ihn die Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Kant kann uns auch heute noch helfen, globalen Krisen zu begegnen, sagt die Philosophin Claudia Blöser. 

Das Gespräch führte Eva Schissler


Frau Professorin Blöser, Sie beschäftigen Sich mit Immanuel Kant und besonders damit, was er über die Hoffnung geschrieben hat. Warum? 

Dieses Interesse geht weit zurück, bis in meine Studienzeit. Neben Philosophie habe ich auch Physik studiert. Es hat mich sehr fasziniert, dass Kant die Naturwissenschaften als Vorbild betrachtete und ihren systematischen Anspruch auf die Philosophie übertragen wollte. Er hat also über alle wichtigen Fragen des Menschseins sehr präzise und systematisch nachgedacht. Für den Begriff der Hoffnung habe ich mich eher unabhängig interessiert, da ich Hoffnung in Zeiten von Krisen sehr wichtig finde. In solchen Situationen erhoffen sich Menschen auch vonseiten der Philosophie Antworten. Das können individuelle Krisen sein wie Krankheit oder der Verlust eines Angehörigen, aber auch politische Krisen. In Zeiten der Klimakrise fragen sich Menschen zum Beispiel, ob sie auf eine gute Zukunft hoffen können. 

Kant ist in diesem Zusammenhang ein interessanter Philosoph, weil er der Hoffnung einen so zentralen Stellenwert einräumt. Dabei ist spannend, dass er die Hoffnung als eine Frage der Vernunft klassifiziert. 
 

Es gibt die Anekdote über Kant, dass er einmal bei einem Wirtshaus an einem Friedhof Halt machte, das »Zum ewigen Frieden« hieß. Können wir auf Frieden also nur im Jenseits hoffen?

Er beschreibt dieses Wirtshaus tatsächlich im ersten Satz von »Zum ewigen Frieden «, seiner zentralen Schrift über die Hoffnung. Er will damit die Frage nahelegen, ob der ewige Frieden nur im Tod zu haben ist, während die Menschen im Leben immer Krieg führen und der ewige Frieden nur ein Traum ist. Er legt in seiner Schrift aber dar, warum er nicht dieser Ansicht ist. 

In seinem früheren Werk, der »Kritik der reinen Vernunft«, knüpft er die Hoffnung noch sehr eng an den Glauben an Gott und an die Unsterblichkeit der Seele. Das, worauf wir hoffen, liegt somit in einem zukünftigen Leben – also im Jenseits. Diese Art der Hoffnung möchte er auch verteidigen, aber in seinen späteren Schriften interessiert ihn zunehmend die politische Hoffnung auf Frieden und eine gerechte Welt. In »Zum ewigen Frieden« beschreibt er ein politisches Ideal, das wir in diesem Leben verwirklichen sollen. 

 

Wie würden Sie Kants Zugang zu Hoffnung auf den Punkt bringen? 

Hoffnung ist bei Kant die Erwartung von etwas, das in der Zukunft liegt und positiv bewertet wird; eine Einstellung, die ein für möglich gehaltenes, unsicheres Gut betrifft. Ich würde es so beschreiben: Hoffnung wird an den Grenzen unseres Wissens und der Kontrollfähigkeit unseres Handelns relevant. Weil Kant sieht, dass beides begrenzt ist, befasst er sich überhaupt mit dem Begriff der Hoffnung. Andere Denker der Aufklärung wie Descartes, Hobbes, Hume oder Locke haben Hoffnung als ein bloßes Gefühl betrachtet, als einen Affekt. Kant ließ ebenfalls zu, dass Hoffnung eine gefühlsmäßige, affektive Komponente hat, aber ihm ist auch die Frage wichtig, ob Hoffnung vernünftig ist. Das ist sie ihm zufolge, wenn sie dem, was wir wissen, nicht widerspricht, und wir tun, was wir tun sollen. 

Kant zufolge müssen wir bestimmte theoretische Existenzannahmen über die Welt machen, die über das hinausgehen, was wir wissen können. Konkret geht es dabei um die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele. Wir können nicht wissen, dass Gott existiert und die Seele unsterblich ist, aber wir können daran glauben. Um hoffen zu dürfen, müssen wir diese Annahmen sogar machen. Auf der anderen Seite müssen wir das tun, was wir sollen – definiert nach dem kategorischen Imperativ, den einige Menschen sicherlich kennen: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.« So formuliert er die Hoffnungsfrage noch einmal um: Wenn ich tue, was ich soll, was darf ich dann hoffen? Wenn er über Hoffnung spricht, setzt er also voraus, dass wir praktisch tun, was wir sollen. 
 

Geht bei Kant das Handeln dem Hoffen voraus oder gibt es eine Wechselwirkung zwischen »richtigem« Handeln und Hoffen? 

Es ist tatsächlich ein Wechselverhältnis. Wir müssen so handeln, wie wir sollen, damit wir dann auch hoffen dürfen. Zum Beispiel, dass wir erfolgreich sind oder dass es eine gute Zukunft gibt. Andererseits unterstützt die Hoffnung unser Handeln. Weil die gute Zukunft, in der unsere moralischen Ziele erreicht sind, unsicher ist, besteht die Gefahr der Resignation. Mit Hoffnung ist es deutlich leichter, handlungsfähig zu bleiben.
 

Sie haben sich in wissenschaftlichen Arbeiten mit dem Kantischen Hoffnungsbegriff im Kontext des Klimawandels beschäftigt. Welche Relevanz hat er für das Thema? 

Es bietet sich an, Kantische Ideen hier auszuprobieren, denn es geht um Fragen der guten Zukunft, der Menschheit und eines menschenwürdigen Lebens. Die Frage der Hoffnung stellt sich in dieser Krise, weil wir einerseits wissen, dass wir handlungsfähig bleiben müssen, um die Situation zu verbessern. Andererseits stellt sich angesichts der Größe des Problems schnell Resignation oder sogar Verzweiflung ein. Es bewegt sich nur sehr langsam etwas zum Besseren – wenn überhaupt. Die Frage der Hoffnung wird im Kontext der Klimakriese auch öffentlich diskutiert. Greta Thunberg hat beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2019 sinngemäß gesagt: »Ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre. Und dann möchte ich, dass ihr so handelt, als ob das Haus brennt. Denn es brennt.« Die Frage ist also: Führt Hoffnung eher zu Passivität? Dient sie bloß der Vertröstung? Hier sind wir wieder beim Wechselverhältnis zwischen Hoffen und Handeln. Hoffnung ist einerseits eine Ressource, die uns als Individuen hilft, in schwierigen und unsicheren Zeiten zu handeln: In Anbetracht der Klimakrise sollten wir alle etwas tun, wobei sehr unsicher ist, ob individuelles Handeln überhaupt einen Unterschied macht. 
 

Als weiteren Anwendungsfall haben Sie den Kampf gegen globale Armut bearbeitet. Wie stellt sich die Frage da? 

Beim Thema Armut ist es einerseits wichtig, dass die betroffenen Menschen selbst etwas dafür tun, ihre Lebensumstände zu verbessern. Auch wenn sehr unsicher ist, wie erfolgreich sie damit sind und ihre Situation stark von größeren Zusammenhängen abhängt. In einer solchen Situation brauchen sie Hoffnung. Andererseits kann das Problem nicht auf individueller Ebene gelöst werden, sondern erfordert eine Veränderung der politischen Strukturen. Es muss auf politischer Ebene gehandelt werden, damit Hoffnung keine bloße Illusion, keine bloße Vertröstung ist. Das ist eine Kantische Idee: Um überhaupt hoffen zu können, brauchen wir Vertrauen in die grundlegenden Strukturen der Weltordnung. Bei Kant ist das zum Beispiel die Annahme, dass Gott existiert oder dass die Natur so verfasst ist, dass unsere politischen Ziele realisierbar sind. 

Bei der Bekämpfung des Klimawandels und der Armut brauchen wir Vertrauen in die politischen Strukturen. Diese Strukturen sind aber nicht natürlicherweise gegeben, sondern wir können sie verändern, um unsere Ziele zu erreichen. Nur dann ist unsere Hoffnung rational. Globale Probleme dürfen also nicht zu sehr individualisiert werden – Hoffnung ist nicht nur eine individuelle Ressource, sondern muss durch politisches Handeln unterstützt werden.
 

Auch heute sind wir wieder in einer Situation des Krieges in Europa. Ist es noch zeitgemäß, mit Kant auf einen »ewigen Frieden« zu hoffen? Mit dem russischen Präsidenten ist ja mindestens ein mächtiger Akteur involviert, die nicht unbedingt vernunftgetrieben so handelt, wie er sollte. 

Ja, das ist ein Problem. Wiederaufflammende Kriege überall auf der Welt stimmen nicht sehr hoffnungsvoll, dass wir uns dem ewigen Frieden annähern. Aber Kant erkennt die Existenz von Kriegen ja an. Der ewige Frieden ist ein normatives Ideal, dem wir uns annähern sollen. Zum Beispiel, indem wir die rechtlichen Bedingungen dafür schaffen, dass Frieden auf der Welt herrscht. Für Kant ist übrigens eine Bedingung für Frieden, dass Staaten demokratisch verfasst sind. Er nennt das »republikanisch«, meint aber im Grunde so etwas wie repräsentative Demokratie. Somit wäre er auch nicht überrascht, dass De-facto-Diktaturen wie Russland Krieg führen. 

Offensichtlich ist Frieden in der Ukraine – oder auch im Mittleren Osten – sehr schwierig. Kant hat dazu eine prägnante Überlegung angestellt: Solange uns niemand beweisen kann, dass ewiger Frieden unmöglich ist, müssen wir weiter auf dieses Ideal hinarbeiten. Und solange wir handeln, um es zu verwirklichen, dürfen wir auch hoffen. 

 

Digitales Kant Zentrum NRW 
Das Digitale Kant Zentrum NRW verknüpft mehrere Forschungsprojekte von Wissenschaftler*innen zum Thema, wie Kantische Antworten auf heutige Fragen ausfallen könnten. So wendet es die Grundprinzipien der Kantischen Philosophie auf drängende Fragen gegenwärtiger Politik und Gesellschaftsordnung an. Die regelmäßigen »Digital Kant Lectures« werden aufgezeichnet und auf dem YouTube-Kanal des Zentrums veröffentlicht. Neben der Universität zu Köln sind die Universitäten Bochum, Bonn und Siegen im Projekt involviert.